Pfingsten – Zusammenhalt braucht Haltung
Beliebt und herausfordernd: ein Dach bilden, das den anderen nicht kleinmacht, sondern ihm ermöglicht, aufrecht zu bleiben. (Foto: Gerd Altmann/Pixabay)
Pfingsten ist das Fest der Kommunikation schlechthin. Alle verstehen, was die Jünger sagen, nicht nur sprachlich, sondern auch emotional. Doch so wichtig Kommunikation ist, so schwierig ist sie auch. Gedanken zu Pfingsten von Nadine Mersch, Vorsitzende des Diözesankomitees.
Gerade erst sind sie aus dem Stadtbild verschwunden: weinrote Wahlplakate mit der mutmaßlich rhetorischen Frage „Pommes dazu?“, mit denen die Satiretruppe DIE PARTEI weniger für sich selbst warb, als vielmehr die Plakate der übrigen Parteien verulkte. Das kann man als Klamauk lesen oder auch als ironische Kritik an der inhaltlichen Leere vieler Slogans. In den Programmen und Reden wurde wieder einmal der Zusammenhalt beschworen, dessen es in einem Bindestrich-Land wie NRW vielleicht allein schon wegen eben dieses Bindestriches mehr bedarf als anderswo. Auch bei uns hat die Corona-Pandemie viele Sollbruchstellen aufgerissen, die aktuell durch Inflation, Energiekrise etc. vertieft werden. Zusammenhalt scheint also nötiger denn je, doch was macht Zusammenhalt jenseits wohlfeiler Appelle aus?
In Zusammenhalt übten sich schon die Jüngerinnen und Jünger Jesu in Jerusalem. Nach der Auferstehung und Himmelfahrt ihres Rabbi hatten sie sich nicht zerstreut, sondern sie „verharrten dort einmütig im Gebet“ (Apg 1,14). Sie waren durchaus nicht untätig, sie kümmerten sich redlich um ihre internen Angelegenheiten, indem sie etwa die mit dem Tod des Judas freigewordene Apostel-Stelle durch Matthias besetzten. Aber nach außen hin geschah: nichts.
Doch das änderte sich. Plötzlich, fast anfallartig drängte es sie aus ihrem Rückzugsort im Obergemach heraus auf die Straßen. Der Pfingsttag war gekommen und Petrus setzte in seiner Be-Geisterung zu einer fulminanten Predigt an, die die Zuhörenden „mitten ins Herz“ traf (Apg 2,37).
Ins Ungewisse
Von dem Tag an begann sich das Evangelium unter den Völkern der Welt auszubreiten. Zugleich war es von dem Tag an aber auch vorbei mit der beschaulichen Innerlichkeit der Jesus-Bewegung. Es gab von nun an kein Zurück mehr in die Behaglichkeit des verborgenen Obergeschosses. Und interessanterweise gilt genau dieser Tag als das Geburtsdatum der Kirche. Die Kirche beginnt also in dem Augenblick zu leben, in dem sie ihre Sicherheiten hinter sich lässt und sich hinauswagt ins Ungewisse.
Wie der wechselvolle Fortgang der Apostelgeschichte zeigt, ist ab jetzt auch der Zusammenhalt alles andere als sicher. Das liegt an den Anfeindungen und Verfolgungen von außen; das liegt aber auch an internen Debatten um den künftigen Kurs beziehungsweise darum, welches Maß an Vielfalt sich unsere Kirche zumuten möchte. Konkret etwa in der Frage nach dem Miteinander von „Juden“-Christen und „Heiden“-Christen (Apg 15) – ein Streitthema, das ohne Pfingsten niemals auf die Tagesordnung gekommen wäre.
Kirche kann Zusammenhalt
Mit anderen Worten: Die Kirche beweist Zusammenhalt, sie leistet sich zugleich aber auch Haltung. Vielmehr noch: Gerade aus ihrem Zusammenhalt heraus ist sie in der Lage, Haltungen zu entwickeln.
Analog können wir sagen: Als Christinnen und Christen werden wir in den Zusammenhalt der Kirche hineingetauft. Als Heranwachsende stehen wir dann vor der Herausforderung, eine eigene Haltung zu entwickeln, die für diesen Zusammenhalt auch zu einer Probe werden kann. Und da kommt wieder Pfingsten ins Spiel. Denn die Firmung, das pfingstliche Sakrament, ist schon vom Wort her (firm = fest) das Sakrament der Haltung.
Zu meiner persönlichen Haltung gehört mittlerweile z. B. die Überzeugung, dass es der Kirche nicht verboten sein kann, Frauen zu Diakoninnen, Priesterinnen und Bischöfinnen zu weihen. Ich bin sogar davon überzeugt, dass die Kirche sich selbst verfehlt, indem sie es nicht tut. Gerade an Pfingsten spüre ich das überdeutlich. Der Geist Gottes wird im Ersten Testament der Bibel auf Hebräisch „ruach“ genannt, wörtlich „die Geistin“ oder, wie die „Bibel in gerechter Sprache“ es übersetzt: die „heilige Geistkraft“. Pfingsten zeigt die weibliche Seite Gottes, die sich auch in der weiblichen Seite der Kirche stärker als bislang widerspiegeln muss.
Das ist meine Haltung.
Und diese Haltung stellt natürlich den kirchlichen Zusammenhalt auf die Probe. Denn eine solche Haltung formuliert nicht nur Anfragen an die Lehre der Kirche. Sondern es fühlen sich auch Menschen in ihrem persönlichen Lebensentwurf oder ihrer tiefen Überzeugung dadurch infrage gestellt.
Darum ringe ich immer wieder damit, meine Haltung einzubringen, ohne Fronten zu verhärten und Menschen zu verletzen. Das ist vielleicht der Kern von Pfingsten: dass wir frei und vorbehaltlos aufeinander zu gehen. Zur biblischen Erzählung des Pfingstwunders gehört, dass Menschen aus allen möglichen Ländern der damals bekannten Welt in Jerusalem beisammen waren. Und sie alle hörten die Apostel in ihrer jeweiligen Sprache sprechen und konnten sie verstehen (Apg 2,6).
Es geht auch anders
Diese Sprechfähigkeit fehlt uns heute oft. Es geht dabei gar nicht um Fremdsprachen, sondern um unseren Sprachduktus, unsere eingeübten Formulierungen und Phrasen, unser „Kirchen-Deutsch“, in dem wir leider manchmal aneinander vorbei-, übereinander hinwegreden, statt in einen echten Austausch zu kommen. Das gilt innerhalb der Kirche – und erst recht da, wo wir als Kirche den Dialog mit der Gesellschaft suchen. Es geht aber auch anders. Das erlebe ich beim Synodalen Weg. Das habe ich auch gerade erst beim Katholikentag in Stuttgart erlebt. Wenn wir wirklich versuchen, uns aufeinander einzulassen, dann wird Begegnung auf Augenhöhe möglich.
Das wünsche ich uns zum Pfingstfest: dass wir es erstens schaffen, zu unseren Haltungen zu finden. Dass wir es zweitens schaffen, für diese Haltungen angemessene Worte zu finden. Damit wir gewaltfrei und aufmerksam wieder mehr miteinander ins Gespräch kommen. Denn nur so wird neuer Zusammenhalt wachsen, werden wir uns über Gräben hinweg die Hände reichen und Trennendes überwinden können.
„Pommes dazu?“ Warum eigentlich nicht? Wer miteinander ins Gespräch kommt, kann ja auch einen kleinen Imbiss dabei vertragen.