Warum Schwester Anselma und Schwester Sigrun länger bleiben
Einrichtungsleiterin Beatrix Wottke (von links) freut sich, dass Schwester Sigrun und Schwester Anselma das St. Antonius Seniorenhaus in der schwierigen Corona-Zeit weiter unterstützen.Foto: KHWE
Brakel. Anderthalb Jahrhunderte haben die Vincentinerinnen in Brakel gewirkt und die Stadt geprägt. In diesem Frühjahr sollten sie Brakel verlassen. Doch das Coronavirus verlängert den Aufenthalt der Ordensfrauen, die die Brakeler immer „unsere Schwestern“ genannt haben.
von Karl-Martin Flüter
Wegen der Epidemie muss die für den 10. Mai geplante Abschiedsfeier ausfallen. Nachgeholt werden soll die Veranstaltung vermutlich im Spätsommer oder Herbst. So lange werden die letzten beiden Schwestern Anselma und Sigrun dem St. Antonius Seniorenhaus erhalten bleiben.
Schwester Anselma lebt seit 30 Jahren in Brakel. „Das ist meine Heimat“, sagt sie, „hier lebe ich schon länger, als ich zu Hause bei meinen Eltern gewohnt habe.“
Schwester M. Anselma ist in der Nähe aufgewachsen, in einem kleinen Ort zwischen Bad Driburg und Nieheim. 1989 kam sie vom Paderborner Mutterhaus als Küchenschwester nach Brakel. Jenseits der 80 ist sie heute, aber immer noch jeden Tag aktiv, zuständig für die Kapelle und für andere Aufgaben. Sie zeichnet die Wäsche oder schaut nach den Hochbeeten im Garten.
Liebe zur Gärtnerei
Anselma kann sich daran erinnern, dass es auf dem Gelände des Seniorenhauses einen großen Gewürzgarten gab. Als Küchenschwester war sie dafür zuständig. Die Liebe zur Gärtnerei ist ihr geblieben. Der Platz neben den Hochbeeten ist – neben der Kapelle – ihr liebster Platz, wenn sie mal Ruhe sucht.
Vor 170 Jahren gründeten die Vincentinerinnen in Brakel die erste Niederlassung außerhalb Paderborns. Die barmherzigen Schwestern setzten eine lange Tradition fort, denn der Orden zog auf das Grundstück des ehemaligen Kapuzinerklosters. Der eröffneten sie ein Krankenhaus. Nachdem der Orden die Trägerschaft abgegeben hatte und das St. Vincenz Hospital an einen neuen Standort gezogen war, bezogen die Schwestern den Konvent im St. Antonius Seniorenhaus. Seit 1945 hatten die Vincentinerinnen schon alte Menschen in Brakel gepflegt, zuerst im “Annenhaus”, dann im „St. Antonius-Stift“, aus dem dann das „St. Antonius Seniorenhaus“ wurde.
Der Alltag der Schwestern ist immer gleich geblieben. An vier Tagen der Woche feiern sie heute die heilige Messe in der Kapelle des Altenheims, freitags und sonntags besuchen sie die Pfarrkirche. Regelmäßig gehen sie zur ewigen Anbetung in die Kapelle oder beten dort den Rosenkranz. Um 17.30 Uhr beendet die Vesper den Tag, dann essen sie gemeinsam, schauen noch ein wenig Fernsehen, bevor Schwester Anselma wie immer durch den Garten geht, die Kapelle schließt und der Tag früh beendet.
Feste und Feiern
In den Jahresablauf der Feste und Feiern in Brakel sind die Schwestern gut eingebunden. Es ist eine alte Tradition, dass die Prozession an Fronleichnam Station im Innenhof des Altenheims macht. Zum Schützenfest kommen die Schützen und auch das Namensfest des heilige Antonius wird im Garten gefeiert. Der heilige Martin zieht von hier mit seinem Pferd und gefolgt von vielen Kindern mit Laternen in die Stadt. Immer sind die Schwestern dabei, oft haben sie die Veranstaltungen vorbereitet. In Brakel prägt die christliche Religion immer noch den Jahreslauf. Den Schwestern gefällt das.
Beten und arbeiten gehören im Alltag der Vincentinerinnen fest zusammen. Deshalb ist das Seniorenhaus gleichzeitig das Zuhause, der Arbeitsplatz und der Ort, an dem die Schwestern ihren Glauben leben.
Viele Nächte am Bett von Sterbenskranken
Schwester M. Sigrun hat viele Nächte am Bett von sterbenskranken Menschen verbracht. „Oft müssen wir ja auch die Angehörigen mitbetreuen“, sagt sie. Sie kommt aus Herne im Ruhrgebiet und hat jahrzehntelang im westlichen Teil des Erzbistums als Heilpädagogin gearbeitet. Als sie nach 40 Jahren Jugendarbeit fühlte, dass sie zu alt für diese Aufgabe wurde, schulte sie zur Krankenseelsorgerin um.
Die Eingewöhnung in Brakel ging schnell. Schwester Sigrun wurde Mitglied des Pfarrgemeinderats und war irgendwann, „ohne dass ich das gewollt habe“, Koordinatorin der etwa 40 ehrenamtlichen Helferinnen im Seniorenhaus St. Antonius. Ihre heilpraktische Erfahrung und ihre gesprächstherapeutische Ausbildung halfen ihr immer noch im Alltag, etwa in der Unterstützung von Angehörigen, aber auch in den Wohngruppen, wenn sie dort Gedächtnistrainings anbietet.
Die jüngste der zuletzt noch drei Vincentinerinnen in Brakel, Schwester Cornelia, ist bereits vor einigen Wochen in Richtung Paderborn umgezogen. Dass ihr Mitschwesterinnen vorerst bleiben, freut die Einrichtungsleiterin des St. Antonius Seniorenhauses Beatris Wottke. „Die Schwestern bedeuten uns hier sehr viel“, sagt sie. „Sie gehören zum Ablauf dazu und übernehmen Aufgaben, die wir im Alltag der Pflege nur schwer leisten können, wie die intensive Betreuung von Sterbenden. Auch nachts reicht da ein kurzer Anruf: Könnt ihr kommen?“
Schwestern werden fehlen
Schwester Anselma und Schwester Sigrun macht es nichts aus, ihren Ruhestand um ein paar Monate zu verschieben, eher im Gegenteil. Im Spätsommer oder Herbst werden sie aber doch das St. Antonius Seniorenheim verlassen und in Borchen, im „St. Vincenzhaus“, einen neuen Lebensort finden. Das „St. Vincenzhaus“ ist neben dem Mutterhaus in Paderborn der Rückzugsort für den kleiner werdenden Orden.
Anselma und Sigrun und Cornelia haben erlebt, wie die Zahlen der Mitschwestern abnahmen, wie der Orden Konvente und Einrichtungen aufgeben und sich auf wenige Standorte konzentrieren musste. Nicht nur in Brakel endet etwas – aber es bleibt auch etwas. „Die Schwestern haben die Brakeler Stadtgeschichte und das caritative Leben in der Gemeinde St. Michael maßgeblich geprägt“, sagt Pfarrer Willi Koch. „Sie werden uns sehr fehlen.“