Das Kaufhaus „Steinberg & Grünebaum“, seit 1910 ein städtebaulicher Blickpunkt in der Paderborner Innenstadt.
Foto / Quelle: Stadt- und Kreisarchiv Paderborn, Nachlass Naarmann

Titel

Kurz vor Libori erinnerte eine Gebäude-­Umbenennung in Paderborn an die jüdische Unternehmerfamilie Grünebaum. Aus diesem Anlass erscheint ein Buch der Historikerin Margit Naarmann in einer Neuauflage. Der Journalist und Verleger Karl-­Martin Flüter über die Familiengeschichte der Grünebaums und die Autorin.

Paderborn

Margit Naarmann hatte in den 1980er- und 1990er-­Jahren die Standardwerke zur Geschichte der jüdischen Bevölkerung in Paderborn geschrieben, als sie mit den Recherchen über die Familie Grünebaum begann. 2001 veröffentlichte sie die Ergebnisse in dem Buch „Eine ‚vernünftige‘ Auswanderung“ – eine Familienbiografie, die mit der Flucht aus dem nationalsozialistischen Deutschland und dem schwierigen Neuanfang in den USA endete.

Margit Naarmann ist 2016 verstorben. Doch ihre Arbeit lebt fort. Sie war nicht nur Historikerin, sondern wurde enge Freundin der Menschen, deren Schicksal sie erforschte. So lud sie 2001 die Nachfahren der Familie Grünebaum nach Paderborn ein.

Zusammen mit dem Bürgermeister Heinz Paus stellte man sich zum Foto neben einer Tafel am ehemaligen Kaufhaus „Steinberg & Grünebaum“ auf. Ein kurzer Text auf der Tafel erinnerte an die Geschichte des Hauses, das bis 1941 im Familienbesitz der Grünebaums war. Peinlich war nur, dass das „Haus Pötz“ immer noch den Namen des Besitzers trug, der das Haus im Zuge der Arisierung während der Nazizeit erworben hatte.

Das änderte sich erst, nachdem die Volksbank Paderborn die Immobilie 2023 gekauft hatte. Das Geld­institut hat das „Haus Pötz“ kurz vor Libori in „Haus Grünebaum“ umbenannt. Ansgar Käter, Vorstandsvorsitzender der VerbundVolksbank OWL eG, betont, die Bank wolle auf diese Weise die „Verantwortung für die bewegte und bewegende Geschichte“ des Kaufhauses und der Familie übernehmen.

Eine bürgerliche, vermögende, weltoffene Familie: Familienbild der Grünebaums aus dem Jahr 1929. Mit Zigarre Familienpatriarch Siegmund Grünebaum.
Foto / Quelle: Stadt- und Kreisarchiv Paderborn, Nachlass Naarmann

Die Umbenennung wird auch mit einer Ausstellung in der Volksbankfiliale am Neuen Platz gewürdigt. Thematischer Schwerpunkt ist die Geschichte des Kaufhauses „Steinberg & Grünebaum“, das ab 1910 für eine neue Qualität des Einkaufens in Paderborn stand.

Man ging zu „Steinberg & Grünebaum“, wenn Kommunionkinder eingekleidet werden mussten, die Aussteuer, ein neuer Anzug oder das Sommerkleid anstanden. Die Kunden konnten in einem reichen und vielseitigen Sortiment über mehrere Etagen zwanglos Ware aussuchen. Die Verkaufsräume waren groß und hell. Das Licht fiel durch große Glaskuppeln bis ins Erdgeschoss.

Die jüdischen Geschäftsleute Moritz Steinberg und Levy Grünebaum, Kaufmann aus dem benachbarten Geseke, gründeten 1868 ein „Manufaktur- und Modegeschäft“ in Paderborn. 1891 wurde Siegmund Grüne­baum, Sohn von Levy, Alleininhaber. Die Grünebaums wurden Paderborner und angesehene, vermögende und weltoffene Bürger.

Vertreibung und Neuanfang

Doch als Siegmund 1935 starb, hatte er noch erleben müssen, dass die scheinbare Normalität nicht selbstverständlich war. Schon am 1. ­April 1933 hatten SA- und SS-­Gruppen vor dem Geschäft gepöbelt und die großen Glasscheiben mit antisemitischen Parolen beschmiert.

Unter dem Druck der Nazis musste das Kaufhaus verkauft werden. Käufer wurde die Tochter von Jacob Pötz. Die Nazis hatten den rheinischen Zeitungsverleger enteignet. Sie wollen ihn auch als Kaufhausbesitzer nicht, deshalb musste die Tochter als Käuferin auftreten. Der Kaufvertrag lautete über 185 000 Reichsmark. „Dabei betrug allein schon der Einheitswert 217 000 Reichsmark“, schreibt Margit Naarmann in ihrem Buch.

Der Neuanfang der Flüchtlinge in den USA war schwierig. Ludwig Grünebaum, der ehemalige Kaufhausbesitzer, begann als Verkäufer, der von Haustür zu Haustür zog. Heute leben die Nachkommen über die USA verstreut. Sie haben ihre deutschen Namen amerikanisiert von Grünebaum in „Gray“ und von „Schwerin“, ein Verwandter und Mitgeschäftsführer des Geschäfts, in „Sherwin“.

Eine aktuelle Ansicht des Gebäudes.
Foto / Quelle: Patrick Kleibold

Zum Nachdenken auffordern

Es blieb ein Gefühl der Verbundenheit zu der Stadt, in der das Kaufhaus steht, das die Familie aufgebaut hat. Man habe die vierte Generation seit dem Krieg erreicht, sagte Walter Sherwin 2001 in Paderborn, „ungeachtet der Anstrengungen von Hitler und seiner Bande, uns eine Zukunft zu verweigern.“

Aber es gibt auch die andere Seite. Volksbank-­Vorstandschef Ansgar Käter erinnert an die Notwendigkeit, die Erinnerungskultur aufrechtzuerhalten – in einer Zeit, in der „Antisemitismus, Rechts­extremismus und Demokratiefeindlichkeit wieder stärker ausgelebt werden.“

Die Umbenennung ist ein posthumer Erfolg für Margit Naarmann, die zeitlebens den Wunsch nach einer Namensänderung nicht durchsetzen konnte. 2001 schrieb sie im Vorwort zu ihrem Buch, der Gedanke, dass die Familie noch heute in Paderborn „beheimatet“ sein könnte, „sollte jeden von uns zum Nachdenken auffordern, wie es um die eigene Toleranz steht, um Mitgefühl und Einsatz für unsere Mitmenschen heute“.

// Karl Martin Flüter

Info

Die Ausstellung in der Volksbank Paderborn wird noch bis zum 27. September in der Paderborner Volksbankfiliale, Schildern 2–6, zu den Geschäftszeiten zu sehen sein. ­Margit Naarmanns Buch „Eine ‚vernünftige‘ Auswanderung“ ist im Buchhandel erhältlich.

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