Wozu sind Sie da, Christa Radoux?
Christa Radoux (78) ist Rentnerin und lebt seit ihrer Jugend in Hamm.
Ich würde einfach sagen für die Menschen. Dass Menschen füreinander da sein müssen, ist aber etwas, das ich von klein auf, ebenso durch schwere Zeiten wie durch mein persönliches Schicksal, gelernt hatte. Bei meiner Geburt 1944 wurde meiner Mutter gesagt, dass ich wegen einer angeborenen Krankheit kaum zwei Jahre alt würde. Das war schon schwer für meine Eltern und dann waren wir auch noch ausgebombt.
So mussten damals drei Diakonissen zusammenziehen, damit für unsere Familie immerhin ein Zimmer frei wurde. Als ich schließlich die ursprünglich prophezeite Lebenszeit überschritten hatte, beschloss eine der Diakonissen, dass ich entsprechend meinem Alter in den Kindergarten sollte. Meine Mutter wandte ein, dass das nicht ginge, da ich ja nicht laufen konnte und getragen werden müsse. Davon ließ sich die Frau aber nicht abhalten, sondern nahm mich in den nahen evangelischen Kindergarten mit, obwohl meine Familie katholisch war.
Praktisch gelebte Ökumene war damals wirklich nicht alltäglich
Diese praktisch gelebte Ökumene war damals wirklich nicht alltäglich. Aber da rückte man halt zusammen und das hat mich geprägt. Ähnlich war es auch bei der Wohnungsfrage. Als eine katholische Familie in der Nachbarschaft umzog, sagte die evangelische Hausbesitzerin gleich, dass nun wir da einziehen sollten. Das war eine riesige Verbesserung und machte vieles leichter.
Mein Vater konnte bald wieder auf der Zeche als Kaufmann anfangen und wir kümmerten uns dann auch um Verwandte, bei denen die Väter im Krieg geblieben oder gefangen waren. Einige dieser Kontakte sind bis heute höchst lebendig. Nach und nach ging es mir besser, in der Schule ging es gut und trotz der lebendigen Ökumene blieb ich der Kirche treu. Gerade bereite ich mit einer Freundin auch eine Wiedersehensfeier vor, bei der wir dem 70. Jahrestag unserer Erstkommunion gedenken wollen.
Natürlich hat sich im Laufe von sieben Jahrzehnten vieles verändert. Einige Kameradinnen und Kameraden sind bereits verstorben, andere sind pflegebedürftig und wieder andere sind bei der Pflege ihrer Angehörigen voll eingebunden. Zuletzt waren wir vor fünf Jahren noch 20 Teilnehmer von einst 55 Kommunionkindern. Das beschäftigt mich gerade und wir stehen deshalb auch mit unserem leitenden Pfarrer Bernd Mönkebüscher in Kontakt.
Christa Radoux: „Wir sind alle Gottes Kinder“
Beruflich konnte ich schließlich beim Finanzamt anfangen. Auch dabei habe ich mich fachlich und menschlich eingebracht, wo immer Rat und Hilfe nötig war. Ob es Kolleginnen in Nöten waren oder die ersten Gastarbeiter, die mit der deutschen Sprache bei Formularen überfordert waren, oft ist aus einer kleinen Hilfe eine stabile Freundschaft geworden. Einmal kam eine Bekannte und beklagte sich darüber, dass türkischstämmige Freunde Nebenkosten in einer Höhe hatten, die einfach nicht stimmen konnten.
Das hatte ich dann nachgeprüft und am Ende bekamen die Leute sogar noch eine Rückzahlung heraus. Das hat mir diese reizende Familie nie vergessen und auch für die Enkel der damaligen Mieter bin ich ein Teil der Familie. Heute habe ich ein großes Netzwerk und erhalte Hilfe von vielen Seiten. Andererseits bin ich auch recht wach und helfe mit meinen Erfahrungen und Kompetenzen dort, wo ich gefragt werde. Wir sind alle Gottes Kinder und sollten mehr füreinander da sein.
Zur Person Christa Radoux
Christa Radoux (78) ist Rentnerin und lebt seit ihrer Jugend in Hamm. Das gelingende Miteinander aller Menschen, unabhängig von Religion oder Herkunft, ist ihr seit Kindestagen ein Anliegen.
Aufgezeichnet und fotografiert von Peter Körtling
Unsere Reihe Menschen im Erzbistum
Wozu bist du da, Kirche von Paderborn? Diese Frage stellte der emeritierte Paderborner Erzbischof Hans-Josef Becker dem Zukunftsbild voran, auf dessen Basis das Erzbistum entwickelt wird. Wozu bist du da? Diese Frage kann sich auch jeder Einzelne stellen. Denn die Grundannahme des Zukunftsbildes ist eine biblische, dass nämlich jeder Mensch berufen ist, dass jede und jeder das eigene Leben als von Gott angenommen betrachten darf, dass es einen Sinn dieses Lebens gibt. Die Aufgabe des Menschen besteht darin, die Frage für sich zu beantworten.