„Gemeinsam Heimat erleben“
Konrad J. Haase leitet das Team Gemeinden anderer Muttersprache im Generalvikariat. Im Interview spricht er über die Chancen, die diese „weltkirchliche Vielfalt“ für alle bietet.
Herr Haase,
Wir haben 24 Gemeinden anderer Muttersprachen und Riten im Erzbistum, also römisch-katholische und mit Rom unierte Kirchen (bzw. katholische Ostkirchen). 14 Sprachen sind vertreten, die Gläubigen kommen aus über 50 Ländern. Das sind mehr als 18 Prozent aller Katholiken im Erzbistum Paderborn.
Wie sind diese Gemeinden entstanden?
Ein Ausgangspunkt war, dass man sich mit Blick auf die Gastarbeitenden als Kirche dazu entschlossen hat, für diese Menschen eine Form der Seelsorge zu schaffen. In den Folgejahren hat sich diese Entwicklung stärker verselbstständigt, das Thema wurde wichtiger. Seit einiger Zeit ist es so, dass sich Gläubige erkundigen, ob Gottesdienste oder Seelsorge in einer bestimmten Sprache möglich sind, es möglich ist, dafür einen eigenen Ort zu schaffen. Früher war die Kirche stärker selbst aktiv, heute geht die Initiative häufiger von den Gläubigen aus.
Welche Aufgabe haben Sie genau?
Es geht in den Gemeinden anderer Muttersprache in erster Linie darum, den Menschen und den Themen, die sie bewegen, Raum zu geben. Als Erzbischöfliches Generalvikariat kümmern wir uns um das Personal, fachliche Begleitung oder auch ganz konkret um die Frage, wo Gottesdienste gefeiert werden können. Hinzu kommt die Vertretung der Interessen auf der diözesanen und überdiözesanen Ebene.
Wie groß ist der Einzugsbereich solcher Gemeinden eigentlich?
Die größten Gruppen sind die polnischsprachigen Gläubigen, die italienischsprachigen und die kroatischsprachigen sowie die Portugiesen und Spanier. Der Seelsorgebezirk der Polnischen Mission in Dortmund zum Beispiel hat einen Einzugsbereich von sieben Dekanaten. Der Einzugsbereich geht eigentlich immer über mehrere Dekanate.Das Erzbistum misst den Gemeinden anderer Muttersprache große Bedeutung zu.
Was kann denn speziell die Kirche für diese Menschen leisten?
In erster Linie schaffen wir Möglichkeiten, damit Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und anderer Muttersprachen hier zusammenkommen können und ihren Glauben in ihren vielfältigen Traditionen und Identitäten leben können. Es geht darum, pfingstliche Einheit in großer Vielfalt zu leben.
Geht es auch darum, dass Menschen Heimat finden
Grundsätzlich schon, aber in unterschiedlicher Weise: Menschen, die in erster Generation nach Deutschland kommen, verlassen ihre Heimat sehr oft, weil sie hier bessere Lebensumstände erreichen wollen. Sie wagen einen Neuanfang. Die zweite Generation hat es da leichter, weil sie hier aufwächst und zum Beispiel die Sprache besser beherrscht. Aber auch diese Generation befindet sich häufig in einem Dilemma, weil sie zwischen den Kulturen und unterschiedlichen Erwartungshaltungen steckt. Vor diesem Hintergrund ist der Begriff Heimat weniger an Nationalitäten gebunden, sondern er hat eine übergeordnete Bedeutung. Für uns als Kirche ist es wichtig, Anknüpfungspunkte zu schaffen, wo man auch gemeinsam mit den Ortsgemeinden Heimat erleben kann; etwa bei einer gemeinsamen Fronleichnamsprozession oder beim Pfarrfest.
Wie kann man solche Kontakte fördern – auch vor dem Hintergrund der großen Einzugsbereiche?
Am Anfang sollte die Erkenntnis stehen, dass alle nicht perfekt sind und voneinander lernen und profitieren können. So müssen sich alle Seiten im wahrsten Sinne des Wortes aufeinander zubewegen, aus der eigenen Komfortzone heraus. Zum einen müssen sich die Hauptamtlichen stärker in der Pflicht sehen, zum anderen muss man Möglichkeiten schaffen, dass so eine Gemeinschaft langsam wächst, damit sich niemand überfordert sieht. Man kann zunächst schauen, was ohne großen Aufwand möglich ist: In Siegen zum Beispiel nimmt die kroatische Gemeinde an den Prozessionen teil. In Arnsberg bzw. Neheim ist die italienischsprachige Gemeinde bei den großen Festen im Kirchenjahr vertreten. An solchen Schnittstellen ist es relativ einfach, den weltkirchlichen Schatz, den wir haben, auch zu heben.
Wie kann man Gemeinden da motivieren?
Letztlich ist es gar nicht so schwierig, sich zum Beispiel gegenseitig einzuladen; etwa explizit und persönlich zum Pfarrfest oder anderen Veranstaltungen im Kirchenjahr. Das sollte möglichst frühzeitig geschehen, damit man gemeinsam planen kann. Viele Vernetzungen gibt es bereits, etwa auf Ebene der Dekanatskonferenzen, zu denen alle Hauptamtlichen eingeladen sind.
Manche Seelsorger der Gemeinde anderer Muttersprachen gehören auch zu den Pastoralteams vor Ort.
Ja, aber das ist nicht der Standard. Auf der einen Seite kann ein Seelsorger dann Brücken zwischen den Gemeinden bauen, es besteht aber auch die Gefahr der Überforderung, weil eben die Einzugsbereiche sehr groß sind. Gleichzeitig müssen wir schauen, wo wir zum Beispiel die Gremien der Ehrenamtlichen aus den muttersprachlichen Gemeinden konkreter einbeziehen. Es müssen mehr Strukturen für Teilhabe im Erzbistum Paderborn geschaffen werden, damit diese Menschen auch besser gesehen werden und sich mehr beteiligen können.
Wir erleben in Ortsgemeinden aktuell einen großen Schwund, gibt es diesen Abschwung auch in den Gemeinden anderer Muttersprachen?
Verhältnismäßig weniger, würde ich sagen, mit Blick auf die Zahlen der letzten Jahre. Sicherlich gibt es Austritte, aber es kommt auch vor, dass zum Beispiel Menschen aus polnischsprachigen Gemeinden wieder in ihre Heimat zurückgehen und sich die Mitgliederzahl so verändert. Auf der anderen Seite reden wir auch über das Wachsen von anderen Sprachgruppen; etwa mit Blick auf Menschen aus Brasilien oder Ländern Asiens, die als Fachkräfte angeworben werden. Solche Entwicklungen werden uns in Zukunft mehr beschäftigen, weil Deutschland sich mittlerweile als Einwanderungsland sieht. Und da stehen wir als katholische Kirche in der Verantwortung, für Menschen, die langfristig hierbleiben, seelsorgliche Angebote zu schaffen.
Sie haben eben die Gemeinsamkeiten betont, wie groß ist die Gefahr des Auseinanderdriftens?
Ich glaube, je besser die Möglichkeiten vom Erzbistum Paderborn geschaffen werden, dass Menschen mit Migrationsgeschichte hier wirklich „mit am Tisch sitzen“, desto geringer ist die Gefahr bzw. desto höher ist die Chance wirklich alle mitzunehmen und keinen auszuschließen. Gemeinden für Menschen anderer Muttersprache gehören zu den ersten Schritten, die Räume für Teilhabe ermöglichen. Weitere wichtige Schritte sind die Vertretung zum Beispiel im Priesterrat, auf Ebene der Pfarrgemeinderäte oder im Diözesankomitee. Es sollte uns als Kirche ein Anliegen sein, partizipative Wege für alle zu ermöglichen.Wann haben Sie zuletzt einen Gottesdienst in einer Gemeinde anderer Muttersprache besucht?Ich war bei der Einführung des neuen Pfarrgemeinderates der Polnischen Mission in Dortmund. Dort hat es mich wieder beeindruckt, die Vielfalt unseres Glaubens direkt zu erleben.