Wahre Größe!
„Bitte sehr! Ein Cappuccino für Sie.“ Foto: Nomad_Soul/fotolia
Wer groß sein will, misst sich am Beispiel Jesu, dem Diener Gottes und der Menschen.
von Claudia Auffenberg
Das Evangelium, das für den heutigen Sonntag auf der nebenstehenden Seite abgedruckt ist, wird man im Hohen Dom zu Paderborn die ganze Woche lang hören. Es ist sozusagen das Libori-Evangelium schlechthin. Und schon oft habe ich mich darüber gewundert, bzw. um ehrlich zu sein, diebisch gefreut, dass alle Bischöfe ausgerechnet über dieses Evangelium zu predigen haben. Als jemand, der niemals zu denen da oben im Chorraum gehören wird, konnte ich mich schön zurücklehnen und mir sagen: Mich geht’s ja nichts an.
Nun soll ich diesen Beitrag schreiben und komme ins Grübeln: Geht es mich wirklich nichts an, bloß weil ich nicht Bischöfin bin?
Der Verfasser des Lukasevangeliums verortet diese Szene im Abendmahlssaal. Soeben hat Jesus die Worte über Brot und Wein gesprochen und schon geht der Streit los, wer wohl der Größte sei. Von der Stimmung beim Mahl hat man ja eigentlich eine ganz andere Vorstellung, nämlich dass sie irgendwas zwischen feierlich und bedrückt war, dass allen Anwesenden der Ernst der Lage klar war und sie spürten: Jesus ist in höchster Gefahr und seine Verhaftung steht womöglich unmittelbar bevor. Gibt es da wirklich nichts Wichtigeres zu klären als die Hierarchie in der Gruppe? Anscheinend nicht.
Wir haben es ja in den vergangenen Wochen eindrucksvoll erlebt: Sowohl in der Kirche als auch in der Politik wurde mit geradezu ohrenbetäubendem Getöse über Fragen gestritten, deren Beantwortung in der Praxis kaum etwas ändern wird. Man konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es in Wahrheit auch hier um die Hierarchie in der Gruppe, also um die Macht, ging. Mindestens Horst Seehofer und Angela Merkel haben sich nicht einmal Mühe gegeben, das zu verbergen.
Die Erkenntnis der letzten Wochen lautet also: Machtfragen sind wichtig. Wenn sie nicht geklärt sind, blockieren sie alles. Das gilt übrigens nicht nur in der Politik. Machtkämpfe gibt es auch in der Familie, in Gremien, in Verbänden oder im Kollegenkreis. Wenn die Hierarchie – oder sagen wir: die Beziehungen untereinander nicht geklärt sind und dies nicht von allen akzeptiert ist, kann die banalste Frage zum großen Drama werden.
So gesehen ist es konsequent, dass Lukas diese Szene an so prominenter Stelle verortet. Und es ist interessant, wie Jesus reagiert. Interessant ist vor allem, was er nicht sagt. Er sagt nicht: „Spinnt ihr? Jetzt hört gefälligst auf zu streiten.“ Er sagt auch nicht: „Strebt auf keinen Fall ein Amt an.“ Oder: „Verweigert euch der Macht.“ Er sagt: „Der Größte unter euch soll werden wie der Kleinste und der Führende soll werden wie der Dienende.“ Um konkret zu beschreiben, was er meint, greift er die Situation auf, in der sie sich gerade befinden. Sie sitzen am Tisch und offenbar gibt es einen, der bedient. Nun kann man sich nicht vorstellen, dass dies Jesus war, dass also er herumgegangen ist, die Brotkörbe aufgefüllt und Wein nachgeschenkt hat. Dennoch beschreibt er sich so: Ich bin unter euch wie der, der bedient.
Was unterscheidet den Dienenden von den Mächtigen? Vor allem eins: ihr Blickwinkel. Der Diener hat die Gäste im Blick, er kümmert sich um deren Wohl, nicht um das eigene.
Genau das fällt einem wohl oft deswegen so schwer, weil man Angst hat, zu kurz zu kommen. Wenn man den anderen zu großzügig gibt, ist am Ende für einen selbst vielleicht nichts mehr da. Diese Sorge aber nimmt Jesus den Aposteln mit der Verheißung am Ende.
Vielleicht könnte man die Botschaft des Evangeliums so zusammenfassen: Gott hat dich im Blick. Du brauchst keine Angst zu haben. Du hast nichts zu verlieren! Diese Botschaft gilt Ihnen, gilt mir, sie gilt den Söders und Seehofers dieser Welt und natürlich auch den Bischöfen, die zu Libori im Dom predigen.
Zur Autorin:
Claudia Auffenberg ist Programmleiterin des Bonifatius-Verlages.