Zuflucht und Hort der Bildung
Ein Luftbild der Marienschule und der Kirche der Ursulinen in Bielefeld-Schildesche in den Neunzigerjahren. Foto: Sammlung Barbara Handt
Bielefeld. Kommt man in die Sieboldstraße im Bielefelder Stadtbezirk Schildesche, so stößt man dort auf eine wohlbekannte Institution, die aus der örtlichen Bildungsgeschichte nicht mehr wegzudenken ist: die Marienschule der Ursulinen, die einzige katholische Schule in Bielefeld. In diesem Jahr feiert sie gleich mehrere Jubiläen.
von Joachim Wibbing und Schwester Carola Kahler
Manche Menschen in Schildesche glauben, dass der Konvent der Ursulinen der direkte Nachfolger des früheren Damenstiftes, der Gründung der Marswidis, sei. Das bestand zwischen 939 und 1810. Der Grundstein für das Ursulinenkloster wurde jedoch erst am 19.März 1951 gelegt– vor 70Jahren. Doch im Jahr 2021 finden sich weitere markante Daten: Vor 75Jahren nahmen die Schwestern den Unterricht am Bielefelder Klosterplatz auf. Vor 70Jahren fanden die ersten Abiturprüfungen statt. Vor 65Jahren wurde die Kirche geweiht. Und vor 50Jahren wurden an der „reinen“ Mädchenschule erstmalig auch Jungen aufgenommen. Stolz ist man an der Schule auch über die vor 30Jahren begonnene Schulpartnerschaft mit dem russischen Novgorod.
Angefangen hat aber alles in Breslau, dem heutigen polnischen Wrocław. Im Jahr 1687 kamen die ersten Ursulinen wegen der Ausdehnung des osmanischen Reiches bis vor Wien aus dem Preßburger Konvent nach Breslau. Die Ursulinen hatten sich der Mädchenbildung verschrieben und so schickte das wohlhabende Bürgertum seine Töchter, um Sprachen, Geschichte, Philosophie und Musik zu lernen. Im Kulturkampf 1871 bis 1878 wurden durch Otto von Bismarck (1815–1898) alle Schulorden aus Preußen des Landes verwiesen. Die Breslauer Ursulinen zogen in die französische Hafenstadt Marseille, wo ihre Schule sofort großen Zulauf fand. Doch schon bald– nach Ende des Kulturkampfes– kamen sie zurück und gründeten ein weiteres Gymnasium in Carlowitz für Frauenbildung. 1916 war der Breslauer Konvent zahlenmäßig so groß, dass eine weitere Filiale in Wartha gegründet werden konnte– eine Hauswirtschaftsschule mit Seminar.
Schon vor Beginn des Dritten Reiches wurde für den Konvent ein Ausweichplatz für den „schlimmsten Fall“ gesucht und in Kopenhagen gefunden. Adolf Hitler (1889–1945) war allerdings so schnell an der Macht, dass keine Konzession mehr für eine deutsche Bildungseinrichtung in Dänemark erteilt wurde. Die Schließung der Schule am Ritterplatz in Breslau erfolgte 1940 durch den Gauleiter Karl Hanke (1903–1945). Die Schülerinnen mussten auf städtische Schulen ausweichen, das Internat und das Studentenwohnheim blieben bestehen. Schon bevor im Januar 1945 Breslau zur Festung erklärt wurde, pflegten einige Schwestern Verwundete im Kloster. 60 Ursulinen dagegen gingen auf die Flucht nach Westen. Die Oberin stellte den Einzelnen frei, ob sie nach Westdeutschland weitergehen wollten. Diejenigen, die nach Westen gingen, gerieten in die totale Zerstreuung, von Waldsassen bis Eutin.
Zuflucht in Bielefeld
Eine Schwester, Mater Benedikta, kam nach Bückeburg. Sie traf zufällig auf dem Bahnhof den Bielefelder Dechanten und Pfarrer von Sankt Jodokus, Johannes Schmidt. „Wenn ihr Arbeit sucht, dann kommt“, sagte der Dechant und hoffte nach 400 Jahren wieder auf eine katholische weiterführende Schule in Bielefeld. Er setzte sich mit Erzbischof Lorenz Kardinal Jaeger (1892–1975) ins Benehmen, und auf einer alten Schreibmaschine, auf altem Kriegspapier wurde an die Oberin in Breslau geschrieben, dass sie im Falle der endgültigen Vertreibung in seinem Erzbistum „herzlich willkommen“ sei. In der Hammerschmidt-Straße wurde eine provisorische Unterkunft besorgt. Die drei ersten Schwestern riefen zwei weitere, u.a. die Breslauer Direktorin Mater Ludmilla. Der Kontakt wurde über die britische Militärregierung hergestellt.
Am 1.Juni 1946 fand der Neubeginn als Marienschule der Ursulinen am Klosterplatz in Bielefeld statt. Pfarrer Johannes Schmidt rekrutierte Töchter aus den katholischen Familien, und die Schule fand schon bald großen Zulauf, denn es kamen viele Flüchtlinge und Vertriebene hinzu. An der Hammerschmidt-Straße war nur Platz für drei Schwestern. Die weiteren Schwestern schliefen in kleinen „Kojen“ in der Schule und unterrichteten dort tagsüber. Am Klosterplatz wohnten sie dann bis Anfang der 1950er-Jahre. Der Schildescher Pfarrer Bernhard Lutterberg kam als Caritas-Direktor der Region viel herum. Schmidt machte die Prokuratorin, Schwester Tarcisia, die das Geld verwaltete, mit Lutterberg bekannt. So kam es, dass auf dem Land, das einst der katholische Pfarrer Ringenberg der katholischen Pfarrei in Schildesche vermacht hatte, das neue Ursulinenkloster entstand. Dabei erschien die überwiegend evangelische Tradition Bielefelds durchaus als annehmbare Herausforderung. Die Breslauer Ursulinen hatten seit 1687 in einer mehrheitlich lutherischen Stadt mit einer sehr großen jüdischen Gemeinde ihre pädagogische Arbeit einvernehmlich geleistet. Sie waren also ein konfessionell gemischtes Arbeitsklima gewohnt.
Mit ökumenischem Profil
Deshalb fand in Bielefeld-Schildesche am 19.März 1951 die Grundsteinlegung statt. Im folgenden Jahr wurden die ersten Gebäudeteile fertig, im nächsten dann der erste Teil der Marienschule. Der Bau finanzierte sich zunächst mit sogenannten „verlorenen Zuschüssen“ vom Vertriebenen-Minister Jakob Kaiser (1888–1961). Die Pläne zu der Gesamtanlage stammten von den zwei Bielefelder katholischen Architekten Schmidt und Pothast. 1959 wurde noch ein kleiner Trakt angebaut, als die letzten 27 Schwestern aus Breslau, die 1946 für Polen optiert hatten, im Zuge der „Repatriierung“ nach Bielefeld in den Mutterhauskonvent kamen.
Bis heute ist von besonderer Bedeutung, dass am 22.Mai 1888 Otto von Bismarck als Ministerpräsident von Preußen den Schulorden Korporationsrechte verlieh, damit avancierten alle betroffenen Orden in Preußen zu Körperschaften des öffentlichen Rechts. In kirchlicher Hinsicht war und ist der Konvent der Ursulinen ein autonomer Konvent päpstlichen Rechts; er ist dem Ortsbischof rechenschaftspflichtig und der darf den Konvent visitieren. Diese Rechtsform ist bis heute stabil. Die Marienschule in Bielefeld zählt derzeit gut 1000 Schülerinnen und Schüler als vierzügiges koedukatives Gymnasium. Die Nachfrage nach dieser katholischen Schule mit ökumenischem Profil ist nach wie vor unverändert groß.
Info
Mehr Informationen zur Schule gibt es unter: https://marienschule-bielefeld.de