Wertvolles, Unersetzliches und Witziges
Herbert Rickert in seinem Turmmuseum am Stehpult von Pastor Schnurbus.
Foto: Krehl
Das kleine Turmmuseum von St. Marien in Schwerte ist mehr als ein Sammelsurium
Schwerte. Es gibt eine niedrige, etwas versteckte Tür in der Taufkapelle der großen Schwerter Pfarrkirche St. Marien. Hier beginnt die enge Wendeltreppe in den Westturm. Herbert Rickert klettert trotz seiner 78 Jahre die 104 Stufen sehr behende hinauf. Seit über 20 Jahren tut er das, leider nur selten in Begleitung. Oben im Turm warten auf drei Etagen die nostalgischen Schätze des Turmmuseums. Herbert Rickert ist Museumsdirektor, Museumsführer und Reinigungskraft in einer Person. Unendlich viel Arbeit steckt in dieser Einrichtung, von der in der Gemeinde selbst tatsächlich nur wenige wissen. „Es findet sich niemand, der hier hilft, deshalb ist es vielleicht ganz gut, dass nicht ganz so viele Leute das Museum sehen wollen“, sagt Herbert Rickert. Führungen gibt es nur auf Anfrage im Pfarrbüro, Öffnungszeiten hat das Museum keine.
Und dabei ist es so eine wundervolle Mischung aus historisch Wertvollem, Unersetzlichem, aus spannenden Zeugnissen der Schwerter Stadt- und Kirchengeschichte, aus Witzigem und Skurrilem. In den Turm sind mit schweren dunklen Eichenbohlen drei Etagen eingezogen worden, darauf stehen Vitrinen und Schränke. Quasi begrüßt wird der Besucher von einem Pfarrer in Soutane, einer Ordensfrau in Tracht und einem richtigen Kirchen-Schweizer. „Ja, so einen Aufseher mit rotem Mantel gab es tatsächlich mal in St. Marien“, erzählt Rickert.
Dabei lehnt er am wuchtigen Stehpult von Pastor Schnurbus. Man kann sich lebhaft vorstellen, wie der legendäre Schwerter Pfarrer Lorenz Schnurbus um den ersten Weltkrieg herum dort seine launigen Predigten und Anekdötchen verfasste.
Pfarrer Hans-Heinz Riepe hatte Ende der 80er-Jahre den Anstoß gegeben, solch ein Museum einzurichten. 1991 wurde es eröffnet. Herbert Rickert war von Anfang an dabei. Was die Renovierungen und Ausräumaktionen in St. Marien heil überstanden hat, fand in Rickerts Museum Asyl: große Marmor- und Steinfiguren, etliche Heilige, eine gewaltige eichene Herz-Jesu-Statue. Die Fahnen von gemeindenahen Vereinen und Verbänden werden hier, zwischen Mottenpapier hängend, sorgsam aufbewahrt.
Alle denkbaren Utensilien wie Weihrauch-Schwenker, Kelche, Monstranzen, Reisealtäre, Kreuze, kostbare goldbestickte Messgewänder sind hier zu bestaunen. Die Schränke und Vitrinen sind perfekt ausgeleuchtet. Für die konservierend-bewahrende Archivatmosphäre sorgen Heizkörper und Lüftungsfenster.
Die schönen alten, etwa meterhohen Krippenfiguren stehen hier – vor allem ältere Gemeindemitglieder können sich an die prächtige Krippe noch erinnern. Leider sind die Figuren aus Gips – „mit der Zeit sind sie sehr anfällig geworden, die bewegt man am besten gar nicht mehr“, sagt Herbert Rickert.
Mit Fotos, alten Stichen und Plänen kann Rickert die Geschichte der Gemeinde lückenlos belegen. Die hat 1243 natürlich ihren Anfang in St. Viktor genommen, das ist heute die evangelische Stadt- und Marktkirche in Schwerte. Erst um 1600 wurde den Schwerter Katholiken die Mitbenutzung von St. Viktor verwehrt.
1862 wurde die erste katholische Kirche in Schwerte errichtet, 20 Jahre zuvor war die Gemeinde offiziell gegründet worden. Das Gotteshaus wurde schnell zu klein, 1904 wurde die jetzige Marienkirche an der Goethestraße geweiht. Aus Kostengründen wurde auf den großen Kirchturm an der Straßenfront verzichtet – im Museum steht das Modell noch. Mit Turm.
Für die Glockenstühle mussten also die kleinen Türme am hinteren Ende der Kirche reichen. Vom engen Wendeltreppenhaus im Westturm aus ist ein Blick auf den Dachstuhl von St. Marien erlaubt. Auf Stegen und Leitern könnte man hoch über dem Kirchschiff spazierengehen. Das ist aber dem Küster und Handwerkern vorbehalten. In der Etage über dem Museum gelangt der Besucher in die alte Glockenstube. Tatsächlich hängen hier noch zwei gewaltige Glocken, es waren einmal vier. Zwei wurden wegen ihres Gewichtes ausgelagert und stehen jetzt auf einer Grünfläche neben St. Marien. Herbert Rickert lädt ein, an einem dünnen Drahtseil einmal kurz zu ziehen – „aber wirklich nur kurz“. Mit fast ohrenbetäubendem Gongschlag macht sich das eigentlich stillgelegte alte Geläut bemerkbar. Das modernere Läutwerk, das heute benutzt wird, hängt im Zwillingsturm auf der anderen Seite des Kirchbaus.
Unter den Glocken beeindruckt noch ein gewaltiger Blasebalg den Besucher. „Der stammt aus einer sauerländischen Schmiede, mit St. Marien hat der eigentlich nichts zu tun“, erklärt Herbert Rickert. Besuchern, vor allem Kindern, dient er zur Anschauung: Mit enormer Kraftanstrengung können einige ausrangierte Orgelpfeifen zum Klingen gebracht werden.
Hier oben in der Glockenstube wird auch der alte Wetterhahn von St. Marien aufbewahrt, nach einer Turmdach-
sanierung sollte er nicht mehr wieder nach draußen. Der Grünspan verzierte Gockel ist ordentlich durchsiebt: „Da ist im Weltkrieg drauf geschossen worden“, weiß Herbert Rickert.
Zurück im eigentlichen Museum wehrt Herbert Rickert einen Gedanken ein bisschen ab: „Ich nehme nichts mehr an. Das ist hier kein Trödelladen und kein Flohmarkt“. Herbert Rickert möchte die einzigartige Atmosphäre des kleinen Turmmuseums mit seinen Schätzen so lange bewahren wie er kann. Schon lange sind keine Gegenstände oder Bilder mehr in die Sammlung aufgenommen worden, es gäbe auch gar keinen Platz mehr im Schwerter Turmmuseum in St. Marien.
von Martin Krehl