5 Min.
08.11.2024
Foto / Quelle: Patrick Kleibold

Der Tradition verbunden und offen für Neues

Der Heimatverein Augustdorf wurde vor 45 Jahren gegründet. Er hat es sich laut seiner Satzung zum Ziel gesetzt, „Altes zu erhalten und Neues zu fördern“.

Text: Andreas Wiedenhaus // Fotos: Patrick Kleibold
Augustdorf

Der kleine Holzgriff wackelt ein wenig und quietscht beim Drehen kaum hörbar. Jetzt die Augen schließen und schon löst das leise schabende Geräusch eine ganze Kette von Erinnerungen aus: der Duft in der Küche, die Vorfreude auf ein leckeres Stück Kuchen. Wie hat man sich als Kind gefreut, wenn man beim Backen helfen und die Mandelmühle drehen durfte!

Gleich eine ganze Reihe solcher kleiner Mühlen ist an der Kante des Küchentisches angeschraubt. Auch sonst scheint man in die Vergangenheit zurückversetzt: alte Küchenherde mit emaillierten Töpfen und geschmiedeten Pfannen darauf, daneben eine Kohlenschütte. Ein großer Waschkessel erinnert an die Zeit, als das Wäschewaschen noch harte Arbeit war, und ein paar Meter weiter entfernt steht ein großer kupferner Badeofen – man weiß gar nicht, wohin man zuerst schauen soll. Hier ist offensichtlich die Zeit stehengeblieben.

Foto / Quelle: Patrick Kleibold

„Altes erhalten – Neues fördern“

Der Schlüssel, mit dem Iris Diekmann kurz zuvor aufgesperrt hatte, hat im wahrsten Sinne des Wortes die Tür in eine andere Welt geöffnet. Die 56-­Jährige gehört zum Vorstand des Heimatvereins Augustdorf und ist für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Hier im „Heimatkeller“ des Vereins in der „Grundschule in der Senne“ sind wahre Schätze aus alten Zeiten gelagert. „Weißt du noch?“: Wie oft mögen sich Besucher hier schon gegenseitig diese Frage gestellt haben? Und wer würde angesichts dieser Fülle von Erinnerungsstücken nicht in nostalgische Gefühle verfallen?

Doch verklärt wird die „gute alte Zeit“ hier nicht. „Altes erhalten – Neues fördern“: Dieser Leitsatz gilt seit Gründung des Vereins fast auf den Tag genau vor 45 Jahren. Auch der Begriff „Heimat“ wurde schon in der Einladung zur Gründungsversammlung so gefasst, dass er niemanden ausschloss: „Unser Augustdorf ist Heimat für all diejenigen, die hier seit alters her wohnen. Unser Augustdorf ist inzwischen Heimat für all diejenigen geworden, die als Folge des letzten Krieges evakuiert oder vertrieben wurden und hier eine neue Bleibe fanden. Unser Augustdorf wird nach und nach zur Heimat für all diejenigen, die als Angehörige der Bundeswehr mit ihren Familien hier sesshaft wurden. Unser Augustdorf soll schließlich Heimat für all diejenigen werden, die aus den verschiedensten Gründen hier wohnen und leben wollen.“

1992 wurde der Heimatkeller unter der Schule bezogen. Zuvor hatten die Aktiven bereits zahlreiche Antiquitäten und Zeugnisse der Alltagskultur gesammelt und zum Teil aufwendig restauriert. Keller – das klingt im ersten Moment wenig attraktiv. Doch vergessen oder gar abgeschoben fühlen sich die Heimatverein-­Mitglieder ganz und gar nicht – im Gegenteil: „Dieser Ort hat eine ganze Menge Vorteile“, macht Iris Diekmann klar: „Zum einen sind Temperatur und Luftfeuchtigkeit hier optimal, sodass die Exponate nicht leiden.“

Foto / Quelle: Patrick Kleibold

„Junge Heimatforscher“ in der 4. Klasse

Fast noch wichtiger aber ist für die Heimatfreunde die unmittelbare Nähe zur Schule und damit der direkte Draht zur jungen Generation. „In der vierten Klasse erkunden zum Beispiel die jungen Heimatforscher die Exponate hier im Keller“, erläutert Iris Diekmann. „Im benachbarten Seniorenheim können sie dann die Zeitzeugen dazu befragen.“ Das Projekt wurde mehrfach ausgezeichnet – unter anderem mit dem Sonderpreis „Junge Heimat“ des Landes Nordrhein-­Westfalen.

Die Regale sind gut gefüllt, der Platz wird langsam knapp. „Während man sich früher kaum von seinen alten Schätzen trennen wollte, wird uns heute vieles kostenlos angeboten.“ Manche Angebote müsse man leider ablehnen, sagt Iris Diekmann und weist auf das Regal mit zahlreichen Brotschneidemaschinen. Andere Neuzugänge dagegen wären durchaus noch ­willkommen, erklärt die 56-­Jährige, die bei der Augustdorfer ­Stadtverwaltung beschäftigt ist: „Was uns fehlt, ist zum Beispiel Blechspielzeug oder alter Weihnachtsschmuck.“

Foto / Quelle: Patrick Kleibold

Originale alte Werkstätten

Alles ist mit viel Liebe und einem guten Blick für das Detail arrangiert und in Szene gesetzt: Besonders ins Auge fallen eine Schuster- und eine Tischlerwerkstatt sowie eine Frisierstube aus den 1950er-­Jahren. Iris Diekmann: „In diesen Fällen ist es gelungen, authentische Zeugnisse der Ortsgeschichte zu erhalten, weil die Werkstätten aus Augustdorf stammen.“ Nicht wenige Besucher werden beim Anblick dieser Exponate unwillkürlich auf eine Zeitreise gehen und in Gedanken wieder im Frisiersessel Platz nehmen. Das kann sogar für die gelten, für die der Ort nur eine Heimat auf Zeit war: Als im Soldatenheim der Augustdorfer Rommel-Kaserne das Kino aufgelöst wurde, konnte der Heimatverein einen großen Teil des Inventars – darunter zwei große Vorführgeräte – übernehmen.

Das Leben war früher vielleicht beschaulicher, allerdings für viele Menschen von Mangel und harter Arbeit geprägt. Das wird in der Ausstellung ebenfalls deutlich. „Karg und arm, was für den Boden der Senne gilt, lässt sich auch auf das Leben der Bevölkerung übertragen“, sagt Iris Diekmann. Viele der Exponate zeigen, wie man versuchte, aus dem Wenigen, was man hatte, etwas zu machen.

Beim Blick auf die Schiefertafel, die mit anderen Exponaten im Keller an „Schule damals“ erinnert, fällt Iris Diekmann der Besuch von Ina Scharrenbach, Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung, ein und sie muss schmunzeln. Als die Ministerin ihren Namen mit Kreide auf die Tafel schrieb, habe sie lauten Protest von den anwesenden Mädchen und Jungen aus der Grundschule geerntet: „Die Buchstaben entsprachen nicht denen, die die Kinder in der Schule lernen.“ „So schreibt man nicht!“, habe es wie aus einem Mund geheißen.

Foto / Quelle: Patrick Kleibold

Mit der „Pickert-Schmiede“ präsent

Die Aktivitäten des Augustdorfer Vereins beschränken sich nicht auf den Blick in die Vergangenheit. Die Vereinsmitglieder gestalten das Leben in ihrem Heimatort aktiv mit und sind bei vielen Veranstaltungen präsent. Außerdem werden regelmäßig Wanderungen, Radtouren und Wochenendfahrten angeboten. Alle zwei Jahre am 1. November wird der Heimatkeller beim „Tag der offenen Tür“ allen Interessierten zugänglich gemacht. Führungen für Schulen oder Gruppen sind außerdem möglich. Dass auch die Heimatliebe durch den Magen geht, beweist der Erfolg, den die Augustdorfer bei öffentlichen Veranstaltungen mit ihrer „Pickert-­Schmiede“ haben. Dokumentiert ist das an einer Fotowand, an der zahlreiche Aktivitäten des Heimatvereins und andere Zeitzeugnisse in Bild und Text festgehalten sind.

Und Pickert ist nicht gleich Pickert. Auch das lernt insbesondere der Besucher, der mit den Besonderheiten des althergebrachten lippischen Kartoffelgerichts nicht so vertraut ist: „Pfannenpickert muss es sein“, sagt Iris Diekmann. Kastenpickert ist nach ihrer Meinung nicht so „das Wahre“. Auf das klassische Rübenkraut allerdings verzichtet die 56-­Jährige gern: „Das mag ich nicht so.“ Stattdessen streicht sie lieber Honig auf den Pickert: „Man muss mit Traditionen manchmal ein bisschen flexibel umgehen!“

Foto / Quelle: Patrick Kleibold

Hintergrund 

Augustdorf ist vielen durch die Bundeswehr – eine der größten Kasernen Deutschlands hat ihren Standort dort – und den unmittelbar an den Ort angrenzenden Truppenübungsplatz bekannt. Gegründet wurde Augustdorf 1775, seinen Namen erhielt der Ort aber erst 1789 in Erinnerung an den sieben Jahre zuvor verstorbenen Grafen Simon August zur Lippe. Augustdorf war immer von Zuzug geprägt, nach dem Zweiten Weltkrieg kamen Vertriebene, in den 1990er-­Jahren viele Spätaussiedler aus den Gebieten der ehemaligen ­Sowjetunion. Der Heimatverein Augustdorf wurde am 9. November 1979 gegründet und hat heute rund 400 Mitglieder. www.heimatverein-augustdorf.de

0 Kommentare
Inline Feedbacks
Alle Kommentare anschauen