6 Min.
16.05.2024
Foto / Quelle: Patrick Kleibold

Authentisch den eigenen Glauben leben

Zu Gast bei der afrikanischen Gemeinde in Bielefeld, wo jeden Sonntag Gläubige aus ganz Ostwestfalen-­Lippe zusammenkommen, um gemeinsam Gottesdienst zu feiern.

// Text: Andreas Wiedenhaus // Fotos: Patrick Kleibold
Bielefeld

Ein wenig hektisch geht es zu in der Sakris­tei der Bielefelder Christkönigkirche. Wie es so ist, wenn eine Reihe Messdienerinnen und Messdiener die passenden Gewänder sucht und sich darüber verständigt, wer welche Aufgabe im Gottesdienst übernimmt. Vikar Dr. Victor Anoka ist der ruhende Pol mittendrin. Er lächelt und freut sich, dass so viele Kinder und Jugendliche erschienen sind, um den Dienst am Altar zu verrichten. Am Sonntagnachmittag feiert die afrikanische Gemeinde ihre heilige Messe in der Kirche in Jöllenbeck im Bielefelder Norden.Auch sonst sind viele junge Gesichter unter den Gottesdienstbesuchern, der Altersdurchschnitt ist erheblich niedriger als in einer Sonntagsmesse in einer deutschen Gemeinde. Alles ist wie bei jeder anderen katholischen heiligen Messe – und auch wieder nicht: Denn schon die Stimmung ist eine andere.

Musik spielt zentrale Rolle

Das fängt schon bei der Musik an, die eine kleine Gruppe vorn gegenüber dem Eingang zur Sakristei macht. Trommeln und andere traditionelle afrikanische Instrumente sorgen für den Rhythmus, beim Gesang übernehmen einige Frauen in den ersten Reihen die Rolle des Chores. Mitgesungen wird von allen – und das nicht vorsichtig oder verschämt, wie man es aus dem einen oder anderen Sonntagsgottesdienst kennt, sondern mit vollem Einsatz von Stimme und Körper. Zu Beginn der Messe war die Kirche noch nicht allzu gut gefüllt. „Nicht alle sind immer ganz pünktlich“, hatte der Vikar schon vor Beginn des Gottesdienstes gesagt. Mittlerweile sind es deutlich mehr Gläubige geworden. Nicht zuletzt, weil heute ein besonderer Tag ist: Eine Taufe wird gefeiert. Das kleine Mädchen, dem das Sakrament gespendet wird, erträgt alles ruhig, blickt ab und zu mit großen Augen um sich, macht aber einen rundum zufriedenen Eindruck. Nach der Sakra­mentenspendung verlassen Eltern, Verwandte und Freunde die Kirche, um anschließend mit Gaben und Geschenken durch den Mittelgang wieder singend und tanzend in die Kirche einzuziehen und alles vor dem Altar abzulegen.

Die Sprache im Gottesdienst ist Englisch, ein wenig Französisch fließt auch mit ein. Bei seiner Predigt bleibt Pfarrer Anoka nicht am Ambo, er steht vorn vor den Stufen zum Chorraum und sucht die Nähe zu den Gläubigen. Auch gepredigt wird mit vollem Einsatz. Der Seelsorger spricht viel von Gottes Liebe und der Freude am Glauben.Bei so vielen Worten wird es einigen Kindern doch etwas langweilig. Viele Eltern haben Spielzeug mitgebracht, das für Ablenkung sorgt. Und wenn es doch einmal etwas lauter wird, ist das auch kein Drama: Statt eines durchdringenden Blickes ernten die Kinder ein verständnisvolles Lächeln. Oder der Platz auf dem Arm von Mutter oder Vater sorgt dafür, dass schnell wieder Ruhe und Zufriedenheit einkehren.

Eines der Kinder steht am Ende des Gottesdienstes noch besonders im Mittelpunkt. Ein kleiner Junge hatte am Tag zuvor Geburtstag. Vikar Anoka lädt ihn in den Altarraum ein. In Begleitung seines Vaters wagt sich der Kleine nach vorn und blickt fasziniert an dem Priester hoch, während dieser ihm gratuliert und ihn segnet. Zum Schluss singt die ganze Gemeinde „Happy Birthday“.

Eleanor Itoe ist aus Schötmar nach Bielefeld gekommen. In ihrer Gemeinde dort engagiert sich die Ärztin, die in Erlangen Medizin studiert und heute eine Praxis für Allgemeinmedizin in Herford hat, unter anderem als Lektorin. Regelmäßig nimmt sie aber auch in Bielefeld an den afrikanischen Gottesdiensten teil: „Die Art, wie die Messe hier gefeiert wird, ist ganz anders als in meiner Heimatgemeinde.“ Dort gingen die Menschen nach dem Gottesdienst meistens sofort nach Hause: „Hier trifft man sich im Anschluss, redet, teilt Freude und Leid miteinander.“In Bielefeld werde die Messe so gefeiert wie in ihrer Heimat: „In solchen Momenten lebt man seinen Glauben ganz authentisch, muss sich nicht verstellen. Wir Afrikaner drücken unsere Gefühle und unseren Glauben einfach expressiver aus.“ Diese Lebendigkeit hat den gesamten Gottesdienst geprägt und ihn für jemanden, der zum ersten Mal dabei ist, zu etwas Besonderem gemacht. 

Agapefeier alle zwei Wochen

Jeden zweiten Sonntag gibt es außerdem eine Agapefeier nach dem Gottesdienst. Dann wird im Pfarrheim gemeinsam gegessen. Vikar Anoka: „Da ist dann auch Gelegenheit, über viele Themen ins Gespräch zu kommen.“ Diesen regelmäßigen Austausch auf Gemeindeebene hält der Seelsorger für sehr wichtig, da die Gläubigen oft sehr weit auseinander wohnen und sich sonst nicht unbedingt treffen können: „Zum Gottesdienst kommen sie aus Bielefeld, Herford oder Gütersloh und manchmal noch von weiter her.“ Gesprochen wird über religiöse Themen oder den Alltag, der manchmal nicht so einfach ist: „Wer zum Beispiel als Student neu nach Bielefeld kommt, ist dankbar für Tipps und Hilfen.“

Vikar Anoka selbst ist seit 2006 in Deutschland, die Priesterweihe hatte er vier Jahre zuvor in seiner Heimat Nigeria empfangen: „Mein Bischof gab mir damals die Möglichkeit, nach Münster zu gehen und mit einem Stipendium zu promovieren.“ Seit gut zehn Jahren betreut er die afrikanische Gemeinschaft in Bielefeld, seit vergangenem Jahr auch die in Dortmund. Zusätzlich ist er als Vikar im Pastoralen Raum Lippe-­West tätig. Er wohnt in Bad Salzuflen-­Schötmar. Seinem Selbstverständnis als Seelsorger kommt die Aufgabenvielfalt entgegen: „Wenn man als Geistlicher gefragt sein will, muss man immer am Ball bleiben.“Wenn Menschen aus einem anderen Land, einem anderen Kontinent, einem anderen Kulturkreis nach Deutschland kämen, so der Geistliche, könnten gerade die afrikanischen Gemeinschaften viel dazu beitragen, dass sie dort auch eine Heimat fänden: „Häufig sind diese Kontakte ein erster wichtiger Schritt dazu, sich heimisch zu fühlen.“ Für ihn selbst sei Heimat dort, „wo ich mich wohlfühle und die Menschen mich annehmen“.

Keine Abschottung

Deshalb sei es für die afrikanischen Gemeinschaften auch sehr wichtig, dass man sich gegenüber den anderen Gläubigen und ihren Gemeinden nicht abschotte: „Wir halten Kontakt und pflegen Verbindungen.“ Eine Taufe wie heute werde in der afrikanischen Gemeinde gefeiert, erklärt Anoka: „Kommunion und Firmung finden natürlich in den Heimatgemeinden statt.“ Genauso wie die kirchlichen Hochfeste, etwa in wenigen Tagen Fronleichnam: „Schließlich sind wir Teil einer Gemeinschaft, die die gleichen Wurzeln hat.“ Dennoch sei es ein „Urbedürfnis der Menschen, etwa Gottesdienste in der eigenen Sprache und in der eigenen Tradition zu feiern“. Vikar Anoka: „So hat es ­Propst Andreas Coersmeier in seinem Grußwort zu meiner Einführung in Dortmund ausgedrückt.“Auch innerhalb der afrikanischen Gemeinde, erklären Eleanor Itoe und der Geistliche, werde das Gemeinsame betont. Zur Gemeinschaft gehören in erster Linie Gläubige aus Nigeria, Kamerun, Kenia und Südafrika. Früher kamen viele aus Togo und dem Kongo. „Wir versuchen, eventuelle Konflikte zwischen Staaten oder Volksgruppen herauszuhalten und stattdessen das zu fördern, was uns verbindet, nämlich unser Glaube.“

Gemeinsame Wurzeln

Das gemeinsame Fundament betont auch Konrad J. Haase vom Erzbischöflichen Generalvikariat in Paderborn. Der Theologe leitet dort das „Team Gemeinden anderer Muttersprache“. Die muttersprachlichen Gemeinden seien keine Konkurrenz zu den territorialen Kirchengemeinden des Erzbistums Paderborn, wird er in einem Beitrag zum Internationalen Tag der Muttersprache auf der Internetseite des Erzbistums zitiert: Sie seien eine „Chance, durch die das Leben der Kirche vor Ort bereichert wird“. „In den muttersprachlichen Gemeinden finden diese Menschen mit ihren Sprachen und Glaubenstraditionen Gemeinschaft, Beheimatung und Zuwendung“, machte Haase deutlich.Durch die Angebote der Gemeinden könnten die Gläubigen „ihre Kulturen und ihr religiöses Leben pflegen und damit ihre vielfältigen Identitäten finden und stärken“. In der eigenen Sprache zu beten, die Eucharistie zu feiern und Sakramente zu empfangen, sei für viele Menschen immens wichtig, stellte Haase fest.

Schutz gegen Ausgrenzung

Und nicht zuletzt sind die Gottesdienste und anschließenden Treffen auch eine Art Schutzraum gegen Ausgrenzung, die es durchaus gibt. Kurz vor diesem Sonntag hatte noch eine Meldung für Aufsehen gesorgt, nach der ein schwarzer Priester, der in Remscheid eine Beerdigung übernehmen sollte, von der Trauergemeinde abgelehnt worden sei.Das sei sicher ein Extrembeispiel, sagt Vikar Anoka: „Niemand ist vor solchen Erlebnissen gefeit, wichtig ist, sich davon nicht aus der Bahn werfen zu lassen und nur das Negative zu sehen.“

Foto / Quelle: Patrick Kleibold

Hintergrund

Im Erzbistum Paderborn existieren 24 Gemeinden anderer Muttersprache. An mehr als 74 Orten im Erzbistum werden Gottesdienste in über 14 unterschiedlichen Muttersprachen gefeiert, Sakra­mente gespendet und finden Treffen der Gemeinden statt. Die Mitglieder der Gemeinden anderer Muttersprache kommen aus über 50 Ländern dieser Erde. Fast 18 Prozent der Katholikinnen und Katholiken im Erzbistum Paderborn zählen zu den Gemeinden anderer Muttersprache und sind Menschen mit internationaler Geschichte. Die Deutsche Bischofskonferenz betont im Dokument „Eine Kirche in vielen Sprachen und Völkern“ – von 2003 – die Relevanz der muttersprachlichen Gemeinden für die Ortskirche: Sie „sind Teil der Ortskirche mit einem eigenen Auftrag. Als lebendige und aktive Gemeinden stellen sie einen hohen Wert und einen festen Bestand innerhalb der Ortskirche dar“. Alle seien Glieder der einen vielsprachigen und kulturell vielfältigen Kirche: „Gerade darin drückt sich deren Universalität und Katholizität aus.“

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