Wie viel Wahrheit darf es sein?
Als Protest gegen Folter baute der Paderborner Künstler Wilfried Hagebölling diesen Käfig zur Zeit des Irak-Krieges. Bis Ende des Jahres steht er noch vor dem Audimax der Theologischen Fakultät in Paderborn. Foto: Krysmann/Theologische Fakultät
Der Käfig steht im Weg. Wer aus dem Gebäude der Theologischen Fakultät in Paderborn rüber zum Auditorium Maximum oder zur Bibliothek will, muss drum herumgehen. Der Käfig steht im Weg und da gehört er hin. Hinstellen lassen hat ihn dort Prof. Josef Meyer zu Schlochtern.
von Claudia Auffenberg
Der lehrt eigentlich Fundamentaltheologie, er hat aber auch einen Sinn dafür, dass das, worum es in den Räumen und auf den Fluren der Fakultät geht, nicht nur Wissenschaft sein kann. Sagen wir es so: Der Mensch empfängt und sendet auch noch auf anderen Frequenzen. Deswegen konfrontiert Meyer zu Schlochtern die Paderborner manchmal mit Kunst. Jetzt also dieser Käfig, ein Werk des Paderborner Künstlers Wilfried Hagebölling. Schon einmal stand er ganz in der Nähe, auf dem Schulhof eines Gymnasiums, in dem einst das Jesuitenkolleg untergebracht war, d. h. an einer Stelle, an der man ihn besser sehen konnte und die Leute haben sich geärgert.
Dann wurde er andernorts gezeigt, jetzt ist er wieder an der Fakultät. Warum das? Sicher nicht nur, weil es dort einen kunstsinnigen Professor gibt. Das Jesuitenkolleg ist der Ort, an dem einst Friedrich Spee gelehrt hat, der Verfasser der Cautio Criminalis. 1631 ist diese Schrift erschienen, darin tritt Spee der Praxis der Hexenverfolgung entgegen. Im frühen 17. Jahrhundert erreichte diese ihren Höhepunkt. Menschen, vor allem Frauen, wurden aufgrund kleinster Verdächtigungen der Hexerei beschuldigt, die für die Todesstrafe nötigen Geständnisse wurden unter Folter aus den Beschuldigten herausgequält. Gegen diese Praxis wendet sich Spee und stellt infrage, ob solche Geständnisse nun wirklich aussagekräftig sind. Seine These: Sogar der Papst würde ein Bündnis mit dem Teufel gestehen, wenn man ihn nur lange genug folterte. Die Schrift, die zunächst anonym erschien, führte letztlich zum Ende des Hexenwahns. Der Käfig vor der einstigen Wirkungsstätte Spees ist inspiriert von der Praxis amerikanischer Soldaten, gefangene Iraker darin einzusperren (siehe Seite 16 im Dom Nr. 50/2018).
Es geht also bei diesem Kunstwerk und seinem derzeitigen Standort um die Wahrheit, um Gerechtigkeit und letztlich um Menschlichkeit. Wie viel Wahrheit darf es sein? Und wer bestimmt das? Ein Thema, das die Kirche aufgrund der Missbrauchsfälle gerade existenziell betrifft. Aber es ist nicht nur ein kirchliches Thema.
Seit November dieses Jahres läuft in Siegen ein Prozess gegen 29 Personen. Sie werden beschuldigt, in einer Burbacher Flüchtlingsunterkunft als Leiter, Betreuer oder Wachleute Flüchtlinge monatelang misshandelt zu haben. In der Unterkunft hatte man dafür ein „Problemzimmer“. Es gibt Fotos von dem, was darin geschah.
Man sieht: Es ist noch nicht zu Ende.