Wozu sind Sie da, Martin Güttner?

Darf etwas oder jemand nur da sein, wenn es oder er einen Zweck erfüllt? Ist es nicht gerade das zweckfreie Spiel, in welchem Kinder sich entfalten können? Ist es nicht gerade die Zweckfreiheit, durch die die Kunst unser Leben bereichert, durch die wir die Schönheit der Natur bewundern können?

Ich befürchte, wir haben für den ersten Schritt, in Bezug auf das Zukunftsbild, die falsche Frage gewählt und auch in Bezug auf die Menschen, die sich unserer Kirche zugehörig fühlen. Denn diese Fragestellung lenkt den Blick auf das „Machen“, auf die Funktion, auf die Nutz- und Verwertbarkeit. Doch so wie unsere Woche mit dem Sonntag beginnt, dem Auferstehungstag, dem Geschenk des Lebens und der Ruhe, so könnten wir uns doch zuerst über das Geschenk des Da-Seins freuen, bevor wir nach dem „Wozu“ fragen.

Schön, dass du da bist, Kirche, schön, dass du da bist, Mensch, schön, dass du da bist, Martin. So manches Mal durfte ich in meinem Leben so einen Reflex dieses Willkommen-Seins erleben, durfte ebenso andere mit meinem Da-Sein willkommen heißen. Ob damals, als ich mit meiner Frau nach Hamm in eine Notunterkunft zog, wo wir als Nachbarn nur da sein wollten bei den Menschen. Oder dann in den 43 Jahren im Garten- oder Landschaftsbau, in denen ich einfach nur da sein wollte bei meinen Kollegen, erst als Hilfsarbeiter, später als Geselle und Betriebsrat. Oder nach meiner Weihe vor 25 Jahren als Diakon in der Gemeinde, wo ich einfach nur da sein wollte bei den Menschen, nicht als liturgischer Beistellengel, sondern als Mensch unter Menschen.

Martin Güttner: „Sich auf Augenhöhe mit seinem Gegenüber begeben“

Willkommen heißen durfte ich Thomas, der als Obdachloser 20 Jahre lang regelmäßig bei mir im Wohnzimmer übernachtete, oder Ismail aus Persien oder Familie Almeslah aus Syrien, die ich im Kirchenasyl begleiten durfte. Dieses Da-Sein, dieses Bei-den-Menschen-Sein, gemeinsam mit ihnen nach Wegen zu suchen, Schönes zu feiern und Schwierigkeiten auszuhalten, ist nicht nur ein Geschenk, das mein Leben reich und glücklich macht, es ist ebenso Kraftquelle für den weiteren Weg.

Frank Peitz, er war damals Obdachlosenpfarrer, beschrieb diese Haltung mit einfachen Worten: „Wir wollen Beispiel geben und das heißt: sich dabeisetzen und mitspielen.“ Dabeisetzen heißt, sich auf Augenhöhe mit seinem Gegenüber begeben und mitspielen, d. h. nicht wir bestimmen die Regeln, vielmehr versuchen wir die Lebensbedingungen der Menschen zu teilen. Erfahrungen, die in meiner täglichen Praxis des Ruhegebetes wurzeln und die sich in den unterschiedlichen Lebensbereichen spiegeln, ob in der Zeit als Gewerkschafter oder Betriebsrat oder als Kriegsdienstverweigerer in der Friedensbewegung, ob als Mitglied und Sprecher der Gemeinschaft Charles de Foucauld oder als Diakon in der Gemeinde und als Bezirkspräses in der KAB.

Mit den Menschen Wege gehen, das bedeutet auch, mit ihnen die Trauer, die Enttäuschungen und das verlorene Vertrauen auszuhalten und den kleinen Funken Hoffnung zu bewahren, dass auch uns jemand hält, begleitet und trägt in seiner Zusage: Ich bin da.

Martin Güttner

Zur Person Martin Güttner

Martin Güttner (71) kommt gebürtig aus Brackwede, Bielefeld. Er ist verheiratet, hat vier erwachsene Kinder und lebt mit seiner Frau Brigitte seit 1975 im Hammer Westen. Als ständiger Diakon fühlt er sich der Tradition der Arbeiterpriester verbunden.

Aufgezeichnet und fotografiert von Patrick Kleibold

Unsere Reihe Menschen im Erzbistum

Wozu bist du da, Kirche von Paderborn? Diese Frage stellte der emeritierte Paderborner Erzbischof Hans-Josef Becker dem Zukunftsbild voran, auf dessen Basis das Erzbistum entwickelt wird. Wozu bist du da? Diese Frage kann sich auch jeder Einzelne stellen. Denn die Grundannahme des Zukunftsbildes ist eine biblische, dass nämlich jeder Mensch berufen ist, dass jede und jeder das eigene Leben als von Gott angenommen betrachten darf, dass es einen Sinn dieses Lebens gibt. Die Aufgabe des Menschen besteht darin, die Frage für sich zu beantworten.

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