Endlich frei und selbstbestimmt
Das LWL-Projekt Rabea hilft jungen Frauen, die von Zwangsheirat und Ehrenmord bedroht sind.
Aus Angst vor einer Zwangsheirat und einem fremdbestimmten Leben wandte sich Dilara (Name geändert) an das Projekt Rabea. Heute lebt die junge Frau selbstbestimmt in Süddeutschland. Mit dem Projekt Rabea unterstützt das LWL-Heilpädagogische Kinderheim in Hamm junge Frauen, die von Zwangsverheiratung und Gewalt im Namen der „Ehre“ bedroht sind. Durch ein deutschlandweites Netzwerk können sie an einem anderen Ort Sicherheit finden. Über eine Mitarbeiterin des Jugendamtes, an das sich Dilara hilfesuchend auf den Rat eines Lehrers gewandt hatte, erfuhr die damals 15-Jährige vom Projekt des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL). Hier kam sie zunächst anonym unter. Der LWL berichtet auf seinem Internetauftritt https://scomp.ly/lwl-rabea-p ausführlich über Dilaras Geschichte.
Zukunft innerhalb der Familie
Als Dilara zur Grundschule ging, war ihre Welt noch in Ordnung. Sie lebte mit ihren Eltern und ihren beiden Brüdern in einer mittelgroßen Stadt im Ruhrgebiet, hatte Freundinnen im Viertel. Der einzige Unterschied war, dass Dilara öfter als diese zuhause bleiben sollte, mit zur Moschee gehen und religiöse Pflichten erfüllen musste. Erst mit zwölf, 13 Jahren bemerkte sie, dass sie etwas störte. Im Gegensatz zu ihren Freundinnen durfte sie am Nachmittag plötzlich nicht mehr raus, nicht ins Freibad. Sie musste ein Kopftuch tragen.
„Ich habe für mich gemerkt, dass ich nicht selbstbestimmt leben konnte“, sagt Dilara heute. „Damals konnte ich das natürlich noch nicht so formulieren, aber ich habe es gefühlt.“ Sie darf nicht mit auf Klassenfahrt, die Freundinnen sieht sie außerhalb der Schule überhaupt nicht mehr, sie zieht sich zurück. Mit 15 realisiert sie, dass ihre Zukunft auch als Erwachsene nur innerhalb des strengen Familiensystems stattfinden wird. „Früher oder später hätte ich einen Mann aus der Heimat heiraten und Kinder bekommen müssen. So hätte ich zwar ein relativ akzeptables Leben führen können, aber es hätte mich nicht glücklich gemacht“, erinnert sie sich an die Zeit.
Für Antje Leitheiser ist Dilaras Geschichte typisch für die Mädchen, die sich an das LWL-Heilpädagogische Kinderheim wenden. „Wir haben viele Anfragen von Mädchen aus Familien mit Migrationshintergrund, die aus Angst zum Beispiel vor einer Zwangsheirat zu uns kommen“, sagt die Bereichsleiterin beim LWL-Heilpädagogischen Kinderheim Hamm, die das Konzept mitentwickelt hat. „In vielen Fällen müssen wir sehr schnell reagieren und die Mädchen direkt aufnehmen und zu einer Einrichtung an einem anderen Ort schicken. Nur so können wir verhindern, dass die Familien die Mädchen wiederfinden.“ Rabea nutzt dafür ein gut organisiertes Netzwerk, das sich über ganz Deutschland erstreckt.
Wohlfühlen in der Wohngruppe
Wenn der Schritt zu Rabea erst einmal gemacht ist, müssen sich die Mädchen vor allem am Anfang mit sehr strengen Regeln arrangieren. „Wir sprechen uns ab, dass es zunächst sicherer ist, nur gemeinsam mit den Betreuerinnen raus zu gehen und Handys nicht mehr zu benutzen, da sie geortet werden können“, sagt Antje Leitheiser.
Dilara fühlt sich in ihrer Wohngruppe direkt wohl. Die anderen Mädchen passen zu ihr, sie freunden sich miteinander an. Schnell geht sie auch wieder zur Schule, bekommt Struktur in den Alltag. Gleichzeitig lernt Dilara auch sich selbst noch einmal neu kennen. „Ich hatte eine neue Identität und hätte mich komplett neu erfinden können, was ich in Teilen auch gemacht habe. Ich habe vor allem die Freiheiten entdeckt, mein Leben so zu gestalten, wie ich möchte.“
Heute hat Dilara nur noch losen Kontakt zu ihrer Wohngruppe, wird die Zeit aber nie vergessen. „Rabea ist zwar ein nur kurzer Stopp auf meinem Lebensweg, aber es ist ein Sprungbrett gewesen“, sagt die junge Frau. „Das Programm hat mir die Möglichkeit gegeben, behütet und nicht komplett auf mich alleine gestellt wieder ins Leben zu finden. Und jetzt geht mein Leben weiter, wie für jeden anderen.“ Erst nach anderthalb Jahren hat sie sich wieder bei ihrer Familie gemeldet und ist mittlerweile telefonisch öfter im Kontakt. Wo sie lebt, was sie tut, hat sie aber nicht erzählt: „Ich habe mir gerade ein neues Leben aufgebaut, das möchte ich für mich alleine behalten.“
lwl
Hintergrund
Rabea wird durch das Land unterstützt und nimmt Mädchen und junge Frauen aus dem gesamten Bundesgebiet auf. Die pädagogischen Fachkräfte betreuen die jungen Frauen individuell und arbeiten eng mit Schulen, Ausbildungsstätten und Jugendämtern zusammen. Dabei sorgt vor allem ein besonderer, wenn auch harter Schritt für die Sicherheit der Mädchen: Sie ziehen so schnell wie möglich um und leben anonym an einem Ort weit weg von Zuhause. Über die Kontaktnummer 0160 91514045 ist das Rabea-Team in eiligen Notfällen erreichbar.