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15.09.2024
Die JVA Hövelhof ist eine Jugendstrafanstalt des „Offenen Vollzugs“.
Foto / Quelle: Andreas Wiedenhaus

Gott ist selten Thema

Mirko Wiedeking ist Seelsorger in der JVA Hövelhof. In der offenen Jugendstrafanstalt verbüßen Gefangene zwischen 14 und 24 ihre Haftstrafen. Für viele ist der Seelsorger die einzige Vertrauensperson hinter Gittern.

Von Andreas Wiedenhaus
Hövelhof

Ein Stück Rasen, dahinter Bäume, Sträucher und viel Grün – große Glasscheiben geben den Blick frei auf ein kleines, aber schönes Stück Natur. „Diese Idylle ist für alle, die hierherkommen, ein echtes Kontrastprogramm“, sagt Mirko Wiedeking. Der 33-­Jährige ist Seelsorger in der JVA Hövelhof in der Nähe von Paderborn: „Die Fenster der Hafträume sind vergittert, ungehindert nach draußen schauen und die Ruhe genießen zu können, das ist im Knast etwas Besonderes.“ Neben dem Altar stehen ein Schlagzeug und ein Keyboard, davor sind Stühle im Kreis platziert. Jeden Sonntag treffen sich hier Gefangene zum Gottesdienst.

Wiedeking ist mit einem jungen Mann zu einem Gespräch verabredet. Er wartet auf dem Flur. In dem kleinen Flachdachgebäude auf dem weiträumigen Gelände der Haftanstalt ist auch das Büro des Seelsorgers untergebracht. Draußen gibt es sogar eine Glocke, mit der zum Gottesdienst geläutet wird. Der Raum ist klein, aber nicht eng, auf einem Tisch stehen noch ein Bass und eine ­E-­Gitarre der Band, die sonntags die Musik im Gottesdienst macht. Wiedeking kocht erst einmal Kaffee.

Bei der Gefangenenwallfahrt nach Werl gebeichtet

Die beiden kennen sich, der Gefangene gehört zu denjenigen, die regelmäßig kommen, nicht nur sonntags zum Gottesdienst. Der schlanke, hochgewachsene Mann spricht schnell, in kurzen Sätzen. „Auf jeden Fall!“ Diese Formulierung gebraucht er oft. Er macht einen entschlossenen Eindruck. „Das ist wichtig hier“, sagt er. Man müsse sich zwar nicht ständig beweisen, trotzdem sei es „nicht verkehrt“ zu zeigen, „wer man ist“.

„Wenn ich mich zu etwas entschieden habe, mache ich das auch“, meint er, um dann hinzuzufügen: „Das gilt aber leider auch für den Mist, den ich gebaut habe.“ Wegen verschiedener Delikte – unter anderem Körperverletzung – verbüßt er eine Freiheitsstrafe. Aktuell arbeitet er in einem der Betriebe der JVA, möchte nach der Haft eine Ausbildung machen.

Eine Perspektive für „draußen“ geben ihm auch seine Eltern. Sie stehen weiter zu ihm. Der Gefangene kommt aus einer intakten Familie, ist katholisch erzogen worden und schon vor der Haft regelmäßig zur Messe gegangen. Das unterscheidet ihn von den meisten anderen hier. „Für viele, die zu mir kommen, ist es der erste Kontakt mit Kirche und Religion“, erklärt Wiedeking.

Mirko Wiedeking ist für viele Gefangene ein wichtiger Gesprächspartner. Sie wissen, dass er absolut verschwiegen ist.
Foto / Quelle: Andreas Wiedenhaus

Ein Thema, über das die beiden heute morgen noch einmal sprechen, ist die Gefangenenwallfahrt nach Werl, die kürzlich stattgefunden hat. Zum zweiten Mal sind nach der Premiere im vergangenen Jahr Inhaftierte aus den JVA auf dem Gebiet des Erzbistums zur Gottesmutter nach Werl gepilgert. Nachdem der Gefangene von dem Angebot erfahren hatte, stand es für ihn fest, dass er dabei sein wollte. Zum einen, „weil ein Ausflug immer gut ist“, doch zum anderen auch, „weil ich beichten wollte“.

„Ihr seid das Salz der Erde“, unter diesem Leitwort pilgerten 95 Teilnehmer zur „Trösterin der Betrübten“ – Gefangene, Bedienstete und Ehrenamtliche. Aus der JVA Hövelhof waren es acht Gefangene, drei Bedienstete und Wiedeking als Seelsorger. „Ich habe diejenigen angesprochen, die zum Gottesdienst und zu Gesprächen kommen.“ Doch auch bei ihnen gebe es nur wenig religiöse Vorbildung: „Was eine Wallfahrt ist, muss man schon erklären.“

Offener Jugendvollzug

Hövelhof ist eine offene Jugendstrafanstalt. Die Insassen sind zwischen 14 und 24 Jahre alt. Auf der Internetseite der JVA heißt es: „Gefangene, die sich zum Strafantritt in der Jugendstrafanstalt freiwillig stellen oder der Anstalt zuständigkeitshalber zugeführt werden, nehmen an einem Aufnahmeverfahren teil, in dem über ihre Eignung für die Vollzugsform ,Offener Jugendvollzug‘ entschieden wird. Nach dem Aufnahmeverfahren wird der Förderungs- und Erziehungsbedarf der Gefangenen ermittelt.“

„Draußen“ gilt offener Vollzug manchmal als „Knast light“. „Es gibt Vergünstigungen“, erzählt der junge Mann, „Ausgang am Samstag oder Sonntag, auch Hafturlaub mit zwei Übernachtungen zu Hause.“ Doch solche Vorteile können sich auch ganz schnell erledigt haben. Wer sich beim Ausgang verspätet oder nicht pünktlich von seiner Arbeitsstelle außerhalb des Gefängnisses zurück ist, dem droht ein Disziplinarverfahren mit entsprechenden Konsequenzen.

„Die Gefangenen sind wie ein offenes Buch“, sagt Seelsorger Wiedeking. Alles werde beobachtet und bewertet, fließe in die Akte ein. Wiedeking schaut in diese Dokumente eigentlich nie hinein. „Ich möchte die Menschen hier nicht nach ihren Taten bewerten.“ Alle seien nicht nur Täter, sondern auch „Söhne oder Väter“. Um religiöse Fragen drehe es sich so gut wie nie, wenn die Gefangenen zu ihm kämen, erzählt Wiedeking weiter: „Die wenigsten wollen über Jesus oder Gott reden.“ Vom Leben hinter Gittern seien die Gespräche geprägt. Es gehe darum, „hier im Knast klarzukommen“ und darum, wie es nach der Haft weitergehen könne. „Die Zeit hier ist für alle eine Krise, die sie irgendwie bewältigen müssen.“ Viele wollten ihr Leben ändern, aber „nicht alle schaffen das“.

Argwöhnisch beobachten

In einem Umfeld, in dem sich fast alle gegenseitig argwöhnisch beobachten, ist der Seelsorger Vertrauensperson – für viele die einzige. Hin und wieder gebe es zwar Nachfragen nach dem Motto „Sagen Sie auch wirklich nichts?“, doch eigentlich wüssten alle, dass er absolut verschwiegen sei. „Ich bin der freieste Mensch hier in der JVA“, sagt der Seelsorger und erklärt das so: „In Sachen Glaube und Religion gibt es hier so gut wie nichts Traditionelles, weil die meisten es schlicht nicht kennen. So kann ich meine Ideen und Fähigkeiten voll einsetzen.“ Zu rund 80 bis 90 Gefangenen habe er Kontakt, schätzt Wiedeking: „Wenn man auf die normalen Gemeinden schaut, ist das doch keine schlechte Quote!“

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