Von der unheimlichen Macht positiver Gedanken
Was verleiht düsteren Orakelsprüchen Macht? Julia Hollwedel begibt sich auf Spurensuche.
Deutschland, das Volk der Dichter, Denker, Zauderer und Jammerer. Bereits in der Silvesternacht sorgt das abgebrannte Affenhaus im Krefelder Zoo für Betroffenheit. Auch der Blick in die Welt macht Sorgen: In Australien wüten Buschbrände, der Konflikt zwischen Iran und USA eskaliert. Da kommen düstere Zukunftsprognosen gerade recht. Zum Jahresbeginn kursieren wieder dunkle Prophezeiungen der populären Seherin Baba Wanga im Internet.
Bereits 1996 verstorben, machte die blinde bulgarische Seherin schreckliche Aussagen für die Zukunft. Ihren Vorhersagen zufolge soll 2020 eine schwere Weltwirtschaftskrise Europa erschüttern. Außerdem sagte sie, das muslimische Extremisten Europa überfallen.
Nebulös verpackt
Was verleiht solchen düsteren Orakelsprüchen tatsächlich Macht? Die Aussagen als solche sicher nicht. Es gilt zu bedenken, dass alle berühmten Seher und Seherinnen vom antiken Orakel von Delphi über Nostradamus bis Baba Wanga ihre Aussagen nebulös verpacken, um viele Deutungen zuzulassen. So erfüllt sich alles irgendwie immer. Umso mehr schenkt unsere Faszination für Mythen und Rätsel finsteren Zukunftsprognosen Macht. Je dunkler, geheimnisvoller und gruseliger, desto besser… Aber warum ist das so? Warum sehen wir oft nur das Schlimme und Schlechte?
Denn allen Unkenrufen zum Trotz geht es uns hier so gut wie nie. Trotzdem gewinnt man den Eindruck, dass die Unken gerade zu Jahresbeginn mit Megafonen durch die Straßen ziehen.
Statt sich auf das neue Jahr zu freuen, versinken wir in düsteren Zukunftsszenarien. Hätte Baba Wanga statt Kriegen und Unruhen Positives wie den Weltfrieden, Gesundheit und Glück für alle vorhergesagt, würde man sie als Spinnerin nicht ernst nehmen. Sicherlich würde sie ihre Faszination auch einbüßen, wenn sie nicht das Klischee der blinden, alten, unheimlichen Frau erfüllen würde.
Macht der Selbsterfüllung
Wenn wir uns also alle vornehmen, optimistisch ins neue Jahr zu starten, nehmen wir solchen Prophezeiungen den größten Schrecken und die Macht der Selbsterfüllung.
Auch die Neujahrsansprache der Kanzlerin spricht für sich, wenn sie sagt, dass die 2020er gute Jahre werden können. Merkel lobt alle, die sich für das Gemeinwohl einsetzen und bezeichnet sie als „Rückgrat der Demokratie.“ Apropos Demokratie: Seit über 70 Jahren leben wir in einer Demokratie. Manche Menschen befürchten nach so einer historisch langen Phase des Friedens Krieg. Weil das doch immer so war.
Nicole Priesching (vgl.Interview Seite 8, nachzulesen in der Printausgabe) sieht das aus einer anderen Perspektive. Ihren Worten nach ist die Demokratie nach so einer langen Wachstumsphase stärker denn je. Insgesamt zeigen Neujahrsansprache und Interview doch, dass es auch anders geht: mit positivem Blick Richtung Zukunft starten.
Positiver Blick Richtung Zukunft
Und sich nicht beirren lassen von Hellsehern, Wahrsagern & Co. Übrigens missbilligen die orthodoxen Kirchen Baba Wangas Orakelsprüche. Die Kirchen sprechen von Hexerei und Irrglaube, da die Wahrsagerin auch Geister von Verstorbenen gerufen haben soll. Obwohl in ferner Zukunft ein Highlight für uns Christinnen und Christen wartet: Im Jahr 4509 soll die Kommunikation mit Gott möglich sein. Für gläubige Menschen heute schon möglich, wenn auch indirekt.