„Wir können von der Diaspora lernen“
Manfred Müller ist neuer Präsident des Bonifatiuswerkes. Im Interview spricht der langjährige Paderborner Landrat über seine zukünftigen Aufgaben, die Glaubwürdigkeitskrise der katholischen Kirche und darüber, wie alle Gemeinden von den Ideen des Hilfswerkes profitieren können.
Herr Müller, statt Golf zu spielen und den Ruhestand zu genießen engagieren Sie sich in einem christlichen Hilfswerk. Warum?
Manfred Müller: „Golf ist nicht mein Sport, ich bin eher Läufer! Aber im Ernst: Ich bin mir sicher, dass ich noch etwas Sinnvolles tun und helfen kann. Ich stamme aus einem katholischen Milieu und bin fest davon überzeugt, dass unsere christliche Botschaft den Menschen etwas zu sagen und zu geben hat – gerade in dieser Zeit. An diesem Prozess möchte ich mich gern beteiligen.“
Wie fiel die Wahl auf das Bonifatiuswerk? Man könnte doch meinen, dass zum Beispiel die Caritas momentan näher an den Menschen und ihren Problemen ist.
Manfred Müller: „Der Anspruch des Bonifatiuswerkes überzeugt mich, es hat uns mit seiner Ausrichtung und seinen Ideen viel zu vermitteln. Ganz praktisch war es so, dass mein langjähriger und verdienter Vorgänger Heinz Paus mich gefragt hat, ob ich mir eine Kandidatur vorstellen kann. Im Übrigen bin ich bei der Caritas und bei den Franziskanerinnen Salzkotten auch jeweils in einer Stiftung als Kuratoriumsmitglied aktiv. Das Bonifatiuswerk ist ein besonders kreatives Hilfswerk. Der Glaube wird auf eine fröhlich machende Art und Weise vermittelt. Die Frohe Botschaft wird als das weitergegeben, was sie wirklich ist. Gerade in der aktuellen Situation bin ich mir sicher, dass wir uns nicht nur mit unseren kirchenpolitischen Problemen befassen, sondern den öffentlichen Fokus wieder stärker auf die Inhalte des Evangeliums legen sollten. Unabhängig davon müssen die Probleme, die unsere Kirche derzeit belasten, natürlich gelöst werden.“
Den Aspekt der Frohen Botschaft haben Sie ja auch in Ihrer Antrittsrede betont. Wo würden Sie da anpacken?
Manfred Müller: „Die Kernbotschaften unseres Glaubens, wie sie in der Bergpredigt formuliert werden, müssen wieder in den Mittelpunkt: Der Glaube macht stark, karitatives Handeln stärkt diejenigen, denen geholfen wird, genauso wie die Helfer selbst. Das gilt gerade, wenn dieses Helfen in Gemeinschaft passiert. „Mit Dir zum Wir.“ lautet das diesjährige Motto der Diaspora-Aktion.“
Trotzdem bleiben die Probleme, Kirche hat aktuell ein schlechtes Image. Wo würden Sie mit Ihrer politischen Erfahrung in diesem Zusammenhang ansetzen?
Manfred Müller: „Zuerst einmal müssen die direkt Verantwortlichen diese Probleme nicht nur lösen, sondern vor allem sicherstellen, dass entsprechende Dinge nicht wieder vorkommen können. Auf der anderen Seite hat jeder von uns als Christ oder Christin die Aufgabe, die Frohe Botschaft nach außen zu tragen. Beides geht nur, wenn man glaubwürdig ist bzw. Glaubwürdigkeit wiedererlangt. Das ist ein schmerzlicher Prozess, der aber notwendig ist. Bei unserem persönlichen glaubwürdigen Handeln als Christen kann das Bonifatiuswerk ein kreativer Ideengeber sein, wie viele Beispiele aus den Diaspora-Gebieten zeigen.“
Ist nicht ganz Deutschland längst Diaspora?
Manfred Müller: „Das ist wohl so, und so ändert sich die Aufgabenstellung auch räumlich. Letztlich kann jede Gemeinde von den Ideen des Bonifatiuswerkes profitieren. Etwa von der Firm-App, die es von Pfingsten 2023 an geben wird. Oder vom Förderprogramm „Räume des Glaubens eröffnen“, mit dem das Bonifatiuswerk innovative christliche Projekte in ganz Deutschland unterstützt. Das Hilfswerk fördert zudem die Vernetzung der Projektpartner. Toll sind auch die Minihefte „Kirche im Kleinen“, die über die Grundlagen unseres Glaubens, über Rituale, Sakramente, das Kirchenjahr, Gebete, kirchliche Feiertage und vieles mehr informieren. Wichtig ist, dieses Material allen zugänglich zu machen, damit auch alle profitieren können.“
Die Ideen zur Glaubensweitergabe sind das eine, hinzu kommt die materielle Unterstützung. Mit der zunehmenden Diaspora-Situation wird die Zahl der potenziellen Empfänger größer. Anders gesagt: Frühere Spender könnten zu Empfängern werden.
Manfred Müller: „Das Problem sehe ich noch nicht so akut. Die Spendenbereitschaft ist derzeit weiterhin groß. In zehn Jahren kann das anders aussehen, weil vielleicht die Zahl der Spender sinkt. Aktuell geben viele gläubige Menschen gern etwas ab, weil sie sehen, dass aus den Ideen und Projekten des Bonifatiuswerkes neuer Glaube entsteht. Ich denke da zum Beispiel an das Kloster in Neuzelle, wo etwas sehr Fruchtbares passiert. Solche Beispiele überzeugen, und deshalb fürchte ich nicht, dass wir in naher Zukunft ein gravierendes Spendenproblem bekommen könnten. Abgesehen davon: Die materielle Seite ist für uns als Hilfswerk natürlich wichtig, doch wirklich helfen können die Mittel nur im Zusammenspiel mit den Inhalten und der Kreativität, diese zu transportieren. Denn wir haben viel zu sagen, und beispielsweise durch unkonventionelle Wege wie etwa die Zusammenarbeit mit Michael Patrick und Maite Kelly oder Udo Lindenberg erreichen wir Menschen, die uns sonst nicht kennenlernen würden.“
Als Politiker sind Sie mit Reformen vertraut, sie stehen immer wieder auf der Agenda. Aktuell stehen Reformen auch in der katholischen Kirche an. Wie beurteilen Sie diesen Prozess?
Manfred Müller: „Gesellschaft verändert sich ständig, und wer relevant bleiben will, muss darauf reagieren. Auf der anderen Seite ist der Glaube eine Konstante über Jahrhunderte. Es muss gelingen, die Menschen mit den Inhalten im Heute zu erreichen und ihre Fragen zu beantworten. Deshalb ist der Synodale Weg sicherlich richtig und wichtig. Auf der anderen Seite verstehen wir uns als Weltkirche mit dem Anspruch der Einigkeit. Die Geschichte hat gezeigt, wie wichtig eine Weltkirche ist, die sich nicht so leicht national vereinnahmen lässt. Diese Internationalität war und ist ein großer Vorteil, verlangsamt aber manchmal Veränderungen. Wenn Rom sich aus diesen Gründen zum Synodalen Weg in Deutschland eher zurückhaltend äußert, kommt das natürlich bei vielen Katholiken in Deutschland nicht so gut an. Wichtig ist, dass beide Seiten im Gespräch bleiben.“
Aus der Nordischen Bischofskonferenz, mit der das Bonifatiuswerk in Kontakt steht, gab es beispielsweise Kritik.
Manfred Müller: „Der Bischof aus Kopenhagen hat sich bei der Mitgliederversammlung unseres Hilfswerkes kritisch zum Synodalen Weg geäußert. Gleichzeitig hat er betont, dass man weiter darüber diskutieren müsse. Das ist meines Erachtens das Entscheidende: Bei unterschiedlichen Meinungen muss man im Dialog bleiben. Und für uns als Christen sollte das heißen, dass man den Heiligen Geist auch einmal wirken lassen muss! Aber: Man muss mit der Gnade Gottes ständig mitwirken!“
Was kann das Bonifatiuswerk in diesem Zusammenhang leisten?
Manfred Müllerller: „Veränderung tut not, das wird momentan überall deutlich. Wir müssen die Menschen erreichen, sonst werden wir zur Sekte. Die Fragen nach dem Zölibat oder der Rolle der Frau muss man immer wieder stellen; und zwar durchaus mit Nachdruck. Man muss sie auf den Tisch legen, aber man muss auch – um im Bild zu bleiben – am Tisch sitzen bleiben und den Dialog weiterführen. So mühsam und manchmal frustrierend das auch sein mag. Gefährlich wäre es, wenn man sich nur noch darauf konzentrieren und alle anderen positiven Seiten unseres Glaubens aus dem Blick verlieren würde. An diesem Punkt kommt dem Bonifatiuswerk eine wichtige Rolle zu, weil es den Kern der christlichen Botschaft lebt und umsetzt: Solidarität und Nächstenliebe.“
Politisch gesprochen: Vision und Tagesgeschäft miteinander in Einklang bringen?
Manfred Müller: „Man muss ein Ziel haben, das ist klar. Und manchmal ist es mühsam, das zu erreichen. Das gilt für die Politik und den Glauben gleichermaßen. Aber wenn ich das Ziel nicht kenne, brauche ich mich gar nicht auf den Weg zu machen! Und für beide Fälle gilt: Wenn ich die Menschen, um die es geht, unterwegs verliere, ist der ganze Weg umsonst!“
Wie haben Sie persönlich in Ihrem Leben Kirche erlebt?
Manfred Müller: „Kirche bietet Raum zum Mitgestalten! Ich habe das nutzen können, da hatte ich Glück. Als Messdiener und als Jugendgruppenleiter, als Jugendvertreter im Pfarrgemeinderat und als dessen Vorsitzender. Wobei wir im Übrigen als Männer da in der Minderheit waren! Themen – etwa die Erhaltung der Schöpfung oder Sterbehilfe –, die aktuell heiß diskutiert werden, standen damals schon prominent auf unserer Agenda. Es gab viele Möglichkeiten, sich einzubringen. Und die gibt es heute noch. Auch und gerade in der Diaspora, das habe ich bereits erwähnt. Viele kleine Gemeinden sind dort sehr rührig. Ebenso interessant ist, dass dort, wo Katholiken verstreut leben, die Gemeinden sehr vielfältig sind, Menschen unterschiedlicher Nationalitäten treffen sich zum Gottesdienst. Da überwindet der Glaube Grenzen und verbindet; etwas, was man angesichts der Konflikte in der Welt viel mehr betonen müsste. Kirche ist international und interkulturell.“
Welches Prinzip aus der Demokratie oder welche Aspekte aus der Politik würden Sie gern in der Kirche verwirklicht sehen?
Manfred Müller: „Kirche braucht mehr Mitbestimmung – auch in den grundlegenden Fragen! Da ist der Synodale Weg ein wichtiger Prozess. Auf der anderen Seite steht häufig die sogenannte normative Kraft des Faktischen: Es gibt Dinge, die nicht auf die Schnelle zu ändern sind. Und weil wir mit der Weltkirche gemeinsam unterwegs sind, brauchen wir Geduld. Limitierende Faktoren gibt es letztlich immer, damit muss man zurechtkommen.“
Zeichnet Geduld auch einen guten Politiker aus?
Manfred Müller: „Geduld und Mut sind eine gute Kombination. Man braucht die Geduld, weil man vieles nicht sofort ändern kann. Aber das gilt nicht nur für Politiker. Zuhören können ist wichtig. Und Respekt vor den Argumenten anderer. Ich habe den Eindruck, dass es aktuell in vielen Zusammenhängen an Geduld fehlt, wenn es um die Durchsetzung von Interessen geht. Und man braucht Mut, damit es Bewegung und auch Entscheidungen gibt. Da können wir viel von den Diaspora-Gemeinden lernen.“
Mit Manfred Müller sprach Andreas Wiedenhaus
Zur Person
Manfred Müller (61) ist neuer Präsident des Bonifatiuswerkes und repräsentiert in diesem Amt das Hilfswerk in der Öffentlichkeit. Er ist Vorsitzender des Bonifatiusrates und der Mitgliederversammlung. Müller ist Diplom-Verwaltungswirt und stand von 2004 an 16 Jahre als Landrat an der Spitze der Paderborner Kreisverwaltung. Bevor er zum Landrat gewählt wurde, war Müller Bürgermeister seiner Heimatstadt Lichtenau im Kreis Paderborn. Er ist verheiratet, Vater zweier Töchter und hat zwei Enkeltöchter.
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