Die Tür steht immer offen
Wie Peter Leppin für die einsamen Menschen in seinem Stadtviertel in Paderborn mit einem Treffpunkt der Caritas die Einsamkeit bekämpft.
Die Tür steht offen. Wie fast jeden Tag ist Peter Leppin vor Ort, setzt erst einmal einen Kaffee auf. Denn: In der Caritas-Anlaufstelle im Paderborner Wohnquartier am Lichtenturmweg sind Besucher jederzeit willkommen. „So mancher, der mein Auto erkennt, kommt dann erst mal rein und will reden“, erzählt der 75-Jährige. Die Anlaufstelle in seinem eigenen Wohngebiet ist ihm ein Herzensanliegen. „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass hier sehr viele Menschen leben, die einsam und verlassen sind“, berichtet er.
Zwischen 6 000 und 7 000 Menschen leben in seinem Wohnquartier. Die Innenstadt von Paderborn sowie ein großes Einkaufszentrum sind nicht weit entfernt, für Senioren mit Rollatoren und ohne Auto allerdings kaum erreichbar. Als vor einigen Jahren der Supermarkt in der Nachbarschaft geschlossen werden sollte, wurde der langjährige Caritas-Mitarbeiter Peter Leppin aktiv. 40 Jahre lang hatte er sich beruflich bei der Caritas für das Gemeinwohl eingesetzt – das lässt sich nicht einfach abschütteln. „Ich bin mit einer Unterschriftenliste zum Erhalt des Nahkaufs von Tür zu Tür gegangen“, berichtet er. „Letztlich erfolglos, aber dabei ist mir aufgefallen, wie viele einsame Menschen es hier gibt.“ Denn nicht selten wurde aus dem kurzen Gespräch an der Haustür ein mitunter stundenlanger Aufenthalt, weil die Menschen niemanden mehr zum Reden hatten.
Eine Reihe von Angeboten
Inzwischen gibt es eine ganze Reihe von Angeboten in der Anlaufstelle – wie etwa einen Spielenachmittag. Immer mit dabei: Carry Bergmann, der man ihre 85 Jahre nicht ansieht. 1966 zog die Indonesierin der Liebe wegen von Amsterdam nach Paderborn – „aus der Großstadt ins Dorf“, sagt sie und lacht. „Damals wurde ich beguckt, als käme ich von einem anderen Planeten.“ Ihren Mann hat sie überlebt und ist nun allein. „Das war so nicht geplant.“ Mitspielen möchte sie heute aber nicht. Bei „Qwirkle“ und „Rummikub“, auf das sich die anderen sieben Spieler in zwei Gruppen verständigt haben, müsse man zu viel nachdenken. „Aber ich sitze lieber hier als allein zu Hause“, sagt sie, blättert in einer Zeitschrift und beteiligt sich gelegentlich an den Gesprächen. Beim „Rummikub“, das dem Kartenspiel „Rommé“ ähnelt, sitzt der 38-jährige David Selomon, koptischer Mönch aus Eritrea, mit drei Damen jenseits der 80 Jahre zusammen. „Er liebt das Spiel“, sagt Lucia Schröder, was dieser bestätigt. „Ich finde es ganz fantastisch.“ Die Runde hat viel Spaß zusammen – Ende offen. Die letzten Spieler ziehen die Tür hinter sich zu.
Das Paderborner Wohnquartier am Lichtenturm war Ende der Siebzigerjahre auf einem großen Feld entstanden. Eigentlich nicht schlecht geplant: mehrstöckige Wohnanlagen gemischt mit Einfamilienhäusern und Grünflächen. „Damals zogen hier junge Familien ein. Die Kinder sind nun aber alle aus dem Haus, die Paare blieben zurück und wurden älter“, sagt Leppin. Bei vielen starb der Ehepartner, einige junge Leute und Flüchtlinge kamen nach. Die, die kamen, leben ihr Leben aber eher in der nahen Universität oder im Zentrum von Paderborn.
„Mich hat es berührt, dass gerade in den Hochhäusern viele Ältere krank vor Einsamkeit sind“, sagt Leppin bewegt. Er ging zu seinem früheren Arbeitgeber und schilderte dem Vorstand des Caritasverbandes Paderborn, Patrick Wilk, das Problem. „Was für eine Idee haben Sie?“, fragte dieser. „Ein Quartiersbüro, eine Anlaufstelle für das Quartier“, war die Antwort von Leppin. Wilk sagte Unterstützung zu. Gemeinsam mit der Stadt und in Absprache mit dem eigentlich für das Quartier zuständigen Wohlfahrtsverband übernahm die Caritas die Miete für eine Anlaufstelle.
Sprachkurse in kleinem Kreis
„Regenbogen – was ist das?“, fragt der 62-jährige Yurii Biienco aus der Ukraine. Beim Sprachkurs am Dienstagabend erklärt die pensionierte Lehrerin Monika Neuwöhner heute Wetterphänomene. Doch Shadi Hasso, 40-jähriger Kurde aus dem syrischen Afrin, kommt ihr zuvor und erklärt es seinem Nachbarn. Zweimal wöchentlich findet in der Anlaufstelle ein Sprachkurs in kleinem Kreis statt – heute mit sechs Teilnehmern von vier Kontinenten. „Die Kurse beim Caritas-Dienst Mikado waren überlaufen“, erklärt Leppin. „Außerdem kommt man in den großen Kursen ja gar nicht zum Reden.“ Zwei junge Männer aus Guinea sind heute wieder dabei, außerdem zwei junge Brasilianerinnen, die ein Jahrespraktikum in Paderborner Pflegeeinrichtungen absolvieren und bei einer Gastmutter im Viertel wohnen. „Die sind alle sehr motiviert und machen intensiv mit“, sagt die Lehrerin zufrieden.
Seit 2018 gibt es nun den Treffpunkt der Caritas. „Es geht darum, Nachbarschaften zu pflegen, Menschen aus verschiedenen Generationen und Kulturen zusammenzuführen“, erklärt Leppin. Corona erschwerte dies. „Das hat auch viel wieder kaputtgemacht“, bedauert er. Doch Leppin hat nicht aufgegeben. Zahlreiche Gruppen treffen sich regelmäßig in der Anlaufstelle, die direkt zwischen einem Bäcker und einem Ärztehaus mit Apotheke liegt. Mehr als 20 Ehrenamtliche hat er gewonnen, die sich in der ein oder anderen Form engagieren. Etwa Waldemar Selko. „Der macht alles“, sagt Peter Leppin am Rande eines Treffens der Ehrenamtlichen und lächelt. „In allen Lagen: Selko fragen.“ Doch der winkt bescheiden ab. „Seit 33 Jahren lebe ich im Viertel“, sagt er. Ein gutes Miteinander und Frieden im Viertel sind ihm ein wichtiges Anliegen. Dann werden die Dienste der kommenden Wochen in der Runde besprochen.
Als Peter Leppin am Ende zu einem Rundgang durchs Viertel aufbrechen will, kommt Katja Kesselmeier aus ihrer „Apotheke am Lichtenturm“. Sie freut sich über den regen Betrieb in der Nachbarschaft. „Der Treff ist eine wichtige Anlaufstelle“, sagt die Apothekerin. „Eine wichtige soziale Säule für das Viertel.“ Dass Einsamkeit ein Problem ist, ist ihr besonders während der Pandemie aufgefallen. „Manche Ältere sind jeden Tag in die Apotheke gekommen, um irgendetwas abzuholen und ins Gespräch zu kommen. Viele andere Möglichkeiten gab es ja nicht.“ Beim Seniorentreff war sie auch schon als Referentin eingeladen. „Beim Kaffeetrinken der Senioren ist es gut, immer einen inhaltlichen Input zu haben“, erklärt Leppin.
Auch eine neu zugezogene Märchenerzählerin aus seiner Nachbarschaft hat er kürzlich gewonnen. Zweimal ist Karin Müller schon da gewesen. „Der Raum war voll“, berichtet sie. „Gerade Ältere lieben Märchen. Die machen was mit einem, die kann man nicht streamen wie eine Serie.“ Deshalb beschränkt sie sich auf drei Märchen pro Termin, unterbrochen von Musik und anderen akustischen Impulsen. „Die Leute, die kommen, sind sehr dankbar, dass es das gibt.“ Gern möchte sie ihr Angebot einmal im Monat vor Ort anbieten. „Es ist ein sehr gemischtes Quartier“, ist ihr nach dem Umzug schnell aufgefallen. „Diese Begegnungsstätte trägt da definitiv zur Gemeinschaft und zum Frieden bei jedem Einzelnen und im Quartier bei.“
// Markus Jonas