Wie Foodsaver Lebensmittel vor dem Müll retten
Bei solch einem Überangebot landet schnell zu viel im Einkaufswagen. Was man selbst nicht isst, muss man nicht wegwerfen. Eine Idee, Lebensmittel weiterzugeben, ist „Foodsharing“. Foto: ElasticComputeFarm / Pixabay
Paderborn. Millionen Tonnen von Lebensmitteln landen in Deutschland jedes Jahr im Müll. Das meiste davon ist noch genießbar und „zu gut für die Tonne“. Eine der Initiativen, die sich dagegen engagiert ist „Foodsharing“: Ehrenamtlich aktive „Food saver“ retten Nahrungsmittel vor der Vernichtung und verteilen sie weiter. Einer von ihnen ist Stefan Heid aus Paderborn. Der Dom sprach mit ihm unter anderem darüber, was jeder Einzelne gegen Lebensmittelverschwendung tun kann.
Herr Heid, was wird bei Ihnen in diesem Jahr Weihnachten auf den Tisch kommen?
Das weiß ich noch gar nicht! Es gibt da keine festen Regeln oder Rituale, nach denen es an diesen Tagen immer das Gleiche geben muss. Ich schaue mal. Das hängt auch davon ab, wer kommt. Man muss ja in diesem Jahr abwarten, wie sich das entwickelt.
Sie engagieren sich als „Food saver“, das heißt, Sie retten Lebensmittel davor, im Müll zu landen. Wie funktioniert das, und wer kann da mitmachen?
Grundsätzlich ist jeder willkommen, aktuell sind wir aber in erster Linie jüngere Leute. Auf jeden Fall würden wir uns freuen, wenn sich der Altersdurchschnitt heben würde, weil dann ein größerer Teil der Gesellschaft abgebildet würde. Das ist für eine ehrenamtliche Plattform ja wichtig! Denn ein Teil unseres Engagements liegt auch darin, das Problem deutlich zu machen und es den Leuten bewusst zu machen. Umso wichtiger ist es, dass nicht ein kleiner ausgewählter Kreis aktiv ist, sondern möglichst viele aus allen Teilen der Gesellschaft. Wir setzen also viel auf Offenheit und Durchlässigkeit.
Wie läuft das ganz konkret?
Es gibt die Internetseite „www.foodsharing.de“. Darüber strukturieren wir uns – in Paderborn, deutschlandweit und in der gesamten EU. Wenn man sich angemeldet hat und seine ersten Einführungsabholungen mit anderen „Foodsavern“ gemacht hat – damit man weiß, wie alles abläuft –, kann man sich eintragen und bei Abholungen aktiv werden.
Was hat für Sie den Ausschlag gegeben, sich zu engagieren?
Für mich fiel das in eine Zeit, in der ich auf der Suche nach neuen Leuten war, mit denen man gemeinsame Interessen hat – etwa beim Thema Nachhaltigkeit. Konkret habe ich über eine Bekannte Kontakt bekommen und war dann recht schnell selbst aktiv.
Sie holen Lebensmittel ab und geben sie weiter, zum Beispiel über öffentliche Verteilungspunkte, Ihre „Fairteiler“?
Genau, im Unterschied zu den Tafeln, die primär Lebensmittel für Bedürftige zur Verfügung stellen, sind es bei uns eher kleinere Mengen, die wir vor dem Wegwerfen bewahren. Wir hätten für größere Mengen auch kaum die nötige Logistik. Unser erstes Ziel ist, die Verschwendung von Lebensmitteln zu verhindern. Wir holen auch kleine Mengen ab, bei denen für die Tafeln der logistische Aufwand zu groß wäre.
Beim Containern, das heißt wenn Lebensmittel aus Müllcontainern bei Supermärkten mitgenommen werden, ist ja immer noch nicht die Frage nach der Legalität geklärt. Sie arbeiten aber ganz offiziell?
Genau! Im Gegensatz zum Containern haben wir zum Beispiel mit Betrieben konkrete Kooperationsvereinbarungen. Sie sind Vertragspartner, bei denen wir Lebensmittel abholen. Das läuft von der Struktur her ähnlich wie bei den Tafeln, aber wir sind halt in einer anderen Größenordnung unterwegs.
Beim „Foodsharing“ kann man also ohne großen Aufwand mitmachen – auch als Anbieter?
Grundsätzlich schon, nur ist es natürlich auch bei uns durch Corona etwas aufwendiger. Praktisch sind wir momentan immer nur zu zweit unterwegs. Das wird bei größeren Mengen manchmal schwierig, aber da gibt es dann die Möglichkeit, Lebensmittel zwischenzulagern. Hinzu kommen die beiden öffentlichen „Fairteiler“, von denen aktuell aber nur der in der Paderborner Stadtbibliothek geöffnet ist. Dorthin kann jeder Lebensmittel bringen, aber wir können diesen „Fairteiler“ auch nutzen, wenn eine andere Weitergabe nicht möglich ist.
Ansonsten wird die Verteilung von den „Foodsavern“ selbst organisiert?
Jeder ist grundsätzlich dafür verantwortlich, die Lebensmittel, die er abholt, weiter zu verteilen. Das ist in der Regel kein Problem. Jeder hat sein persönliches Netzwerk mit Freunden und Bekannten oder Nachbarn. Hinzu kann jeder von uns bei den Kurznachrichtendiensten entsprechende Informationen veröffentlichen: Kurz ein Foto reinstellen und schon haben die anderen Mitglieder der Gruppe die Info. In Paderborn haben über 400 Menschen darauf Zugriff. Die Verteilung ist also in der Regel überhaupt kein Problem!
Gibt es in Paderborn schon über 400 „Foodsaver“?
Zu dieser Gruppe gehören auch andere, nicht nur die Aktiven. Aber grundsätzlich haben alle Gruppenmitglieder Interesse an dem Thema. Die Verteilung läuft häufig auf dieser Ebene, während die eigentliche Organisation des Sammelns über die offizielle Plattform „ foodsharing.de“ läuft. Das ist wichtig, um zum Beispiel gegenüber Firmen, die Lebensmittel abgeben, offiziell auftreten zu können, etwa als Vertragspartner.
In Deutschland landen ja wahnsinnig viele Lebensmittel in der Tonne. Sind sie einfach zu billig?
Das hat viel mit mangelnder Wertschätzung und fehlendem Problembewusstsein zu tun. Ich glaube nicht, dass das Problem damit aus der Welt wäre, wenn Lebensmittel einfach teurer würden. Ich wünsche mir eher, dass jeder sein persönliches Verhalten hinterfragt. Wenn es zum Beispiel wieder normal würde, sich im Restaurant die Reste einpacken zu lassen! Sie also mitzunehmen und weiterzuverwenden, statt sie dort entsorgen zu lassen. Jeder Deutsche wirft pro Jahr rund 80 Kilogramm Lebensmittel weg. Das ist die Menge, die er selbst in den Müll befördert! Und das ist deutlich mehr, als zum Beispiel Einzelhandel oder Industrie vernichten! Die meisten Lebensmittel landen wirklich im Privatbereich im Müll. In der Industrie wird sehr spitz gerechnet, denn alles, was dort weggeworfen wird, kostet die Unternehmen Geld! Jeder und jede Einzelne sollte sich deshalb mit dem Thema auseinandersetzen.
Momentan wird ja angesichts von Corona immer wieder von Hamsterkäufen berichtet, und gerade vor Weihnachten wird ja großzügig eingekauft. Wahrscheinlich landet einiges davon ebenfalls im Müll. Wie sehen Sie das?
Der Einkauf ist das eine. Auf der anderen Seite habe ich den Eindruck, dass viele auch schlicht nicht mehr wissen, wie man Reste verwertet oder was man zum Beispiel aus altem Brot noch machen kann. Es passiert immer wieder, dass man Brot zu viel gekauft hat und es dann trocken wird. Das muss man ja nicht wegwerfen. In der deutschen Küche gibt es einiges an Gerichten, die auf trockenem Brot basieren – zum Beispiel die „Armen Ritter“. Marmelade kochen oder Einkochen – auch damit kann man Lebensmittel vor dem Verderben bewahren. Aber es stimmt natürlich: Wenn man beim Einkauf das nötige Augenmaß hat, ist es am einfachsten!
Wenn ich jetzt aber trotzdem nach den Feiertagen dastehe und sehe, ich kann es allein gar nicht essen. Können mir die Paderborner „Foodsaver“ da helfen?
Es kommt natürlich auch immer darauf an, worum es sich handelt: Manches kann man unproblematisch weitergeben, bei anderen Lebensmitteln oder Speisen ist es nicht so einfach. Grundsätzlich kann man natürlich auch ohne unsere Hilfe schauen, was man an Freunde, Bekannte und Verwandte weitergeben kann. Wir von „Food sharing“ haben ja wie gesagt aktuell den öffentlichen „Fairteiler“ in der Stadtbibliothek – der andere in der KatHO ist zurzeit nicht zugänglich. Dorthin kann jeder Lebensmittel bringen. Auf einem Plakat ist genau beschrieben, was zu tun ist, damit Lebensmittel dort abgegeben werden können. Nicht darunter fallen zubereitete Speisen, die gekühlt werden müssen, aber Brot zum Beispiel oder Christstollen – also alles, was ungekühlt haltbar ist, kann man dort abgeben. Und das kann dann dort abgeholt werden – ganz unbürokratisch, einfach so!
Die persönliche Ebene haben Sie schon angesprochen, was wünschen Sie sich von den Verantwortlichen in Politik, Lebensmittelhandel oder Landwirtschaft?
Handeln muss jeder selbst, aber ich würde mir zum Beispiel von der Politik entsprechende Signale wünschen: zum Beispiel, dass man das Containern endlich entkriminalisiert! In Österreich zum Beispiel wird Müll als herrenloses Gut betrachtet. In Deutschland bleibt Müll aber das Eigentum desjenigen, der ihn weggeworfen hat. Das passt meines Erachtens mit dem Problem der Lebensmittelverschwendung und -vernichtung nicht zusammen! Man muss sich allein mal vor Augen halten, welche Ressourcen in die Lebensmittelherstellung fließen. Ein Sechstel des CO2- Fußabdruckes jedes Deutschen geht darauf zurück! Wer gern kocht, kann da schon viel tun: Mit Fantasie Reste verwerten ist vielleicht nicht immer perfekt, aber auf jeden Fall sinnvoll!
Zur Person
Stefan Heid ist 28 Jahre alt und Doktorand der Informatik. Für das Studium hat es ihn aus seiner unterfränkischen Heimat ins Ostwestfälische „verschlagen“. Seit sieben Jahren lebt er in Paderborn und bei „Food sharing“ ist er seit drei Jahren aktiv. Mit einer anderen „Foodsaverin“ koordiniert er unter anderem die Abholungen am Paderborner Wochenmarkt mittwochs und samstags.
Mehr Informationen über die Initiative gibt es im Internet: