Wozu sind Sie da, Herr Rade?
Hans Jürgen Rade (58) wurde im April durch Erzbischof Hans-Josef Becker zu seinem neuen Offizial und damit zum Leiter des Kirchlichen Gerichts im Erzbistum Paderborn ernannt. (Foto: Patrick Kleibold))
Zunächst einmal bin ich ein glaubender Mensch. Für mich ist das etwas ganz Natürliches und Selbstverständliches. Wenn ich mit Menschen spreche, die Fragen und Zweifel haben oder überhaupt nicht glauben können, dann wird mir immer wieder bewusst, welch ein Geschenk es ist, glauben zu können und ein Glaubender zu sein. Es erfüllt mich, wenn ich weitergeben kann, was mir selbst geschenkt ist; wenn ich davon erzählen kann, woran ich glaube, was mich trägt, was mir Hoffnung gibt, was mir Mut macht und mich tröstet.
Hans Jürgen Rade: Ich verstehe mich durch und durch als Seelsorger.
Ich verstehe mich durch und durch als Seelsorger. Seitdem ich hier im Offizialat arbeite, habe ich meine Aufgabe immer als eine pastorale gesehen, sprich den Menschen mit ihren Anliegen, mit ihren Fragen, mit ihren Schwierigkeiten, so gut ich eben kann, zu helfen. Das kann mitunter eine sehr herausfordernde Aufgabe sein, denn viele der Menschen, die zu uns kommen und sich eine Annullierung ihrer Ehe wünschen, haben teils sehr schwierige und schlimme Erfahrungen gemacht. Viele von ihnen öffnen sich in dem Moment zum ersten Mal einem Vertreter der Kirche. Das ist für die Ratsuchenden nicht ganz einfach, schließlich sprechen sie auch über sehr private Dinge, seien es Enttäuschungen, Verwundungen oder der Brast auf den Ehepartner oder auf sich selbst. Für sie möchten wir da sein, denn sie kommen mit der Hoffnung, dass wir ihnen durch unsere Arbeit einen Weg eröffnen und sie bestärkt mit einer neuen Perspektive weitergehen können.
Als juristisches Instrumentarium dafür haben wir das Kirchenrecht, dessen höchstes Ziel das Heil der Seelen ist. Meiner Erfahrung nach ist dieses Instrumentarium eine gute Hilfe, um die persönliche Lebenssituation der Menschen zu klären und um in guter Weise mit ihren Fragestellungen oder mit ihrer oftmals von Enttäuschung, Leid und Schmerzen geprägten Geschichte umzugehen, sodass sie anschließend einen neuen Anfang wagen können. Die Befürchtungen vieler Menschen, nämlich dass unsere Kirche stets wertet, urteilt, verurteilt, ablehnt, diskriminiert oder ausgrenzt, möchte ich durch mein Handeln widerlegen.
Verständnis für die Situation
Die Menschen, die zu uns kommen, sollen die Erfahrung machen, dass ihnen bei der Kirche zugehört wird, dass Kirche nicht moralisch wertet, dass ihnen Verständnis entgegengebracht wird und ihnen geholfen wird, mit ihrer Situation umzugehen. Daher ist es für mich schön und wichtig, wenn Menschen zum Beispiel nach einer Anhörung im Verlauf eines Verfahrens sich ausdrücklich für die angenehme Atmosphäre, die sie erlebt haben, bedanken.
Ein gutes Gefühl ist es auch, wenn ich den Menschen mitteilen kann, dass das gemeinsame Bemühen Erfolg hatte und die Ehe für nichtig erklärt worden ist. In dem Moment fällt von ihnen eine große Last ab. Bereits häufiger habe ich Menschen erlebt, die, solange sie eben können, an ihrer nicht funktionierenden Ehe festhalten, weil sie vor Gott versprochen haben, in guten wie auch in schweren Tagen zusammenzubleiben, oder weil Kinder da sind. Vor diesen Menschen habe ich die größte Hochachtung, auch wenn ich gleichzeitig denke: Wärt ihr doch früher gekommen, ihr hättet euch viel ersparen können.
Zur Person
Hans Jürgen Rade (58) wurde im April durch Erzbischof Hans-Josef Becker zu seinem neuen Offizial und damit zum Leiter des Kirchlichen Gerichts im Erzbistum Paderborn ernannt. Rade ist 1994 in Paderborn zum Priester geweiht und arbeitet seit 2014 als Diözesanrichter am Erzbischöflichen Offizialat. Seit 2021 war er als Vizeoffizial tätig.
Aufgezeichnet und fotografiert
von Patrick Kleibold
Unsere Reihe Menschen im Erzbistum
Wozu bist du da, Kirche von Paderborn? Diese Frage stellte der Paderborner Erzbischof Hans-Josef Becker dem Zukunftsbild voran, auf dessen Basis das Erzbistum entwickelt wird. Wozu bist du da? Diese Frage kann sich auch jeder Einzelne stellen. Denn die Grundannahme des Zukunftsbildes ist eine biblische, dass nämlich jeder Mensch berufen ist, dass jede und jeder das eigene Leben als von Gott angenommen betrachten darf, dass es einen Sinn dieses Lebens gibt. Die Aufgabe des Menschen besteht darin, die Frage für sich zu beantworten. Wir fragen nach, heute bei: Hans Jürgen Rade