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27.09.2024
Wie das Bonifatiuswerk für die Diaspora-Christen wirbtVom Künstler-Plakat zum Internet-AuftrittSankt Bonifatius bittet für die Diaspora-Christen. Dieses Plakat aus dem Jahr 1927 gestaltete der Paderborner Künstler Josef Dominikus
Foto / Quelle: Bonifatiuswerk

Ein großes Zeichen der Hoffnung

Westliche Devisen, geschmuggelte Videorekorder, Pakete mit Kaffee oder Kommunionkleidung: Ohne das Bonifatiuswerk wäre katholisches Gemeindeleben in der DDR kaum möglich gewesen.

Paderborn

Grundtoder weniger behelfen. Die im Zweiten Weltkrieg zerstörte Kirche war 1954 abgerissen worden. Für die Gottesdienste nutzte die Gemeinde zwischenzeitlich verschiedene evangelische Kirchen in der Stadt. Der Wiederaufbau des Gotteshauses war zwar von den DDR-­Behörden erlaubt worden, die eigentliche Baugenehmigung wurde aber immer wieder verschleppt und schließlich ganz verweigert.

Doch für die durch Heimatvertriebene stark gewachsene Gemeinde war klar: Es musste eine neue Kirche her. Am 21. November 1982 wurde sie geweiht – allerdings an einem Standort außerhalb des Stadt­zentrums. Möglich gemacht hatte dies der Dresden-­Meißener Bischof Gerhard Schaffran, der die Behörden zum Einlenken brachte. Und nicht zuletzt ermöglichten die aus dem Westen geflossenen Devisen den Kirchenbau. Jahrelang hatte das Bonifatiuswerk Spenden für das Projekt gesammelt und das Geld über den Devisenhandel der DDR an die Trinitatis-­Gemeinde gesandt. Bis zum Fall der Mauer 1989 flossen für die Kirche in Leipzig sowie zahlreiche weitere Projekte insgesamt 743 Millionen D-Mark nach Ostdeutschland.

Die 2015 geweihte neue Kirche der Propstei­gemeinde St. Trinitatis in Leipzig.
Foto / Quelle: Bonifatiuswerk

Doch das Bonifatiuswerk unterstützte katholische Christinnen und Christen in der DDR nicht nur mit Geld. „Ich war damals Theologiestudent“, erinnert sich Georg Austen, der heutige Generalsekretär des Bonifatiuswerkes. „Wir hatten alle eine Kontaktperson in der DDR. Es wurden Pakete mit theologischer Literatur gepackt, aber auch mit Kaffee und anderen Lebensmitteln.“ Organisiert wurden diese Aktionen in den 1970er-­Jahren vom Bonifatiuswerk. Am Zoll vorbei wurde versucht, den Theologiestudenten, jungen Priestern oder Seelsorgehelferinnen im Osten Unterstützung zukommen zu lassen. Und weil die DDR-­Bürger nicht in die Bundesrepublik reisen durften, fuhren die westdeutschen Studenten kurzerhand in die DDR. „Manche Dinge haben wir auch geschmuggelt. Wir haben sogar einmal Videorekorder in Waschmittelboxen versteckt und dann gehofft, damit unentdeckt über die Grenze zu kommen“, erzählt Monsignore Georg Austen heute. So sollte auch in der DDR, die offiziell als atheistisch galt, eine zeitgerechte Gemeinde­arbeit ermöglicht werden.

Große pastorale Probleme

Das Gebiet zwischen Elbe, Werra und Oder ist für das Bonifatiuswerk seit jeher von großem Interesse gewesen. Im Zuge der Industrialisierung und des Zuzuges katholischer Arbeiter begannen dort im 19. Jahrhundert viele Diaspora­gemeinden zu wachsen. Diese als „Missionen“ bezeichneten Gemeinden entwickelten sich aus Schulen, die Priester neu aufgebaut hatten. Später kamen Kirche und Pfarrhaus hinzu. Zum ersten Mal wurden den Pfarrern auch Seelsorgehelferinnen, heute Gemeindereferentinnen, zur Seite gestellt. In der 1949 gegründeten DDR waren die katholischen Gemeinden von Beginn an vor große pastorale Pro­bleme gestellt. Kriegsflüchtlinge und Heimatvertriebene ließen die Zahl der Katholikinnen und Katholiken in dem Gebiet in kurzer Zeit von etwa einer Million auf drei Millionen anwachsen.

Das Bonifatiuswerk unterstützte die Gemeinden auf vielfältige Weise – unter anderem wie in Leipzig beim Kirchen- und Pfarrhausbau. In der Zentrale in Paderborn wurden nicht nur Pakete mit Lebensmitteln, sondern auch mit Kleidung und zum Teil sogar mit Einrichtungsgegenständen gepackt. Viele Erstkommunionkinder wurden so eingekleidet, Kranke bekamen Medikamente. Auch katholische Kindergärten erhielten Unterstützung. Im Mittelpunkt der Hilfe stand unter anderem das Priesterseminar in Erfurt, das noch heute unterstützt wird. Zeitweise lebten dort bis zu 300 Theologiestudenten. Der langjährige Berliner Erzbischof Georg Kardinal Sterzinsky bewertete die Bedeutung der Hilfe in der DDR-­Zeit so: „Das Bonifatiuswerk hat einen wesentlichen Anteil daran, dass die katholische Kirche so vital überlebt hat, wie sie überlebt hat.“ In den Jahrzehnten der Teilung erwies sich das Bonifatiuswerk als wichtiges Bindeglied zwischen den Katholiken diesseits und jenseits der damaligen Grenze. Wichtig zudem: Die Kirchen galten in der DDR als Schutzraum für ­Oppositionelle und Regimekritiker. Sie waren Zentren des Widerstandes gegen das DDR-­Regime und spielten eine entscheidende Rolle während des Wendeprozesses.

In Paderborn werden in den 1950er-­Jahren Pakete mit Lebensmitteln und Kleidung gepackt.
Foto / Quelle: Bonifatiuswerk

Die Wiedervereinigung 1990 brachte neue Herausforderungen. Heute leben etwa 800 000 Katholiken in den sechs Bistümern, die zum Teil 1994/95 neu ­gegründet wurden. Nach Jahrzehnten der Einschränkung in der sozialistischen DDR-­Diktatur – trotz aller Hilfe, die möglich war – kann sich die katholische ­Kirche seit 1990 frei entfalten, ist christliches Handeln in die ­Gesellschaft hinein wieder möglich: So entstanden schon bald nach der Wiedervereinigung zum ­Beispiel Gymnasien in Halle, Magdeburg und Dessau sowie drei Grundschulen in Oschersleben, Halle und ­Magdeburg. Gebaut wurden auch neue Gemeinde­häuser und ­Kindergärten. Letztere werden vom Bonifatiuswerk ­weiterhin mit 550 000 Euro jährlich unterstützt.

RKW und klösterliches Leben

Bereits seit 60 Jahren fördert das Bonifatiuswerk die Religiösen Kinderwochen (RKW) in den mittel- und ostdeutschen Diaspora-­Regionen. 2023 wurden dafür 370 500 Euro zur Verfügung gestellt. Auch ­klösterliches Leben kehrte zurück. Zum Beispiel in Helfta in der Lutherstadt Eisleben in Sachsen-­Anhalt, wo seit 1999 wieder Zisterzienserinnen vor Ort sind. In ­Neuzelle entsteht seit 2018 ebenfalls ein neues Kloster auf alten Wurzeln. Es war die erste Klosterneugründung der ­Zisterzienser in Brandenburg seit dem Mittelalter.

Und in Leipzig? Die zweite Kirche der Propstei­gemeinde St. Trinitatis wies bereits 1983, also ein Jahr nach der Weihe, Baumängel auf, die im Laufe der kommenden Jahre immer gravierender wurden. Eine Sanierung hätte die finanziellen Möglichkeiten der Gemeinde bei Weitem überschritten. 2008 begann die Planung für einen Neubau. 2015 wurde die neue Kirche geweiht – in Sichtweite des Ortes, an dem die erste Trinitatiskirche gestanden hatte und in unmittelbarer Nachbarschaft zum Neuen Rathaus. Es ist der größte Kirchenneubau nach 1990 in Ostdeutschland. Die Stadt Leipzig und die Propsteigemeinde zählen zu den Gewinnern der Wiedervereinigung. Die ostdeutsche Stadt ist zwar tiefe Diaspora; weniger als vier Prozent der mehr als 600 000 Einwohner sind katholisch, nicht einmal jeder fünfte Leipziger bekennt sich zu einer Religion.

Eine boomende Messestadt

Die Gemeinde St. Trinitatis aber, die Hauptgemeinde der Stadt, ist jung. Der Altersdurchschnitt liegt bei knapp unter 40 Jahren. Aktuell zählt die Gemeinde etwa 4 500 Mitglieder. Die boomende Messestadt zieht junge Familien aus Ost und West an, unter ihnen viele Katholiken. Und dank der Spenderinnen und Spender des Bonifatiuswerkes konnte das katholische Hilfswerk auch den dritten Kirchenneubau in Leipzig unterstützen – und zwar mit zweckgebundenen Spenden von 2,7 Millionen Euro und weiteren 1,5 Millionen Euro aus der Bauhilfe. Darüber hinaus wurde am 8. Februar 2009 bundesweit in allen katholischen Sonntagsgottesdiensten für den Kirchenneubau gesammelt. So kamen zusätzlich 2,2 Millionen Euro zusammen. Monsignore Georg Austen kann sich noch gut an die Weihe erinnern, die ein sehr emotionaler Moment gewesen sei: „Das ist ein großes Zeichen der Hoffnung und der Zukunft gewesen. Und für unsere Kirche. Der Neubau ist sehr wertvoll und zukunftsweisend. Mich beeindruckt vor allem die klare und edle Einfachheit.“

Hintergrund

2024 feiert das Bonifatiuswerk drei Geburtstage: Vor 50 Jahren wurde das Fördergebiet um Nordeuropa erweitert. Vor 75 Jahren ist die Verkehrshilfe ins Leben gerufen worden. Und vor 175 Jahren wurde das Bonifatiuswerk in Regensburg gegründet. Als „Hilfswerk für den Glauben“ stellt es sich in die Tradition seiner Gründer, die den „Bonifacius-­Verein für die kirchliche Mission in Deutschland“ 1849 gegründet haben. Das Hilfswerk unterstützt Katholiken dort, wo sie in einer extremen Minderheitensituation ihren Glauben leben, und fördert Projekte in Deutschland, Nordeuropa und dem ­Baltikum.

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