7 Min.
29.04.2024
Glaskunst
Foto / Quelle: Patrick Kleibold

Bilder in Glas und Licht

Kunst aus Glas schlägt die Menschen seit Jahrhunderten in ihren Bann. Glasmalerei Peters in Paderborn macht diese Faszination im wahrsten Sinne des Wortes erfahrbar.

Andreas Wiedenhaus

Mit leisem „Singen“ fährt der Glasschneider an der Papp-­Schablone entlang. Der richtige Winkel, der exakte Druck – für Jörn Neumann Routine. Trotzdem ist der Mitarbeiter der Firma Glasmalerei Peters mit voller Konzentration bei der Sache. Es kommt auf Millimeter an – beim Schneiden und anschließend, wenn er mit einer Zange das überschüssige Glas vorsichtig wegbricht. Das spröde Material verzeiht keinen Fehler. Splittern oder ein Sprung wären in diesem Fall zwar keine Katastrophe, aber doch ausgesprochen ärgerlich. Schließlich bearbeitet Neumann kein profanes Fensterglas, sondern mundgeblasenes Antikglas; und das kostet zwischen 500 und 600 Euro pro Quadratmeter. Es sind auch keine geraden Schnitte, die er ausführt. Die Schablonen, mit denen Neumann arbeitet, haben ganz unterschiedliche Formen und Größen. Die Farbpalette der Gläser ist ebenso weit gefächert.

Es kommt auf Millimeter an – beim Schneiden und anschließend, wenn er mit einer Zange das überschüssige Glas vorsichtig wegbricht.
Foto / Quelle: Patrick Kleibold

Neumann ist ein Routinier, doch diese Arbeit ist auch für ihn ein echter Höhepunkt in seinem Berufsleben: Die Scheiben, die er zurechtschneidet, ergeben – nachdem sie farblich weiter bearbeitet, erneut gebrannt und schließlich in Blei gefasst wurden – ein Kirchenfenster für ein ganz besonderes Gotteshaus: In der Paderborner Firma entstehen Fenster für das Ulmer Münster. Das ist ein Auftrag, der auch für ein solches Traditionsunternehmen etwas ganz Besonderes darstellt, wie Anke Schanz von Glasmalerei Peters erläutert: „Anspruch und Umfang sind wirklich herausragend.“ Seit rund sechs Jahren wird daran gearbeitet, eine Reihe von Fenstern ist schon montiert, im kommenden Jahr soll alles fertig sein. Dann wird die noch aus der Nachkriegszeit stammende Notverglasung von einem „Bild für die Ewigkeit“ abgelöst sein.

Der Künstler Thomas Kuzio hat die Entwürfe gemacht. Damit seine Vorstellungen und Ideen Gestalt annehmen können, braucht es viel Erfahrung bei sämtlichen Beteiligten. Doch wenn alles „passt“, entfaltet das Zusammenspiel zwischen Farbe, Oberflächenstruktur und Transparenz des Glases und dem einfallenden Licht in einem Kirchenraum eine Faszination, der sich kein Betrachter entziehen kann. „Der Eindruck, der entsteht, ist immer wieder neu“, weiß Anke Schanz, „wenn Wolken über den Himmel ziehen oder je nachdem, aus welchem Winkel und in welcher Intensität das Sonnenlicht durch die Fenster fällt.“

Licht ist der entscheidende Faktor – schon beim Zuschnitt: „Wir brauchen Tageslicht, aber direkter Sonnenschein ist auch nicht optimal.“ Hinzu kommen auf dem Weg zur Perfektion viele weitere Aspekte, die berücksichtigt werden müssen – etwa der Platz, an dem ein Fenster montiert wird: „An der Südseite fällt viel mehr Licht durch ein Fenster als an der Nordseite, das muss man bei der Farbwahl berücksichtigen.“ Allein 5 000 Standardfarbtöne für farbiges Antikglas gibt es.

„Wir machen alles möglich“ – ein Anspruch, der hinter allen Aufträgen steht. Manchmal sind allerdings verschlungene Wege zum Ziel nötig.
„Wir machen alles möglich“ – ein Anspruch, der hinter allen Aufträgen steht. Manchmal sind allerdings verschlungene Wege zum Ziel nötig.
„Wir machen alles möglich“ – ein Anspruch, der hinter allen Aufträgen steht. Manchmal sind allerdings verschlungene Wege zum Ziel nötig.
„Wir machen alles möglich“ – ein Anspruch, der hinter allen Aufträgen steht. Manchmal sind allerdings verschlungene Wege zum Ziel nötig.
„Wir machen alles möglich“ – ein Anspruch, der hinter allen Aufträgen steht. Manchmal sind allerdings verschlungene Wege zum Ziel nötig.
„Wir machen alles möglich“ – ein Anspruch, der hinter allen Aufträgen steht. Manchmal sind allerdings verschlungene Wege zum Ziel nötig.
„Wir machen alles möglich“ – ein Anspruch, der hinter allen Aufträgen steht. Manchmal sind allerdings verschlungene Wege zum Ziel nötig.

Kirchenfenster gehören heute bei Peters zu den eher selteneren Aufträgen. Aus zwei Gründen, wie Anke Schanz erklärt: „Zum einen werden schlicht kaum noch Kirchen gebaut, zum anderen haben wir heute viel mehr Möglichkeiten bei der Ver- und Bearbeitung von Glas, sodass es bei vielen Profanbauten als künstlerisches und gestalterisches Element mittlerweile einen hohen Stellenwert hat.“ Entsprechend gebe es heute viel mehr Aufträge aus diesem Bereich. Während man bis Ende der 1990er-­Jahre Glas maximal in Größe eines ­DIN-A3-­Blattes brennen konnte, hat die technische Entwicklung der Öfen viele Verbesserungen mit sich gebracht, wie Anke Schanz erläutert: „Die Hitze ist zum Beispiel viel gleichmäßiger verteilt.“ Geradezu revolutionär sind aber die Abmessungen, die man heute brennen kann: „Unser größter Ofen kann Glasflächen von 6 mal 4,2 Metern fassen.“

Öfen dieser Größenordnung stehen in Neuenbeken, wo Peters eine Dependance hat. „Solche Anlagen waren hier in Paderborn nicht unterzubringen“, erklärt Anke Schanz. Das Stammhaus hat seinen ganz besonderen Charme. Wer sich nicht auskennt, verliert im Labyrinth der Treppen und Räume schnell die Orientierung. Zugleich ist man gefesselt von den zahlreichen Zeugnissen der seit 1912 währenden Firmengeschichte: Skizzen aus der Hand von Gründer Otto Peters, ausgeführt in Aquarelltechnik, um die Transparenz des Glases darzustellen, hängen an den Wänden, daneben Beispiele für die möglichen Techniken, gepaart mit ganz modernen Entwürfen – ein wirkliches „Glas-­Paradies“.

Anke Schanz ist Glasmalerin und arbeitet seit über 30 Jahren bei Peters. Restaurierungen stellen eine besondere Herausforderung dar.
Foto / Quelle: Patrick Kleibold

Anke Schanz selbst hat den Beruf der Glasmalerin vor mehr als 30 Jahren an einer Glasfachschule erlernt und dann die Stelle bei Peters angetreten – als eine der ersten Frauen in der Firmengeschichte. Heute ist rund die Hälfte der rund 70 Köpfe umfassenden Belegschaft bei Peters weiblich. Auch die Berufsbezeichnung hat gewechselt: Sie lautet heute „Glasveredler Fachrichtung Glasmalerei“. Geblieben ist der Anspruch, möglichst universell alle Techniken in der Gestaltung dieses faszinierenden Werkstoffes zu beherrschen. „Unabhängig davon gibt es im Unternehmen natürlich Experten und Spezialisten für bestimmte Arbeiten“, erklärt Anke Schanz, „die Aufgabenvielfalt ist halt unglaublich groß!“

Das zeigt sich in einer anderen Abteilung, wo gerade alte Kirchenfenster restauriert werden. Hier wird auch deutlich, warum es schon beim Zuschnitt der einzelnen Elemente auf Millimeter ankommt: Die Bleiüberlappung zwischen den einzelnen Scheiben ist zwar recht breit, der eigentliche Steg dazwischen misst aber gerade einmal 1,5 Millimeter. „Wenn die Elemente nur ein bisschen zu groß sind, wächst das Fenster immer ein kleines Stückchen und passt schließlich nicht mehr“, sagt Anke Schanz, während Oleg Bockshorn routiniert die einzelnen Bleistreifen mit dem Lötkolben verbindet. Auch dabei sind Präzision und Erfahrung gefragt, damit die Bleieinfassung beispielsweise nicht verbrennt.

Präzisionsarbeit mit dem Lötkolben: Oleg Bockshorn beim Einfassen der Bleiverglasung
Foto / Quelle: Patrick Kleibold

Restaurierungen sind ein wichtiger Geschäftszweig des Unternehmens. Die Expertise der Paderborner Fachleute ist weit über Deutschland hinaus gefragt: Mittelalterliche Fenster der Kathedralen aus ­Chartres oder ­Sevilla fanden ihren Weg in die Werkstatt genauso wie Fenster aus dem Altenburger Dom, der Soester Wiesenkirche oder barocke Fenster aus Salzburg oder München. Natürlich darf auch der Paderborner Dom in dieser langen Liste nicht fehlen.

Solch eine Restaurierung ist besonders „knifflig“: Die Fenster haben über Jahrhunderte unter den unterschiedlichsten Umwelteinflüssen gelitten. Vogelkot, Sonne, Regen und Wind setzen ihnen von außen zu, von innen verursacht Schwitzwasser, das ständig he­runterläuft, auf Dauer immense Schäden. Anke Schanz: „Selbst eingebrannte Farbe wird auf Dauer regelrecht abgewaschen.“ Manche Scheiben sind gebrochen, müssen vorsichtig wieder mit Spezialkleber zusammengefügt werden.

Und wenn von Malereien nur noch Fragmente übrig sind, stellt sich häufig ein weiteres Problem: Während die Gläubigen die Fenster ihrer Kirche in altem Glanz erstrahlen sehen wollen, setzt der Denkmalschutz aktuell andere Akzente: „Früher wurden fehlende Malereien häufig ergänzt, heute will man den Ist-­Zustand erhalten und nichts hinzufügen.“ Manchmal könne man aber durch das Vorsetzen eines bemalten Glases einen Kompromiss erzielen: „Das muss sich aber ohne Weiteres wieder entfernen lassen.“

An vielen Beispielen lassen sich die Arbeitsgänge perfekt nachvollziehen.
Foto / Quelle: Patrick Kleibold

Standard ist heute eine Schutzverglasung von außen. Die restaurierten Fenster werden quasi innen „davorgesetzt“ – allerdings so, dass das nicht zu sehen ist und der optische Eindruck von innen nicht getrübt wird.

In Neuenbeken wird dem Besucher das Nebeneinander von traditioneller Handwerkskunst und Hightech direkt vor Augen geführt: Während ein Mitarbeiter hochkonzentriert ein Stück mit Hand bemalt, überträgt nur wenige Meter entfernt ein Plotter Farbe in den unterschiedlichsten geometrischen Figuren auf Hundertstelmillimeter genau auf eine große Glasplatte. „Wir können hier alle Techniken anwenden, die es gibt“, sagt Anke Schanz und erläutert das auch sofort: „Die Farbe kann zum Beispiel per Pinsel, Air­brush oder im Siebdruckverfahren aufgebracht werden, das Glas kann im Ätzverfahren bearbeitet werden oder durch Wasserstrahlen mit hohem Druck, Laser können eingesetzt werden, es kann laminiert werden.“ Wichtig sei, dass es nachher so aussehe, wie gewünscht.

Die Fenster für das Ulmer Münster sind ein Auftrag mit ganz besonderem Stellenwert.
Foto / Quelle: Patrick Kleibold

Thomas Kuzio, der die Fenster für das Ulmer Münster entworfen hat, hat viel Erfahrung mit Glas, weiß genau, worauf es ankommt, um genau das auszudrücken, was er anstrebt. Das ist jedoch nicht immer so. „Manche Künstler, die sich etwa an Ausschreibungen für öffentliche Gebäude oder Projekte beteiligen, sind in Sachen Glas Neulinge.“ Dabei kann es um die Ausgestaltung einer U-Bahn-­Station in New York genauso gehen wie um ein Museum in Frankreich, einen Flughafen in China oder die Umgestaltung eines ehemaligen Hotels auf Hawaii. Denn auch in diesem Bereich ist das Paderborner Unternehmen im wahrsten Sinne des Wortes „weltweit unterwegs“.

Das gilt auch für die Gestaltung von Glaskomponenten für Privathäuser: „Das können Fenster sein oder Balkonverkleidungen oder auch ganz andere künstlerische Objekte.“ Wichtig sei ein guter Beratungsprozess: „Ein farbiges Fenster beeinflusst die gesamte Atmosphäre in einem Raum, das muss man bei der Auswahl von Farbe und Material genauso berücksichtigen wie bei der anzuwendenden Technik.“ Nicht zuletzt deshalb wird in der Ausstellung in Neuenbeken an einem identischen Motiv gezeigt, wie unterschiedlich Verfahren und Material wirken können.

In einem Atelierraum bereitet ein Künstler aus Hamburg eine große Glasplatte für das Einbrennen der Farbe vor. Die Motive sind bis auf eines gestaltet: In der Mitte der Scheibe sollen die Farben in spezieller Weise verlaufen. Die Frage ist jetzt, wie sich dieser Effekt am besten erzielen lässt. Es wird diskutiert, überlegt, abgewogen. Schließlich ist man sich einig, dass die Scheibe leicht gekippt werden soll, um die Farben wirklich „laufen“ zu lassen. Wird es klappen? Einen zweiten Versuch gibt es nicht! Alle sind gespannt. Und so wird wieder einmal Neuland betreten. Das dürfte ein spannender Prozess werden – für den Künstler genauso wie für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wie hatte es Anke Schanz zuvor auf den Punkt gebracht: „Wir machen alles möglich, manchmal ist der Weg dahin allerdings etwas verschlungen.“

Beispiele für moderne Glaskunst: Die Fachleute der Paderborner Firma sind weltweit an vielen Projekten beteiligt.
Foto / Quelle: Patrick Kleibold

Hintergrund

Darüber, wo die Glasherstellung erfunden wurde, streiten sich die Experten: War es in Mesopotamien, im alten Ägypten oder in einem Land am östlichen Mittelmeer? Die ältesten Glasfunde stammen jedenfalls aus Mesopotamien. Erste Fenstergläser fanden sich in Aix-en-Provence und ­Herculaneum; und zwar in beachtlicher Größe von bis zu 80 mal 80 cm. Wie dieses hergestellt wurde, weiß man allerdings nicht, da es dazu keine Überlieferungen gibt. Die Römer kannten Fensterglas schon im ersten Jahrhundert. Die manuelle Glasfertigung in sechs europäischen Ländern, darunter auch Deutschland, ist 2023 in die Liste des Immateriellen Weltkulturerbes aufgenommen worden.

www.glasmalerei.de

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