07.08.2020

Wenn die Fenster vergittert sind

Nicht nur die Zellen, auch das Beratungszimmer ist in der JVA mit Stahlbeton vergittert. Foto: Markus Jonas

Bielefeld. Mit einem lauten Krachen fällt die schwere Tür ins Schloss. Andreas Werner nimmt ein dickes Schlüsselbündel und schließt hinter sich ab. Am Ende eines langen Flures wartet die nächste vergitterte Flurtür. Es dauert eine ganze Weile, bis er den Weg quer durch die verschlossenen Türen der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bielefeld-Brackwede bis zum Beratungsbüro im Hafthaus2 zurückgelegt hat.

Einmal in der Woche kommt der Sozialarbeiter des „SKM– Katholischer Verein für soziale Dienste“ Bielefeld zu den Untersuchungshäftlingen und bietet ihnen eine unabhängige Beratung an. „Es geht um eine Erstversorgung für Inhaftierte“, erzählt er. „Es gilt, Dinge zu regeln, die den Übergang in eine Strafhaft abmildern.“ Seit sieben Jahren ist er in der freien Straffälligenhilfe tätig. Während des Höhepunktes der Corona-Krise musste er seine Beratung zwar für sechs Wochen unterbrechen, seit Mai finden die Beratungen aber wieder statt.

Kein Telefonieren

Neun U-Häftlinge hoffen heute auf seine Hilfe. Ihre Anfragen hat er in seinem Postfach in der JVA gefunden. „Die Inhaftierten unterliegen jeder Menge Beschränkungen, dürfen zum Beispiel nicht telefonieren. Ihr Hauptanliegen ist deshalb oft, dass ich den Rechtsanwalt oder ihre Frau anrufe.“ Sie könnten zwar einen Brief schreiben, aber das sei für die meisten „total ungewohnt“. Zudem werde der zunächst an die Staatsanwaltschaft geschickt und streng kontrolliert. „Zwei bis drei Wochen dauert das.“ In Zeiten von WhatsApp eine Ewigkeit.

Daniel Rilli schaut bei Andreas Werner vorbei und erkundigt sich nach seinem Befinden. Er ist stellvertretender Leiter der sozialen Dienste in der JVA, berät also auch Gefangene– allerdings mit einem anderen Schwerpunkt. „Wir verfassen auch Stellungnahmen für das Gericht“, erklärt er. „Deshalb ist es gut, dass auch ein Berater von einem externen Träger kommt.“ Der könne unabhängig aus rein sozialpädagogischer Sicht beraten. Für die U-Haft sei es deshalb „sehr wertvoll“, Kräfte von außen zu haben.

Besucher beantragen 

Andreas Werner hat inzwischen eine Reihenfolge in die Liste von Häftlingen gebracht und übergibt sie einem JVA-Beamten. „Können wir mit diesem Inhaftierten anfangen?“ „Können wir machen.“ Der JVA-Beamte holt den ersten aus seiner Zelle, einen stämmigen, bärtigen Mann mit Tätowierungen am Hals und Arm, den Andreas Werner schon einmal beraten hat. Verhaftet wurde er wegen Betruges. Die Schwester hat inzwischen 100 Euro für den persönlichen Bedarf überwiesen, steht aber noch nicht auf der Besuchsliste. „Das muss sie bei der Staatsanwaltschaft beantragen“, erklärt er ihm und weist dann auf einen bürokratischen Fallstrick hin. „Weiß die Krankenkasse schon Bescheid, dass Sie in Haft sind?“ Weiß sie nicht. Während einer Haftzeit ruht die Mitgliedschaft, der Staat übernimmt die Krankenversorgung. Doch: „Wenn die Kasse nicht informiert wird, berechnet sie den Höchstsatz“, erklärt Werner. Nach zwei bis drei Jahren Haft könnten so Schulden von bis zu 30000 Euro zusammenkommen.

Weg vom Bielefeld

Der nächste Häftling, ein schmächtiger, blonder Mann, hat ein ungewöhnliches Problem. Er macht sich Sorgen, dass er nur eine Bewährungsstrafe bekommen könnte. Sein Anwalt habe ihm das in Aussicht gestellt. „Ich habe mit zwei Jahren gerechnet“, erzählt er Andreas Werner, hat deshalb die Wohnung gekündigt. „Wenn ich raus komme, bin ich wohnungslos. Das macht mir Angst.“ Der Sozialarbeiter beruhigt ihn, weist ihn darauf hin, dass er auf seinen Hilfebedarf auch vor Gericht hinweisen könne. Der U-Häftling fasst Vertrauen, erzählt, über sich selbst verwundert, dass er sich erstaunlich schnell in der Haft eingelebt habe. „Ich erlebe, dass die Haft auch wie ein Schutz sein kann.“ Nach der Haft will er weg von Bielefeld und eine Therapie machen.

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