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„Es geht allein um das Wohl des Kindes“

Der Sozialverband katholischer Frauen e. V. (SkF) in Lippstadt ist wie viele andere Träger auch auf der Suche nach Pflegefamilien.

Von Wolfgang Maas
Lippstadt

Vater, Mutter, zwei Kinder – das Klischee einer Familie. Und natürlich ist diese Familie immer glücklich, erlebt viel zusammen und lächelt die Sorgen des Alltags einfach weg. Zusammen schaffen wir alles, so das Credo. Was in der Werbung für Waschmittel oder Joghurt funktioniert, hat allerdings nicht immer etwas mit der Realität zu tun. Wenn es hakt, werden zum Beispiel die Expertinnen und Experten vom Sozialverband katholischer Frauen e. V. (SkF) in Lippstadt aktiv.

Dessen Vorständin Ute Stockhausen und der Diplom-­Sozialarbeiter Dieter Horenkamp bekommen mittlerweile Anfragen aus ganz Deutschland, etwa aus Berlin, Halle oder Aachen. Dabei geht es um Kinder oder Jugendliche, die nicht mehr bei ihren leiblichen Familien leben können. Eine liebevolle Pflegefamilie zu suchen ist dann die Aufgabe des SkF. Aber machen das nicht die Jugendämter? „Nein“, sagt Ute Stockhausen. „Die Jugendämter müssen sicherstellen, dass es einen Pflegekinderdienst gibt und dass dieser auch funktioniert. Sie müssen ihn aber nicht selbst durchführen.“ Subsidiaritätsprinzip nennt sich das Vorgehen, weshalb der SkF Lippstadt bereits seit 1996 diese Aufgabe für die Stadt Lippstadt übernommen hat.

Vorständin Stockhausen sieht darin einen großen Vorteil. Wer Probleme in der Familie hat und sich Hilfe suchen will, der gehe eher zu einem Verein wie dem SkF als zum Jugendamt. „Die nehmen dir das Kind sofort weg, es kommt dann ins Heim.“ Solche Vorurteile hielten sich noch immer und entsprechen – schon rein formal – nicht der Realität. „Das Jugendamt trifft eine solche Entscheidung nur für 48 Stunden“, stellt Dieter Horenkamp klar. Darüber hinaus müssen die Eltern einer Unterbringung ihres Kindes zustimmen oder das Familiengericht muss eine entsprechende Entscheidung treffen.Wichtig ist auch zu wissen, dass Kinder nicht einfach aus Familien genommen werden. Vorher versuchen die Jugendämter, die schwierige Situation zu beruhigen und zu stabilisieren. „Sie bieten ambulante Hilfen an“, betont Dieter Horenkamp. Das könne etwa eine Haushaltshilfe sein oder ein Erziehungsbeistand. Oberstes Ziel sei es, die Ursprungsfamilie zusammenzuhalten, um Trennungen zu vermeiden. „Das ist immer eine Gratwanderung. Die Kinder müssen unter Umständen viel aushalten“, so Ute Stockhausen.

Die Situation beruhigen

Gewalt, Missbrauch welcher Art auch immer, Vernachlässigung – viele Mädchen und Jungen haben in jungen Jahren bereits Schreckliches erlebt. Sollte es bei allen langfristigen Bemühungen nicht gelingen, die Situation zu beruhigen, kommen Pflegefamilien ins Spiel. Es gibt auch die Möglichkeit der Bereitschaftspflege, in der Kinder wenige Tage oder Wochen bleiben. Der Lippstädter SkF vermittelt Kinder und Jugendliche in Vollzeitpflege jedoch ausschließlich auf Dauer. „Das Kindeswohl ist der Maßstab“, betonen Stockhausen und Horenkamp. Es gebe weder die typische Pflegefamilie noch das typische Pflegekind. „Jeder Fall ist anders.“ Allein was das Alter angehe, sei die Spannbreite groß – „von der Geburt bis zur Verselbstständigung“, sagt Dieter Horenkamp, der seit 25 Jahren im Pflegekinderdienst arbeitet.

Wenn sich Interessierte – das können auch gleichgeschlechtliche Paare oder Alleinerziehende sein – beim SkF melden, werden sie zu einem ersten Informationsabend eingeladen. „Dann beantworten wir die zehn am häufigsten gestellten Fragen.“ So erfahren die Interessierten etwa, dass der gesamte Prozess in etwa so lange dauert wie eine natürliche Schwangerschaft. „Wir vermitteln keine weichgespülten Bilder, sondern spielen mit offenen Karten“, betont Ute Stockhausen. Keine Werbeidylle, sondern die Realität spiele eine Rolle. Man dürfe nicht vergessen, dass die Kinder und Jugendlichen eine Trennung erfahren haben. Das hinterlasse Spuren, die nicht immer auf den ersten Blick zu erkennen sind.

Fragebögen, die irritieren

Und es gibt wirklich Fragebögen für die eventuellen Pflegeeltern. Dort wird genau erfasst, was diese sich vorstellen können. Wäre ein Kind mit Behinderung eine Option? Wären Alkohol oder Drogen während der Schwangerschaft ein Problem? Vorständin Stockhausen ist sich bewusst, dass dies für Außenstehende seltsam oder gar menschenverachtend wirken mag. Ist nicht jeder Mensch ein Geschenk und so anzunehmen, wie er oder sie ist? „Wenn jemand zum Beispiel ein Problem mit Inzest hat, können wir ihm kein Kind aus einer Inzest­beziehung vermitteln“, so Ute Stockhausen. Bewusst oder auch unbewusst gebe es so Vorbehalte, vielleicht sogar eine innere Abwehrhaltung gegen das Pflegekind. Das könne nicht im Sinne des Kindes sein, das nicht schon wieder eine Trennung erleben soll. Vielmehr müsse es spüren: Es gibt auch Erwachsene, denen ich vorbehaltslos vertrauen kann.

Und auch potenzielle Pflegeeltern lernen in diesem für sie kostenlosen Prozess viel – vor allem über sich selbst. „Wir sprechen zum Beispiel darüber, welche Menschen bisher für sie wichtig waren“, erklärt Dieter Horenkamp. Warum spielte etwa ein Onkel oder der Großvater eine so große Rolle? Auch Menschen, die seit Jahren miteinander leben oder verheiratet sind, lernen so häufig Neues über das Gegenüber.

Ist ein Kind dann vermittelt, fange für den SkF die Arbeit erst an. Pflegeeltern finden hier immer einen Ansprechpartner, der Kontakt reißt nicht ab. „Wir kommen aber nicht als Schlaumeier, wir suchen mit den Pflegeeltern gemeinsam nach Lösungen.“ Es sei wichtig, dass jemand die Familie von außen betrachtet, Supervision sowie der Austausch mit anderen Pflegefamilien sind wichtige Angebote. Generell gelte, dass Lösungen, die gemeinsam erarbeitet wurden, sicherer zum Erfolg führen. Denn der Alltag mit all seinen Herausforderungen gehe auch an Pflegefamilien nicht spurlos vorbei.

Und da sind ja auch noch die leiblichen Eltern, die in rund 50 Prozent der Fälle einer Unterbringung ihres Kindes in einer Pflegefamilie zustimmen. Ein Gericht ist dann überflüssig. Doch sie sind dann nicht verschwunden. Regelmäßige Besuchskontakte werden – falls gewünscht – organisiert. Das Team des SkF bereitet dann alle Beteiligten darauf vor – aus gutem Grund. Dieter Horenkamp nennt ein auf den ersten Blick banales Beispiel. „Bei einem Treffen fällt das Kind und weint. Es ist nichts Schlimmes passiert, ein bisschen pusten genügt.“ So weit, so harmlos. Doch was passiert mit dem leiblichen Vater, wenn sein Kind zu dem Pflegevater läuft, ihn „Papa“ nennt und sich von ihm trösten lässt? Denkt er: „Warum schafft er das und nicht ich?“

Wie ein Schatten

Auf der anderen Seite können sich Pflegeeltern schnell beobachtet fühlen, wenn die leiblichen Väter und Mütter wie ein Schatten immer im eigenen Leben präsent sind. Rational ist der Gedanke nachvollziehbar, dass sie sehen wollen, wie sich ihr Kind entwickelt. Aber emotional? Kommt dann nicht immer die Angst hoch, das Pflegekind wieder zu verlieren? Zu 100 Prozent ist das nicht ausgeschlossen, auch wenn Dieter Horenkamp dies in 25 Jahren noch nicht erlebt hat. Andererseits gebe es auch leibliche Eltern, die sich bei den Pflegeeltern bedankt haben für alles, was sie ermöglicht haben. Wie gesagt: Jeder Fall ist anders.

Und wer kann nun Pflegeeltern werden? Im Prinzip jeder, auch ohne Erziehungserfahrungen mit leiblichen Kindern. Eine innere Bereitschaft müsse vorhanden sein. Denn der Prozess ist langwierig und es gibt keine Garantien. Auf der anderen Seite bestehe auch die Möglichkeit, den Prozess abzubrechen, wenn etwa die Zweifel zu groß sind. Für den SkF ist das in Ordnung. Und auch das Klischee, dass ungewollt kinderlose Paare ein Pflegekind „als Ersatz für die eigenen“ aufnehmen, entspreche nicht der Realität. Vielmehr werde jeder Mensch, der sich meldet, ernst genommen und gleichbehandelt. Und wenn es passt, entsteht eine neue Familie.

Hintergrund

Wer Interesse hat, Pflegeeltern zu werden, kann sich an den SkF Lippstadt, Cappelstraße 27 in Lippstadt, wenden. Möglich sind verschiedene Modelle. Bei der Kurzzeitpflege handelt es sich um eine zeitlich befristete Aufnahme eines Kindes, wenn keine andere Unterbringungsmöglichkeit besteht, etwa bei einem Krankenhaus­aufenthalt einer alleinerziehenden Mutter. Es ist von Beginn an klar, dass das Kind wieder zurück in die Herkunftsfamilie kommt. Bei der Dauer­pflege ist das nicht der Fall, hier geht es um ein neues Zuhause bis zu dem Zeitpunkt, an dem das Kind auf eigenen Beinen stehen kann. Und mit dem System der Westfälischen Pflegefamilien ist der SkF Lippstadt an einen Trägerverbund angeschlossen, der vom LWL-­Landesjugendamt koordiniert wird. www.skf-lippstadt.de

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