Zum Flüchtlingsgipfel: „Es geht auch um Menschenwürde“
Mittwoch vergangener Woche in Berlin: Während drinnen der Bundeskanzler mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten beraten hat, protestierten vorm Kanzleramt Flüchtlingsorganisationen.
Stundenlang beriet am Mittwoch vergangener Woche der Flüchtlingsgipfel im Kanzleramt. Der Bund will eine Milliarde Euro mehr geben, ansonsten ging es viel um Abschiebung und beschleunigte Asylverfahren. Ein Interview mit dem Flüchtlingsbeauftragten des Erzbistums, Ralf Nolte.
Herr Nolte, überfordern uns die Flüchtlinge?
Ralf Nolte: „Unbestritten ist es eine Herausforderung, fremde Menschen aufzunehmen und ihnen hier Heimat zu bieten, aber insgesamt überfordern sie uns nicht. Der große Anteil der deutschen Bürgerinnen und Bürger trägt aktiv unsere Zivilgesellschaft mit. Wir leben in einem wirtschaftlich starken Land, in einer gefestigten Demokratie. Da sollten wir miteinander gute Lösungen finden können.“
Aber die Sorgen sind doch groß: Die Flüchtlinge kosten wahnsinnig viel Geld, die Stimmung wird schlechter, die Gesellschaft driftet auseinander, das rechte politische Lager wird stärker.
Ralf Nolte: „Keine Frage! Das ist eben die große Herausforderung: Wie bekommen wir die Gesprächskultur gestaltet, wie geht man mit den Sorgen der Menschen um, die sich in Wahlergebnissen wie nun auch in Bremen niederschlagen? Aber es geht auch um Menschenwürde und um Menschenrechte! Weltweit leiden Menschen unter Not und politischem Druck. Auch die Klimaveränderungen führen dazu, dass Menschen aus ihrer Heimat wegwollen. Und das macht man doch nicht einfach so, alles hinter sich zu lassen, mein Zuhause, meine Familie, meine Arbeit. Ich finde es wichtig, das Thema global zu sehen. Dennoch: Wie können wir in Deutschland, in Europa zu einem Konsens finden? Wir müssen Sorgen ernst nehmen und zugleich dem Anspruch gerecht werden, Menschen eine sichere Heimat zu geben.“
Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund die Ergebnisse des Flüchtlingsgipfels in der vergangenen Woche?
Ralf Nolte: „Auf mich wirkte es, als werde da der Schwarze Peter der Verantwortung hin- und hergeschoben. Positiv gesehen kann man sagen: Alle politischen Ebenen sind aktiv und kümmern sich um dieses Thema. Der Bund hat immerhin eine Milliarde Euro bereitgestellt. Gleichwohl fühlen sich die Kommunen alleingelassen und sagen, das reicht auf keinen Fall aus. Mit Blick auf ganz Deutschland kann ich mir das auch kaum vorstellen. Denn die Kosten sind pro Flüchtling schon sehr hoch, aber drehen wir das Thema doch mal um. Wir reden zugleich vom Fachkräftemangel, also davon, dass wir Menschen aus dem Ausland gewinnen wollen, damit sie hier arbeiten. Wir wollen qualifizierte Menschen aus dem Ausland abwerben, die dort ja für wirtschaftliche Stabilität und Aufschwung sorgen sollten. Sie hierher zu holen, scheint möglich und gewollt zu sein, aber die, die gezwungenermaßen zu uns kommen, werden zum Teil abgelehnt. Man könnte doch mal fragen: Wie können wir diese Menschen qualifizieren und in den Arbeitsmarkt integrieren? Vielleicht bringen sie Qualifikationen mit, die wir ausbauen können, damit sie hier zurechtkommen und auch wir davon profitieren können. Viele von ihnen kommen ja schon einigermaßen zurecht. Sicherlich müssen diese häufig noch Deutsch lernen und hier inkulturiert werden. Aber es könnte doch auch eine Perspektive sein, ihnen ein sicheres Zuhause und ein sicheres Einkommen zu bieten.“
Die Erfahrungen mit der Gastarbeitergeneration zeigen aber, dass das nicht einfach ist. Das macht heute vielen Angst.
Ralf Nolte: „Dass Menschen Angst vor einer sogenannten „Überfremdung“ haben, kann ich zum Teil verstehen. Angst hat immer mit mangelnder Erfahrung mit dem Unbekannten zu tun.Aber auch dieses ist eine Frage der Perspektive. Man kann es auch als Chance sehen, eine andere Kultur zu integrieren. Dazu müssen natürlich beide Seiten bereit sein, aufeinander zuzugehen. Einfache Antworten gibt es nicht, aber mit Blick auf die weltweite Entwicklung bleibt uns kaum eine andere Wahl, als mit Optimismus da heranzugehen. Wahrscheinlich braucht es auch Gesprächsforen, um alle Seiten an einen Tisch zu holen – so wie es die Politik jetzt versucht. Aber es kann nicht darum gehen, sich die Verantwortung gegenseitig zuzuschieben, sondern darum, wie man es miteinander löst. Man sollte weitere gesellschaftliche Akteure hinzuziehen, es gibt in der Zivilgesellschaft genug Gruppen und Menschen, die bereit sind, diese Kraftanstrengung anzugehen.“
In der Öffentlichkeit gibt es manchmal die Sorge, dass eine erfolgreiche Integration noch mehr Menschen „anlockt“ und wir uns am Ende doch überfordern.
Ralf Nolte: „Daher will die Politik an den europäischen Außengrenzen schon prüfen, wer rein darf und wer nicht. Aber ob das ein guter Weg ist? Womöglich bringt das etwas Sicherheit, aber mit einem riesigen Aufwand und einer riesigen Logistik. Die Grundfrage lautet doch: Welche Menschen sind in ihrer Heimat so bedroht, dass sie dort nicht mehr leben können? Das kann man kaum beantworten, denn wenn Menschen sich auf den Weg machen, scheinen sie erst mal gute Gründe zu haben. Dass wir in Deutschland auf der Sonnenseite leben, ist für uns ein Segen, aber haben wir damit das Recht, anderen Menschen diesen Segen, dieses Glück zu verweigern? Mich macht das zumindest nachdenklich.“
Was ist denn Ihre Aufgabe als Flüchtlingsbeauftragter?
Ralf Nolte: „Ich verstehe mich als Anwalt der bedrängten Menschen und setze mich dafür ein, dass sie hier integriert werden und Heimat finden können. Ich möchte auch Kräfte bündeln und dafür sorgen, dass wir als zivilgesellschaftliche Akteure, als Caritas, als Kirche zusammen mit den anderen Wohlfahrtsverbänden gemeinsam zur Integration beitragen, dass wir Menschen helfen, hier bei uns Fuß zu fassen: ihnen zunächst mal das Nötigste zum Leben zu besorgen, ihnen helfen, ein Dach überm Kopf zu finden, Sprachkurse zu ermöglichen. Und ich möchte Ehrenamtliche motivieren, ins Rad zu greifen und zugleich bedanken für die vielen Menschen, die sich tagtäglich in diesem Feld engagieren.“
Sind Sie mit der Politik oder der Wirtschaft in Kontakt?
Ralf Nolte: „Ich selbst bislang noch nicht. Das machen vor allem unsere Fachabteilungen. Aber Bischof Stefan Heße, der Flüchtlingsbeauftragte der Bischofskonferenz, hat für Mitte Juni zu einem katholischen Flüchtlingsgipfel nach Berlin eingeladen, da werde ich erstmals auf dieser Ebene agieren.“
2015 hat die Bundeskanzlerin gesagt: „Wir schaffen das!“, nun heißt es immer, 2015 dürfe sich nicht wiederholen. Was sagen Sie: Haben wir es geschafft?
Ralf Nolte: „Damals haben wir es gut geschafft! Und auch mit Blick auf das vergangene Jahr, in dem viele Menschen aus der Ukraine und zusätzlich aus anderen Ländern deutlich mehr zu uns gekommen sind, haben wir es ganz gut geschafft. Sicherlich gibt es kritische oder sorgenvolle Stimmen, ich habe dennoch nicht den Eindruck, dass es in der Bevölkerung eine große Unruhe oder wahnsinnig viel Gegenwehr gibt. Aber die Frage ist: Wie werden wir mit zukünftigen Flüchtlingsströmen umgehen, die ganz sicher nicht abreißen werden? Die Flüchtlingsfrage ist eine zentrale Zukunftsfrage, auf die wir noch Antworten finden müssen – nicht nur in Deutschland, sondern in Europa, wahrscheinlich sogar weltweit.“
Mit Ralf Nolte sprach Claudia Auffenberg
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