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26.07.2024
Foto / Quelle: Patrick Kleibold

Heilige fördern den Handel

„Libori“ – der Dreiklang aus Kirche, Kirmes und Markt hat vieles zu bieten, was es sonst so nicht gibt. Was heute als „Pottmarkt“ bekannt ist, startete vor über 500 Jahren als Maßnahme zur Wirtschaftsförderung in schwierigen Zeiten.

Paderborn

„Kultstatus“ – ein Wort, das oft gebraucht wird, häufig allerdings schlicht und einfach eine Übertreibung ist. In diesem Fall passt es aber: Der „Pottmarkt“ zu Libori trägt dieses Attribut mit Fug und Recht: Ein Bummel durch die Stände gehört für die meisten Besucher des Volksfestes einfach dazu. Sei es, dass man genau weiß, was man braucht, oder dass man einfach nur am Angebot entlangschlendert und sich inspirieren lässt: Atmosphäre und Waren haben das „gewisse Etwas“, das kein Kaufhaus und erst recht kein Online-Shopping bieten kann.

Für manche ist der Besuch an einem bestimmten Stand Pflicht, weil man dort immer seinen Gewürzvorrat ergänzt. Andere freuen sich, wenn sie ein echtes „Wundermittel“ zum Beispiel für die Metallpflege entdecken. Auch wer für Innovationen bei Haushaltsgeräten offen ist, wird fündig und kann es oft gar nicht abwarten, kilo- weise Möhren mit dem neuen Gemüsehobel küchenfertig zu machen. Und nicht zuletzt lässt sich das ein oder andere „Schnäppchen“ machen.

Das leicht „Exotische“, das heute einen Teil der Waren umweht und einen nicht unerheblichen Teil des „Pottmarkt-Flairs“ ausmacht, hat sich so erst in den letzten Jahrzehnten entwickelt und ist nur ein kleiner Aspekt des Marktes, der in seinen Ursprüngen älter als 500 Jahre ist. Der Paderborner Domvikar und Offizial des Erzbistums, Hans Jürgen Rade, hat sich eingehend mit der Geschichte des Marktes befasst. Er ist Mitautor des im Bonifatius-Verlag erschienenen Buches „500 Jahre Libori“. „Märkte waren damals ein existenziell wichtiger Wirtschaftsfaktor“, stellt Rade fest. Für den Markt, den man heute als „Pottmarkt“ kennt, gilt das in mehrfacher Weise: Zum einen war er für die Bevölkerung die einzige Möglichkeit, sich mit Dingen des täglichen Bedarfs einzudecken: „In Sachen Lebens- mittel war man Selbstversorger“, so Rade. Doch alles, was darüber hinausging, musste man sich mühevoll beschaffen, denn „Einkaufsmöglichkeiten“ im heutigen Sinne gab es nicht. Zum an- deren war es für Händler die Chance, in wenigen Tagen viel Ware zu verkaufen.

Foto / Quelle: Patrick Kleibold

Verknüpfung mit Heiligen-Gedenktagen

Bei der Entstehung dieses Marktes kam noch ein anderer Aspekt hinzu: Paderborn war kurz zuvor von Bränden heimgesucht worden, auch aus anderen Gründen ging es der Stadt schlecht. So gab der damalige Landesherr, Herzog Erich von Braunschweig-Grubenhagen, der als Bischof von Osnabrück auch Administrator des Hochstifts Paderborn war, am 30. Januar 1521 die Erlaubnis, zwei zusätzliche Märkte im Jahr zu veranstalten, und zwar zu „Kathedra Petri“ (Petri Stuhlfeier) am 22. Februar sowie zu Maria Magdalena am 22. Juli. Beide duften sieben Tage dauern. Bis 1520 gab es in dieser Länge nur die Märkte zum St.-Gallus-Tag am 16. Oktober und den zum Geburtsfest Johannes’ des Täufers am 24. Juni.

Die Verknüpfung mit Heiligen-Gedenktagen, so Rade, sei damals der übliche Weg gewesen, um die Märkte im Kalender zu etablieren und bekannt zu machen. Abgesehen davon sorgte die Verbindung dafür, dass genug Interessenten vor Ort waren: Die Menschen kamen zum Beten in die Stadt und konnten gleichzeitig einkaufen. Dass bei dem Markt Ende Juli Magdalena den „Zuschlag“ bekam und nicht Liborius, ist der Tatsache geschuldet, dass diese überregional bekannter war als der Bistumspatron, dessen Festtag (23. Juli) aber auch in die Zeit des Marktgeschehens fiel.

Die Genehmigung durch den Landesherrn war unabdingbar, schließlich wurden Steuern und Standgelder erhoben, zum anderen sollten sich Städte nicht unbedingt untereinander Konkurrenz machen – es sei denn, sie standen unter verschiedener Herrschaft. Angesichts dessen war für die Händler ein entsprechender Umsatz garantiert. „Leider gibt es aus dieser Zeit keine Listen über Händler, sodass wir nichts über dieses Einzugsgebiet wissen“, musste Hans Jürgen Rade bei seinen Recherchen feststellen.

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Leben war von Arbeit und Mühsal geprägt

Für diejenigen, die vom Land zu den Märkten in die Stadt kamen, war es bis zur Anbindung Paderborns an die Eisenbahn Mitte des 19. Jahrhunderts mühselig, den Weg zurückzulegen. Die allermeisten mussten zu Fuß gehen. Überhaupt war das Leben von Arbeit und Mühsal geprägt und bestimmt. Umso wichtiger war es, bei der Terminierung der Märkte bestimmte Zusammenhänge zu berücksichtigen: So lag der Magdalenenmarkt, der im Laufe der Zeit zum Liborimarkt wurde, noch vor der Ernte, sodass die Bauern und die in der Landwirtschaft Beschäftigten auch die Zeit hatten, in die Stadt zu kommen.

Im 17. und 18. Jahrhundert war der Markt um den 22. Juli herum wohl eher überschaubar. Einen echten Aufschwung nahm er Mitte des 19. Jahrhunderts, als er sich laut Hans Jürgen Rade „zum Volksfest entwickelte“. Zur Warenauswahl kam ein wachsendes Angebot zur Unterhaltung dazu. Es gab Buden und Karussells und schon bald die ersten Klagen über zu viel Lärm und Trubel. Hans Jürgen Rade: „In den Tageszeitungen kann man von Beschwerden über zu viel Rummel rund um den Dom lesen.“

Dass die Menschen sich damals offensichtlich gern in dieses Vergnügen stürzten, ist wohl in erster Linie der Tatsache geschuldet, dass es kaum Gelegenheit zur Zerstreuung gab. Das gesamte tägliche Leben war von Arbeit bestimmt.

Foto / Quelle: Patrick Kleibold

Die Blütezeit des Marktes

Der Name „Liborimarkt“ hatte sich im Laufe der Zeit etabliert und die alte Bezeichnung abgelöst. Stetig wuchsen Bedeutung und Attraktivität, allerdings unterbrochen von der Weltwirtschaftskrise sowie dem Ersten und Zweiten Weltkrieg. Für die ersten Nachkriegsjahre hat Hans Jürgen Rade eine interessante Entdeckung gemacht: „Schausteller und andere Privatleute nahmen die Organisation des Volksfestes in die Hand.“ Offensichtlich war die Verwaltung insbesondere in der Zeit bis 1950 mit anderen Aufgaben ausgelastet.

In den Folgejahren „boomte“ dann das immer bunter werdende Markttreiben rund um den Dom. 1951 sind bereits wieder 122 Verkaufsstände vertreten. Der Pottmarkt zeigte nun, dass er seinen Namen zu Recht trägt: Geschirr, Töpfe und Pfannen bestimmten das Bild. Hinzu kamen weitere „kirmestypische“ Angebote wie insbesondere Süßigkeiten, die für die jüngeren und jüngsten Besucher interessant waren.

Die folgenden Jahrzehnte sind die Blütezeit des Marktes: Händler kommen in großer Zahl, das Publikum strömt regelrecht nach Paderborn. Und wenn es ein bisschen skurril ist, steigert das die Neugierde noch weiter. So wie der Stand, der 1973 mit „der größten Hornhaut- und Hühneraugensammlung der Welt“ warb, um die Wirk- kraft seines revolutionären Hornhautmittels anzupreisen. Ein „Talisman des Wohlbefindens“ war damals ebenso zu haben wie ein „34-Kräuter-Öl“ oder ein Glasschneider, der dicke Fliesen im Handumdrehen durchtrennte.

Nicht zuletzt dank dieser bis heute beeindruckenden Produktvielfalt hat der Markt nach seiner coronabedingten Pause mit seinem Neustart bewiesen, dass er nichts von seiner Attraktivität verloren hat. „Irgendetwas, was man braucht, findet man immer!“ – eine alte „Pottmarkt“-Weisheit, die sich auch in diesem Jahr wieder bewahrheiten dürfte. Schließlich hält das aktuelle Angebot mit Sicherheit wieder neben Altbewährtem die ein oder andere technische Innovation oder gar Revolution bereit, die das Leben nicht nur leichter, sondern vielleicht sogar schöner macht – ganz egal, ob Topf, Staubwedel, Gartendeko-Element oder Hornhaut-Hobel!

// Text: Andreas Wiedenhaus

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