WDR-Stadtgespräch – Worte gewechselt, sprachlos geblieben
WDR-Stadtgespräch: Diskutierten über die Lage der Kirche: Moderatorin Judith Schulte-Loh, WDR-Kirchenexperte Theo Dierkes, Nadine Mersch, Vorsitzende des Diözesankomitees, und Domvikar Dr. Michael Bredeck, Leiter des Bereiches Pastorale Dienste im Erzbischöflichen Generalvikariat (v. l.). (Fotos: Auffenberg)
„Wie kann die Kirche Vertrauen zurückerobern?“ war das WDRStadtgespräch aus Paderborn überschrieben. Eine Antwort gab es in der Sendung nicht. Aber eines wurde in den knapp 60 Minuten deutlich: So wie die katholische Kirche aktuell agiert, gewinnt sie verlorenes Vertrauen nicht zurück.
Paderborn. Geredet wurde eine ganze Menge. Kein Wunder bei einer Hörfunksendung. Viel Richtiges und Wichtiges wurde gesagt. Etwa von Theo Dierkes in seiner Analyse der Lage der katholischen Kirche. Der WDR-Kirchenexperte stellte fest, dass der Anspruch, den sich die Kirche nach dem Konzil gegeben hatte, ein Instrument zu sein, „das die Gesellschaft verbindet“, sich nicht mehr erfüllen lasse. Das Werkzeug sei schlicht „kaputt“. Oder wenn Dr. Michael Bredeck, Leiter des Bereiches Pastorale Dienste im Erzbischöflichen Generalvikariat, angesichts des Missbrauchsskandals „Hinhören, Anhören und Zuhören“ ganz oben auf die To-do-Liste setzte und Nadine Mersch, die Vorsitzende des Diözesankomitees, ergänzte, dass auf das Hören schnelles Handeln folgen müsse.
Es war an Reinhold Harnisch, dem Sprecher der gerade gegründeten Betroffenenvertretung zum sexuellen Missbrauch, das Gesagte mit der Realität zu konfrontieren und fehlendes oder fehlerhaftes Handeln vehement zu kritisieren: „Es ist unerträglich, wie die Kirche mit dem Thema umgeht!“ Man stecke Betroffene in die Opferrolle und halte sie so möglichst klein, „gängele“ sie sogar. Daran könne auch die gute Zusammenarbeit mit der Interventionsstelle des Erzbistums nichts ändern. Denn das Entscheidende fehle: „Die Verantwortlichen müssen Verantwortung auch übernehmen.“ Diese könne man nicht delegieren, das sei ein Grundsatz von Unternehmensführung: „Das ist Chefsache!“ Harnisch wurde deutlich und sprach in diesem Zusammenhang von „Feigheit“.
WDR-Stadtgespräch: „Wir werden wieder nicht wahrgenommen.“
Hinzu komme, dass Zuhören nach jahrzehntelangem Weghören nicht nach Glaubwürdigkeit klinge. Kernpunkt von Harnischs Kritik: Die Tatsache, dass die Amtszeit von Erzbischof Hans-Josef Becker von der derzeit an der Universität Paderborn laufenden Studie (Der Dom berichtete) ausgenommen ist. Er, so Harnisch, habe das Gefühl, dass der Erzbischof, der vorher schon als Personalchef Verantwortung getragen habe, „sich in den Ruhestand retten“ wolle. Enttäuscht sei man aufseiten der Betroffenen von den Verantwortungsträgern auch, weil es keinerlei Äußerungen oder Reaktionen gebe: „Wir werden wieder nicht wahrgenommen.“
Der Umgang mit den Missbrauchsbetroffenen zeigt beispielhaft, wie tief die katholische Kirche in einer Sackgasse steckt. Das machten die anschließenden Statements von Nadine Mersch und Dr. Bredeck deutlich. Die Vorsitzende des Diözesankomitees beklagte die fehlende Anteilnahme und vermutete juristische Gründe, dafür habe sie allerdings kein Verständnis. „Mir ist klar, dass Menschen das nicht verstehen“, sagte der Leiter des Bereiches Pastorale Dienste. Bredeck sagte während der Sendung in diesem Zusammenhang, die katholische Kirche habe festgestellt, dass die Aufarbeitung des Missbrauchs nicht in Eigenregie funktioniere. Das sei für viele Betroffene schmerzhaft bzw. unerträglich gewesen. Deshalb seien externe Experten hinzugezogen worden.
Eine fatale Situation – Handeln passt nicht zum Anspruch
Eine fatale Situation: Man weiß, was zu tun ist, doch es geschieht nichts. Die Folgen sind katastrophal, denn es läuft auf ein Handeln entgegen den eigenen Grundsätzen hinaus – unverzeihlich für eine Institution, die die Nächstenliebe in den Mittelpunkt stellt. Und mit verheerenden Folgen, wie schon die Statements von Teilnehmern zu Beginn der Sendung deutlich gemacht hatten: „Das Handeln passt nicht zum Anspruch“, so die Aussage einer Frau, die Kirche lange als ihre Heimat betrachtet hatte. Das Vertrauen sei weg, erklärte jemand, der aus diesem Grund ausgetreten war. Die Menschen bräuchten Hoffnung, doch die Kirche habe alles verspielt, so ein dritter. Die Gläubigen verlieren die Geduld mit ihrer Kirche, weil sie zögert und zaudert, wenn es um die eigene Verantwortung geht.
Klartext hatte auch eine Zuhörerin geredet, der bei dem Bekenntnis „zuhören zu wollen“ buchstäblich der Kragen platzte: „Sie haben keine Ahnung, wovon gesprochen wird. Da nützt auch das Zuhören nichts!“ Das gelte auch für sich wiederholende Schuldeingeständnisse und Bitten um Verzeihung: „Das ist leere Symbolik!“
Nach der umfassenden Beschreibung der Katastrophe klang das Schlusswort von Theo Dierkes wie ein Appell. Sowohl an diejenigen, für die die katholische Kirche „gestorben“ ist, in erster Linie aber wohl eher an diejenigen, die in ihr Verantwortung tragen: „Die Kirche wirkt in die Gesellschaft. Sie ist nötig!“
Die Eingangsfrage der Sendung WDR-Stadtgespräch blieb nach 55 Minuten unbeantwortet. Auf andere Fragen wurden Antworten gegeben. Doch nur wenig passte zueinander – symptomatisch für die Situation zwischen Kirche und Gläubigen. Und manchen dürfte diese Frage von Moderatorin Judith Schulte-Loh auch nach der Sendung noch beschäftigen: „Hat die Kirche die existenzielle Situation nicht verstanden?“
Andreas Wiedenhaus