„Wehret den Anfängen“ – Bundestagung der Polizeiseelsorger
Podiumsdiskussion im Liborianum in Paderborn. Polizeibischof Wolfgang Bischof, Carsten Dübbers, Dr. Christian Strenz, Nadine Könning, Harald Schneider und Monsignore Wolfgang Bender (v. l.). (Foto: Patrick Kleibold)
Die Zahl der Menschen mit rechtsextremistischen Einstellungen ist in Deutschland erneut gestiegen. Auch die Polizeibehörden sind nicht frei von Vorwürfen. 86 Polizeiseelsorger diskutierten in Paderborn darüber, wie wichtig das frühzeitige Vorgehen gegen extremistische Tendenzen in der Polizei ist.
Paderborn. Polizeiarbeit kritisch zu hinterfragen, galt in Deutschland lange als Tabu. Spätestens seit dem Bekanntwerden rassistischer Vorfälle in den Reihen der Polizei sehen Wissenschaft und Medien nun genauer hin. Anlässlich rechtsextremer und rassistischer Chats innerhalb der Polizei Nordrhein-Westfalen, verstärkte Innenminister Herbert Reul die Bekämpfung des Rechtsextremismus innerhalb der Behörden. Er kündigte „einschneidende Konsequenzen“ an und sprach von einer Null-Toleranz-Strategie, die nach außen und nach innen gelte. „Das dürfen die Verfassungsfeinde in unseren Reihen durchaus als Drohung empfinden und die Anständigen in unseren Reihen als Ermutigung“, sagte Reul.
Intensiv diskutiert wurden die Hintergründe und Auswirkungen von extremistischen Tendenzen in der Polizei auch während der jährlichen Fachtagung der Bundesarbeitsgemeinschaft der katholischen Polizeiseelsorge im Liborianum in Paderborn. Daran teilgenommen hatten 86 Polizeiseelsorgerinnen und -seelsorger aus ganz Deutschland. „Zum Glück gibt es nur wenige strafrechtlich relevante Fälle innerhalb der Polizeibehörden“, sagte Organisator Monsignore Wolfgang Bender (62) während der Tagung.
Bender selbst ist gemeinsam mit sieben nebenamtlichen Polizeiseelsorgern im Erzbistum Paderborn in der Polizei-, Feuerwehr- und Notfallseelsorge tätig. Sie unterstützen, beraten und begleiten Mitarbeitende der Polizei bei der Bewältigung ihrer Aufgaben, bei dienstlichen Ereignissen und Konflikten, aber auch bei privaten Sorgen und Nöten. Auch wenn es nur wenige strafrechtlich relevante Fälle gäbe, müsse die Politik und die Polizei auf jeden noch so kleinen Verdacht extremistischer Tendenzen reagieren und diese schon im Entstehen ersticken. In dem oben geschilderten Fall hätte die Polizei NRW sehr gut reagiert und klare Handlungsrichtlinien für die Gegenwart und die Zukunft festgelegt, fügte Bender hinzu.
Umdenken gefordert
Das NRW-Innenministerium hatte im vergangenen Herbst 62 Verdachtsfälle gemeldet, drei davon entfielen auf Ostwestfalen-Lippe. Trotz aller Anstrengungen seien extremistische Tendenzen jedoch nicht gänzlich zu verhindern, schließlich sei die Polizei auch nur ein Querschnitt der Gesellschaft, sagte Kriminaloberrat Carsten Dübbers von der Stabsstelle Rechtsextremismus im NRW-Innenministerium. Als problematisch bezeichnete er, dass jahrelang nicht über die Strukturen der Polizei diskutiert worden sei. Wenn rechtsextremistische Fälle aufgetreten sind, sei immer gesagt worden: „Das war ein Einzelversagen oder das waren Einzelpersonen. Da brauchen wir ein Umdenken.“ Zugleich betonte Dübbers, er glaube nicht, dass die Strukturen der Polizei rassistisch seien. Alles, was gelehrt und beigebracht würde, sei das Gegenteil. Dübbers fügte jedoch hinzu: „Aber wir bieten Strukturen, wo sich Phänomene wie Rassismus gut ausleben können. Das müssen wir anerkennen und dann an den Strukturen arbeiten.“
Neben Dübbers stellten sich während einer Podiumsdiskussion die Kriminalrätin Nadine Könning von der Hochschule für die Führungskräfte der Polizei und Ex-Polizeipräsident Harald Schneider (63), zuletzt Chef der hessischen Bereitschaftspolizei in Wiesbaden, den Fragen der Polizeiseelsorger. Moderator und Seelsorger Dr. Christian Strenz stellte eingangs die Frage: „Was können wir tun, um Missstände ausfindig zu machen und offen anzusprechen?“. Eine erste Antwort lieferte er gleich mit: „Wehret den Anfängen!“
Diese Steilvorlage nahm Kriminalrätin Nadine Könning und formulierte erste konkrete Überlegungen, um extremistische Tendenzen überhaupt nicht erst entstehen zu lassen. „Neben der Polizeistruktur müssen wir auch die Führungs- und Personalstruktur in den Blick nehmen.“ Es sei von großer Bedeutung, die Führungskräfte regelmäßig zu schulen und für die Problemfelder zu sensibilisieren. Entscheidend sei, dass nicht nur die jungen Polizeianwärter immer wieder angeregt werden, selbstreflexiv zu urteilen und zu handeln, sondern auch die Kolleginnen und Kollegen, die bereits seit vielen Jahren im Beruf tätig seien. „Regelmäßige Schulungen sind definitiv der richtige Ansatz“, sagte Könning.
Glaubwürdig agieren
Ein weiterer Ansatz seien disziplinarische Maßnahmen. Eine gute Führungskultur dürfte keinerlei rechtsradikale Tendenzen dulden. Leider gebe es solche Maßnahmen noch viel zu selten, sagte Dübbers. „Wie in allen gesellschaftlichen Bereichen gehe es darum, glaubwürdig und konsequent nach innen und nach außen zu agieren. Die Lösung selbst liegt in der Organisation“, fügte Schneider hinzu.
Neben einigen Lösungsansätzen benannten die Podiumsteilnehmer auch Gründe, die extreme Tendenzen verstärken könnten. Dazu zählten die Überlastung der Polizistinnen und Polizisten, gesellschaftliche Veränderungen durch Migration und Zuwanderung und eine fehlende sprachliche Sensibilität. Insbesondere die Art und Weise, wie miteinander kommuniziert würde, müsse immer wieder in den Blick genommen werden. Jeder Mensch reagiere unterschiedlich auf Sprache. Niemand dürfe durch sprachliche Ausdrücke ausgeschlossen oder in eine Ecke gerückt werden, sagte Könning. Aus dem Plenum selbst kam der Vorschlag, die Beamtinnen und Beamten auch mit Blick auf die sozialen Medien zu schulen. Menschen, die eine gute Medienkompetenz besäßen und Information von rassistischer Propaganda unterscheiden könnten, seien weniger anfällig für rechtsradikale Parolen, sagte ein Teilnehmer.
Polizeiseelsorger leisten Dienst an den Menschen
Begrüßt wurden die Polizeiseelsorger von Polizeibischof Wolfgang Bischof. Die Tagung, so sein Wunsch, soll die Seelsorgerinnen und Seelsorger auch für den Dienst an den Menschen, die für Recht und Ordnung, für Frieden und Sicherheit, für Demokratie und Meinungsfreiheit eintreten, stärken. Bischof sprach auch die besondere geschichtliche Situation an. Die Polizeiseelsorgerinnen und -seelsorger haben ihr Treffen an Tagen, in denen das Gedenken an das Ende des Zweiten Weltkrieges begangen wird und es war nicht klar, was Präsident Putin bei der Siegesfeier in Moskau sagen würde. „Die Spekulationen und Befürchtungen waren ja groß. Gott sei Dank gab es außer den bekannten rhetorischen Floskeln keine neue verbale Eskalation“, sagte Bischof.
Patrick Kleibold