Wo die Gäste essen wie der Papst
Minden. Menschen in kalten Zeiten Wärme geben – und das in vielfacher Form: Das ist seit 25 Jahren das Ziel der Wärmestube in Minden. Direkt neben der Geschäftsstelle des Caritasverbandes Minden finden Menschen vom Rand der Gesellschaft nicht nur im Winter eine warme Stube, eine warme Mahlzeit und eine warme Dusche. „Und vor allen Dingen: Herzenswärme“, sagt Caritas-Vorstand Susanne Leimbach.
von Markus Jonas
Zum Jubiläumsfest hatte die Caritas in einem Zelt ein Wohnzimmer aufgebaut – inspiriert von der Jahreskampagne der deutschen Caritas unter dem Motto „Jeder Mensch braucht ein Zuhause“. Die wohnliche Umgebung bildete den passenden Rahmen für einige Aussagen von Besuchern der Wärmestube. Die hatten die Ehrenamtlichen den Winter zuvor gesammelt, um sie nun den Gästen der Jubiläumsfeier vorzutragen. „Ich habe seit zwei Jahren keine Wohnung mehr“, so ein Statement. „Ich schlafe draußen und in diesem Winter gehe ich, wenn es kalt ist, in den Vorraum der Sparkasse. Aber auch da werde ich oft verjagt.“ Ein anderer bekennt: „Ich hatte noch nie eine Wohnung ohne Schimmel oder eine, wo alle Wände trocken waren und es nicht rein regnete. Ich werde langsam alt und die Knochen tun weh. Für mein Asthma ist das so auch nicht gut.“
Aussagen, die die Gäste berührten, die sie aber auch fragen ließen, ob denn die Besucher der Wärmestube auch bei der Jubiläumsfeier dabei seien. „Die haben wir als Erstes eingeladen“, berichtet Susanne Leimbach. „Ohne die geht es nicht.“ Auf den ersten Blick zu erkennen war allerdings nicht, wer Jubiläumsgast und wer langjähriger Besucher war. „Jeder kann in die Situation kommen, dass er nicht genug hat“, betont denn auch die Leiterin der Wärmestube, Schwester Annette Stuff.
Seit 2013 leitet sie das Team von rund 25 Ehrenamtlichen. Vor allem die Dauergäste schätzen die Schwester und ihren Einsatz für einen respektvollen Umgang miteinander. „Es ist immer ein gutes Klima hier“, sagt Dani Vogt, die gemeinsam mit Helmut Thomas gerade ihren Nachtisch gegessen hat. „Die Schwester ist immer freundlich“, lobt der. Beide kommen wegen ihrer kleinen Rente zur Wärmestube.
Dass Schwester Annette nach Minden kam, verdankt sie nicht nur ihren Kochkünsten. Als der Caritasverband 2013 eine Nachfolgerin der damaligen Leiterin Schwester Maria Thekla Heuel suchte, fragte er wieder bei deren Orden, den „Schwestern der christlichen Liebe“ in Paderborn nach. Denn die wurden von der in Minden geborenen Pauline von Mallinckrodt gegründet, nach der passenderweise auch der idyllische Platz benannt ist, an dem die Wärmestube liegt. „Für diese Aufgabe habe ich nur Schwester Annette“, habe die Oberin geantwortet, berichtet Susanne Leimbach. „Die kann kochen und mit Gästen umgehen.“ Da passte es, dass Schwester Annettes Konvent in Rom gerade aufgelöst wurde. Im Campo Santo direkt neben dem Petersdom hatte sie die Küchenleitung, beköstigte regelmäßig auch Papst Benedikt XVI. Nachdem sie sich entschieden hatte, die Aufgabe in Minden zu übernehmen, erzählte sie Benedikt und – kurz nach dessen Wahl im März 2013 – auch Papst Franziskus davon. „Beide haben mir ihren Segen für die Arbeit hier gegeben“, erzählt sie. Das fanden ihre Gäste in Minden natürlich sehr spannend. „Sie fragten dann beim Essen, haben Sie das auch für den Papst gekocht? Und als ich bejahte, sagten sie freudig überrascht: Wir essen wie der Papst!“
Rund 40 Gäste kommen täglich zur Wärmestube. Zu den Gästen gehören etliche Langzeitarbeitslose. „Viele sind entmutigt und haben wenig Hoffnung“, erklärt Schwester Annette. Etwa jeder Sechste sei obdachlos. „Manche kommen zeitweise bei Freunden oder Bekannten unter, leben sonst aber auf der Straße.“ Auch Alkohol- oder Drogenabhängige gehören zu den Gästen, außerdem eine große Anzahl psychisch Erkrankter sowie Flüchtlinge. In den vergangenen Jahren hat Schwester Annette beobachtet, dass eine wachsende Zahl älterer Frauen kommt, die von ihrer geringen Rente nicht leben kann. Wegen steigender Mieten und hoher Nebenkosten gerade in den Altbauten im Zentrum Mindens, geraten viele ältere Leute in finanzielle Schwierigkeiten, wollen aber nicht mehr umziehen. „Die tun sich schwer, ihre Hilfsbedürftigkeit einzugestehen. Sie gehen vor dem Haus hin und her und gucken. Ich spreche sie dann an und lade sie ein“, sagt Schwester Annette. Wenn die anfängliche Scheu überwunden sei, fühlten sie sich schnell wohl, träfen oft auch auf Bekannte. Und verschenkt wird das Mittagessen nicht. „Jeder zahlt 80 Cent“, erklärt Susanne Leimbach. „Das ist für den Selbstwert wichtig.“ So mancher Gast kann dann auch mal Freunde und Verwandte zum Essen einladen. Das angenehme Ambiente macht es möglich. Denn der 2011 angebaute Essensraum wirkt einladend und gemütlich. Vor dem Haus lässt sich im Sommer zudem angenehm unter einem Sonnenschirm oder unter der großen Linde neben der Kirche St. Mauritius entspannen.
Renate Kosmehl kommt jeden Tag. „Schwester Annette hat mich mal gesehen und eingeladen zu kommen.“ „Sie sah elend aus“, bestätigt die Schwester. Nach einem Schlaganfall, einer Magen-OP und Problemen mit ihren Zähnen hatte sie abgenommen und es ging ihr schlecht. „Aber ohne die Einladung von Schwester Annette wäre ich nicht gekommen“, sagt die 70-Jährige, die wegen eines versteiften Knies im Rollstuhl sitzt. Renate Kosmehl hat die Zuversicht aber nicht verloren. „Man kann mir alles nehmen, aber nicht meinen Lebensmut.“