Wozu sind Sie da, Herr Pitsch?
Foto: Claudia Auffenberg
Wozu sind Sie da, Herr Pitsch?
Aufgezeichnet und fotografiert von Claudia Auffenberg
Um die Melodie meines Lebens zu erkennen, habe ich ungefähr 50 Jahre gebraucht. An den Moment kann ich mich noch erinnern. Es war ein Gespräch mit meiner Mutter, die sich damals mit der Pflege meines Vaters überforderte, und ich sagte intuitiv zu ihr: „Von dir habe ich gelernt, du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Also: Du musst auch auf dich aufpassen.“ In diesem Augenblick, so sehe ich es heute, bin ich religiös erwachsen geworden. Denn in diesem Augenblick habe ich als zentrale Aussage meines Glaubens das dreifache Liebesgebot erkannt, wobei ich lieber Liebesversprechen sage. Bis dahin war das zwar schon immer die Lebensgrundlage, aber ohne groß darüber nachzudenken.
Die Gabe, Dinge ins Rollen zu bringen
Erst in der bewussten Auseinandersetzung mit dieser Zusage, die ich manchmal deutlich empfinde und manchmal auch nicht und die ich weitergeben muss – manchmal auch mir – ist mir klar geworden, was ich tun kann, wozu ich also da bin: Offenbar habe ich die Gabe, Dinge ins Rollen zu bringen, Veränderungsmöglichkeiten und -notwendigkeiten zu erkennen und dann Menschen und Prozesse so zu begleiten, dass wir einen guten Weg finden. Das klingt jetzt vielleicht großspurig, und ich muss auch zugeben: Die Gabe, die mir zum Selbstanspruch wurde, hat mich immer wieder an den Rand meiner Möglichkeiten gebracht.
Im Kloster Schweigen, um dem Hochmut zu entgehen
Ich gehöre ja zu der Generation, die im (auch) kirchlichen Kontext zurückbauen musste: Strukturen verkleinern und das mit Sinn und Verstand: Der Inhalt darf nicht kaputtgehen, die Menschen sollen mitgehen und möglichst nicht zu Schaden kommen. In solchen Veränderungsprozessen muss man eine Person finden, die vorangeht. Diese Person war natürlich nicht immer ich, aber mir war nie bang davor, sie zu sein. Wenn mir klar war, dass ich nicht der Richtige bin, habe ich jemand anderes vorgeschlagen. In den letzten 25 Jahren war ich in Ehrenämtern und Beruf oft „Nummer 1“. Da lauert auch die Gefahr des Hochmutes. Um ihr zu entgehen, bin ich ganz bewusst in die Stille gegangen. Der morgendliche Impuls aus den Tagestexten oder einige Tage ins Kloster, um den Mund zu halten und zu hören. In diesen Stillezeiten habe ich mein Handeln reflektiert. Im Ruhestand werde ich vielleicht weiterhin Prozesse und Menschen begleiten – welche das sind, wird sich zeigen. Mein Wunsch ist klar: Ich möchte nicht mehr die Nummer 1 sein, auch nicht ehrenamtlich, aber man legt seine Eigenheiten nicht von heute auf morgen ab.
Vorgenommen, sich nichts vorzunehmen
In diesem Jahr hatte ich mir vorgenommen, mir für das kommende Jahr nichts vorzunehmen und bislang ist mir das tatsächlich gelungen. Nur ein Projekt wartet auf meine Frau und mich: Wir sind über 40 Jahre verheiratet, in den vergangenen zehn Jahren haben wir wegen meiner Tätigkeit bei Bonifatius eine Wochenendehe geführt. Jetzt müssen wir unsere Beziehung gut angucken und wieder auf einen gemeinsamen Stand bringen. Wie ich uns kenne, werden daraus neue Dinge entstehen.
Zur Person:
Rolf Pitsch (64) war von 2012 bis Mitte dieses Monats Geschäftsführer der Bonifatius GmbH und damit Verleger des Dom. Zuvor war er von 1987 bis 1996 Leiter des Referates Presse/Verlagswesen in der Zentralstelle Medien der Deutschen Bischofskonferenz und danach Direktor des Borromäusvereines e. V. (Bonn). Viele Jahre war er ehrenamtlich Büchereileiter, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Lesen und Vorsitzender des Katholischen Medienverbandes. Pitsch und seine Frau leben in Bonn, die beiden haben drei Kinder und zwei Enkelkinder.
Rolf Pitsch