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09.01.2025
Thomas Wieland leitet den Bereich Ausland beim Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat.
Foto / Quelle: Martin Steffen/Adveniat

Ein unkalkulierbares Pulverfass

Adveniat zeigt sich besorgt zum Amtsantritt des neuen oder alten Präsidenten Venezuelas.

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„Venezuela ist das unkalkulierbare Pulverfass der gesamten Region.“ Das sagt der Leiter des Bereichs Ausland beim Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat Thomas Wieland angesichts des für den morgigen Freitag, 10. Januar, anstehenden Amtsantritts des Präsidenten von Venezuela. Der seit 2013 autokratisch regierende Präsident Nicolas Maduro beansprucht den Wahlsieg für sich, bestätigt durch das von ihm diktierte Oberste Gericht Venezuelas.

Für die venezolanische Opposition aber auch die überwiegende Mehrheit der lateinamerikanischen und europäischen Staaten sowie die USA steht jedoch fest: Maduro konnte die Wahl nur durch Wahlbetrug gewinnen. Der eigentliche Sieger ist der Kandidat des Oppositionsbündnisses Edmundo González. „Wie es in den nächsten Tagen und Wochen in Venezuela weitergeht, hat Auswirkungen auf die gesamte Region“, ist Adveniat-Experte Wieland überzeugt. „Es geht um die Stabilität der gesamten Region, es geht um alle großen Themen: Wirtschaft, Migration und Frieden.“

Sanktionen contra Erdöl-Importe

Während die europäischen Staaten und die USA auf der einen Seite immer wieder Sanktionen verhängt und neue angekündigt hätten, stützten insbesondere Spanien und die USA auf der anderen Seite durch vermehrte Erdöl-Importe wirtschaftlich das Regime. „Die USA haben 2024 so viel venezolanisches Öl eingekauft, dass die Lieferungen an den wichtigsten Verbündeten Venezuelas, an Kuba, halbiert wurden“, erklärt Thomas Wieland. Das habe im vergangenen Oktober zu einem mehrtägigen Blackout in Kuba geführt. „Das Beispiel zeigt: Die Preise an den US-amerikanischen Zapfsäulen sind der entscheidende Faktor, ob man sich gegen das Regime stellt oder es durch wirtschaftliche Zusammenarbeit stärkt“, so der Leiter des Bereichs Ausland bei Adveniat. Wie sich der neue amerikanische Präsident Donald Trump gegenüber Venezuela und Maduro verhält, sei vollkommen unklar. Zwei Millionen venezolanische Flüchtlinge leben bereits in den USA und an der Grenze zu Mexiko stehen Hunderttausende, die ins Land wollen. „Bleibt Maduro an der Macht, wird es zu einem weiteren Exodus kommen“, ist Thomas Wieland überzeugt. Und auch der Friedensprozess in Kolumbien hänge maßgeblich von den Ereignissen in den nächsten Tagen in Venezuela ab. Denn das Land ist das Rückzugsgebiet von bewaffneten Gruppen Kolumbiens.

Was in Venezuela in den nächsten Tagen passiert, ist jedoch schwer einzuschätzen. Oppositionsführerin Maria Corina Machado, die in Venezuela seit Monaten im Untergrund lebt, hat zu Protesten für den heutigen Donnerstag, dem Vortag der Vereidigung aufgerufen. „Dieser Tag wird in die Geschichte eingehen als der Tag, an dem Venezuela sagte: ‚Genug!‘“, schrieb sie auf X/Twitter. Das Regime hat mit 100.000 Euro Kopfgeld und Fahndungsplakaten auf die Ankündigung des mutmaßlichen Wahlsiegers Edmundo González reagiert, zum Amtsantritt aus dem spanischen Exil nach Caracas zurückkehren zu wollen. Dieser ließ sich bislang nicht davon beirren. Ganz im Gegenteil: Seit Tagen reist er durch verschiedene Staaten Lateinamerikas und wirbt um Unterstützung – durchaus mit Erfolg: Selbst linke Präsidenten, die lange nicht als Kritiker aufgetreten sind, wie Kolumbiens Gustavo Petro werden bei einer Vereidigung Maduros nicht anwesend sein. „Wir können keine Wahlen anerkennen, die nicht frei waren“, ließ Kolumbiens Präsident verlauten und trifft damit sicherlich die Mehrheitsmeinung in der Region.

Hochsicherheitszone

Das Maduro-Regime hat Caracas vor dem Amtsantritt zu einer Hochsicherheitszone gemacht. Kontrollposten, Militärs, Polizei sowie die berüchtigten Collectivos, schwarzgekleidete bewaffnete Schlägerbanden auf Motorrädern, bestimmen das Stadtbild. Wer sich an Protesten beteilige, werde dies für den Rest seines Lebens bereuen, drohte Diosdado Cabello. Der Innen- und Justizminister und eigentliche starke Mann hinter Maduro hat das Militär und auch die Collectivos in der Hand. Entsprechend eingeschüchtert ist das Volk. Denn Hunderte sind bereits während der Proteste nach den Wahlen verhaftet worden. Oppositionspolitiker, die noch nicht im Gefängnis sitzen, leben im Untergrund oder im Exil. Insgesamt haben aufgrund der verheerenden Wirtschafts- und Staatskrise acht Millionen Venezolanerinnen und Venezolaner das Land verlassen – ein Drittel der Gesamtbevölkerung.

Das Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat steht mit der Kirche als einziger Institution, der das Volk noch vertraut, an der Seite der Menschen. Die Hilfe umfasst Lebensmittel, Medikamente, aber auch den Unterhalt zahlreicher kirchlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie kümmern sich um Bildung, Gesundheitsversorgung und Infrastruktur, weil der Staat vollständig ausfällt. „Wir liefern Medikamente, weil sie für die Menschen unbezahlbar sind. Wir bauen Gesundheitsposten auf, weil die staatlichen nicht mehr vorhanden sind. Wir fördern den Bau von Solaranlangen, weil die Stromversorgung regelmäßig ausfällt. Wir bezahlen Lehrerinnen und Lehrer an kirchlichen Schulen, während an staatlichen Schulen nur noch an zwei Tagen in der Woche so etwas wie Unterricht stattfindet“, fasst Adveniat Ausland-Chef Thomas Wieland zusammen.

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