Titel
Der Papst nennt sich wieder „Patriarch des Westens“. Eine Information, die der Einordnung bedarf – denn Franziskus macht eine Entscheidung seines Vorgängers rückgängig.
Die Kirchenszene ist verwundert. Für Ökumene-Interessierte ist es ein historisches Schmankerl – oder auch mehr. Papst Franziskus trägt nun wieder den historischen Titel „Patriarch des Westens“ – den sein Vorgänger Benedikt XVI. erst 2006 abgelegt hatte. Ein Affront? Eine Reform einer Reform, zu deuten nach dem Schema konservativ gegen progressiv? Sicher nicht. Vieles deutet darauf hin, dass beide Päpste vor allem eines wollten: der Ökumene dienen.
Der Titel „Patriarch des Westens“ ist eher ein Nebentitel des Papstes, der zuallererst Bischof von Rom ist. Damit stellt er sich im ökumenischen Dialog auf eine Ebene mit dem Patriarchen von Konstantinopel und mit weiteren Patriarchen jener Kirchen im Osten, die den Papst nicht als universales Kirchenoberhaupt, sondern als ihresgleichen anerkennen. Der Patriarch von Konstantinopel, Bartholomaios I., den Franziskus bereits bei mehreren Gelegenheiten als „Bruder“ ansprach, sei früh von dem Schritt informiert worden, heißt es in Rom.
Bartholomaios, inzwischen 84 und schon seit fast 33 Jahren im Amt, ist ein Motor der Ost-West-Ökumene – zusammen mit Franziskus; aber auch und vor allem mit Benedikt XVI., der 2005 als ein Papst der Ökumene angetreten war. Noch in seinem ersten Amtsjahr hatte Benedikt den „Patriarchen des Westens“ aus der Liste der Papsttitel streichen lassen – und damit ohne Absicht Irritationen bei den Ostkirchen ausgelöst.
Denn der ökumenefreundliche und wohlmeinende Benedikt XVI. wollte eigentlich mit seinem Titel-Verzicht neue Denkwege zur Ausübung eines päpstlichen Primats als einer Art weltweitem Sprecher des Christentums eröffnen. Doch offenbar ist es für die meisten Ostkirchen einfacher, mit dem Papst als „Patriarchen des Westens“ umzugehen als mit den anderen historisch entstandenen Titeln des Pontifex, darunter „Stellvertreter Christi“ oder „Oberster Hirten der universalen Kirche“.
In der Nachfolge der Apostel
Ein Schritt zurück: Die Alte Kirche kannte seit dem Konzil von Chalcedon 451 eine Rangfolge der fünf wichtigsten Patriarchate: Rom, Konstantinopel, Alexandrien, Antiochien und Jerusalem. Der byzantinische Mönch und Kirchenlehrer Theodor Studites (759-826) sprach von der „fünfhäuptigen Macht der Kirche“ (griech. „Pentarchie“). Gemeint war damit eine Leitungsgewalt der fünf Patriarchen – in gemeinsamer Verantwortung.
Diese fünf Patriarchen stehen in gleicher Weise in der Nachfolge der Apostel – und sie wurden als die wichtigsten Einheitszentren der einen Kirche verstanden. Alle anderen Teilkirchen, so das Idealbild, mussten mit diesen fünf im Glauben verbunden sein.
Jedes Patriarchat der Pentarchie hatte sein je eigenes Territorium mit den ihm unterstellten Metropoliten, Bischöfen und Gläubigen zu leiten. Ein Übergriff eines Patriarchen in den Zuständigkeitsbereich des Kollegen war untersagt. Wenn Fragen zur Entscheidung anstanden, trafen sich die Bischöfe auf dem vom byzantinischen Kaiser einberufenen Ökumenischen Konzil.
Erster unter Gleichen
Rom mit den Apostelgräbern von Petrus und Paulus kam der Ehrenvorrang eines „Primus inter pares“ zu (Erster unter Gleichen). Der Patriarch von Konstantinopel, Nachfolger des Apostels Andreas, nahm den zweiten Rang ein, da die Stadt als Regierungssitz des oströmischen Kaisers das „Zweite Rom“ sei. Bis heute ist er Ehrenoberhaupt der Weltorthodoxie.
Der dritte Rang der Pentarchie kam Alexandria zu, dessen Patriarchen sich auf das Martyrium des Evangelisten Markus berufen. Allerdings gibt es heute in der antiken Residenzstadt Markus-Nachfolger verschiedener christlicher Konfessionen. Tawadros II. ist koptischer Papst von Alexandrien und Ganz Afrika. In der Tradition der alten Pentarchie steht genau genommen der griechisch-orthodoxe Patriarch von Alexandrien, seit 2004 Theodoros II.
Rang vier und fünf haben Antiochien und Jerusalem; erstere als Stadt der Apostel und Apostelschüler und Sitz einer wichtigen theologischen Schule. Heute residieren der griechisch-orthodoxe und der melkitische Patriarch von Antiochien im syrischen Damaskus. Jerusalem schließlich ist die Stadt der Auferstehung Christi und der „Thron des Jakobus“; denn als erstes Oberhaupt der Jerusalemer Gemeinde gilt Jakobus „der Herrenbruder“.
Kirchenbild der Pentarchie
Spätestens mit dem zweiten Jahrtausend wurde das Kirchenbild der Pentarchie im lateinischen Westen obsolet. Hier entwickelte sich von Rom aus ein vor allem rechtliches Bild von Kirche – mit dem römischen Papsttum an der Spitze einer Hierarchie. In den Ostkirchen jedoch hat sich der Wunsch nach einer Rückkehr zur „fünfhäuptigen Macht der Kirche“ erhalten – zumindest in der Theorie.
Nach dem definitiven Ausscheiden Roms aus der Pentarchie und dem Untergang des Byzantinischen Reiches (1453) wurde Moskau 1589 zum Patriarchat erhoben und von der Synode der vier verbliebenen Pentarchen 1593 in Istanbul neu an die fünfte Stelle gereiht. Moskau versteht sich freilich selbst als das „Dritte Rom“; zudem hat es die bei weitem meisten Kirchenmitglieder in der orthodoxen Welt aufzuweisen. Daher beäugt es sowohl die Rolle des Ehrenprimats von Konstantinopel als auch jede ökumenische Annäherung von Rom und Konstantinopel sehr argwöhnisch.
Es liegt im Bereich der Spekulation, ist jedoch nicht unwahrscheinlich, dass Franziskus mit der neuerlichen historisch-formalen Geste auch Bartholomaios I. den Rücken gegenüber dem russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill I. stärken will. Indem Rom das Fünfeck der Alten Patriarchen wiederherstellt, wird – zumindest nach dem orthodoxen Kirchenbild – die Position Moskaus theologisch geschwächt.
Und so könnte aus der antiquiert wirkenden Aufzählung „Nachfolger des Apostelfürsten, Pontifex maximus der universalen Kirche, Patriarch des Westens, Primas von Italien, Erzbischof und Metropolit der Provinz Rom, Souverän des Staates der Vatikanstadt, Diener der Diener Gottes“ im Päpstlichen Jahrbuch 2024 ein Puzzlestück päpstlicher Diplomatie im Krieg werden – mit Hilfe von ökumenischer Theologie.