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13.04.2025
Zu allen vierbeinigen Bewohnern des Hofes hat Melanie Howard-­Friedland einen guten Draht.
Foto / Quelle: Patrick Kleibold

„Hier dürfen alle bleiben – lebenslang!“

Tiere sind – juristisch gesehen – „Sachen“. Und oft wird genauso lieblos mit ihnen umgegangen, gerade wenn sie als Nutztiere „ausgedient“ haben. Auf dem Gnadenhof „Friedland“ in Büren werden sie als Mitgeschöpfe respektiert.

Büren

Das Gatter ist kaum offen, da stürmen sie schon los. Nichts hält die Pferde mehr im Stall, es geht raus auf die große Wiese. Ein brauner Wallach ist besonders ungestüm, wirft den Kopf in den Nacken, sprintet los, reißt die anderen mit.

„Das ist ‚Ramirez‘, ein Springpferd aus der Schweiz“, erklärt Melanie Howard-­Friedland. Sie freut sich sichtlich darüber, wie sich das Tier gerade austobt. Das 22 Jahre alte Tier kannte keine Freiheit, keinen Körperkontakt mit anderen Pferden. „Er hatte nur seine Box und ein kleines Stück Wiese“, erzählt Melanie Howard-­Friedland weiter. Bis seine Besitzerin sagte „Schluss damit“. Sie vermittelte ihn aus der Schweiz nach Büren auf den Gnadenhof und trägt die Kosten für ihn. Jetzt tut „Ramirez“ nur noch das, was ihm Spaß macht, genießt sein Leben. Er muss keine Leistung mehr bringen, keinen Reiter über Hindernisse tragen, kann ohne Sporen und Sattel über die Wiese galoppieren.

„Ramirez“ genießt es, niemanden mehr über Hindernisse tragen zu müssen.
Foto / Quelle: Patrick Kleibold

„Ausgemusterte“ Springpferde

Genauso wie „Con Cuore“. Der 2008 geborene Wallach ist zwar von einer gutartigen Tumorerkrankung gezeichnet, doch davon ist an diesem herrlichen Morgen nichts zu spüren. Auch er sprintet über die Wiese, spielt mit den anderen Pferden. Sie haben es hier besser als viele ihrer Artgenossen: Wenn sie keine Leistung mehr bringen, alt und krank werden, Kosten verursachen, geht der Weg häufig zum Schlachter. Auch „Con Cuore“ sollte eigentlich gar nicht hier sein, sein Stallbetreiber hatte der Eigentümerin geraten, das Tier töten zu lassen. Wenn Sportpferde „ausgemustert“ sind, haben sie oft nicht mehr lange zu leben. Schließlich ist ihr Unterhalt teuer.

Rund zehn Jahre sind vergangen, seit Howard-­Friedland das Anwesen in Büren-­Barkhausen gekauft hat. Zusammen mit ihrem Mann Jens Uwe Friedland und ihrer Mutter wohnt und arbeitet sie auf dem Gnadenhof. „Erst haben wir die Ställe für die Tiere fertig gemacht und dann haben wir das Haus für uns renoviert.“ Eine Bewohnerin war bei der Übernahme schon da, gehörte quasi zum „Inventar“: Die große schwarz-­weiße Katze, die gerade am Rand der Wiese ein Sonnenbad nimmt. „Zu unserem Einzug hat sie uns dann eine besondere Überraschung beschert und uns ihren Nachwuchs präsentiert“, erinnert sich die Eigentümerin des Hofes an turbulente Zeiten.

Seit gut zehn Jahren ist der Gnadenhof eine Zuflucht für Tiere, die niemand mehr will.
Foto / Quelle: Patrick Kleibold

Knapp 50 Tiere leben mittlerweile auf dem großen Areal. Eine bunte Schar aus Hunden, Katzen, Pferden, Schafen und Kaninchen. Für die Hofbetreiberin ist klar: „Hier dürfen alle bleiben. Hier wird keiner mehr weitervermittelt.“ Jedes Tier bringt seine eigene traurige Geschichte mit. Da ist das Schaf, das eigentlich „übrig“ war und dessen Eigentümer froh war, es los zu sein. Das Pony, das als „lebendiger Rasenmäher“ gehalten wurde.

Oder „Amy“ und ihr Sohn „Amun“. Die beiden Hunde mussten Hals über Kopf ein neues Zuhause finden. Sie wurden von ihrem drogensüchtigen Herrchen kurzerhand an der Haustür der Exfreundin angebunden. Erst wurden sie von Tag zu Tag woanders untergebracht, weil sie nirgends dauerhaft bleiben konnten, denn sie sollten nicht getrennt werden. Sie hatten ihr ganzes Leben gemeinsam verbracht. In diesem Fall wurde eine Ausnahme vom Aufnahmestopp gemacht.

Viele der Tiere brauchen regelmäßig Medikamente, bei den zehn Ponys und Pferden ist ein Großteil darauf angewiesen. Die Hofeigentümerin muss bei der Fütterung immer aufpassen, dass jedes Tier nur aus seinem eigenen Futtertrog frisst, damit es kein falsches Medikament bekommt. „Nur ‚Paul‘ frisst die Tablette direkt aus der Hand.“ Das schwarze Pony leidet unter einem „Sommerekzem“, einer Hauterkrankung, die starken Juckreiz auslöst. Glücklicherweise ist seine Krankheit so weit unter Kontrolle, dass er seine Zeit draußen mit den anderen Tieren genießen kann.

Medikamente, Versorgung durch den Tierarzt und nicht zuletzt die Futterkosten gehen ins Geld. Die Eigentümerin von „Ramirez“ ist eine der wenigen, die die Kosten für ihr Tier übernehmen und so Melanie Howard-­Friedland auch finanziell unterstützen. Alles andere – und das sind rund 42 000 Euro im Jahr – trägt die Familie Friedland selbst.

Harte körperliche Arbeit

Melanie Howard-­Friedland ist ausgebildete Chorleiterin und Sängerin. Früher wollte sie eigentlich Tierärztin werden, entschied sich aber dann dagegen: „Da hätte ich Tiere auf Wunsch des Besitzers einschläfern und auf dem Schlachthof arbeiten müssen.“ Mit der Lösung, die sie stattdessen fand, kann sie besser leben: „Ich mache Musik mit dem Ziel, meinen Gnadenhof zu finanzieren.“ Auch die Arbeitszeiten kommen ihr entgegen: „Die Proben in den Abendstunden und die Arbeit auf dem Hof bekomme ich eigentlich immer sehr gut unter einen Hut.“ Ihre Musik und ihre Tiere – in jedem Fall gibt sie 100 Prozent. Und wenn sie sagt, dass sie darin ihre Bestimmung gefunden habe, glaubt man ihr das sofort.

„Eleni“, ein Straßenhund aus Griechenland, hat in Büren eine neue Heimat ­gefunden und „­bewacht“ die Futtervorräte.
Foto / Quelle: Patrick Kleibold

Deshalb macht ihr auch die harte körperliche Arbeit nichts aus. Jeden Tag müssen sie und ihr Mann Jens Uwe die Tiere füttern, Ställe ausmisten und mit den neun Hunden spazieren gehen. „Da kommen rund vier Stunden Arbeit pro Person und Tag zusammen.“ Und das bei jedem Wetter. Die Hunde bekommen mehrmals am Tag Auslauf. Dazu noch die Arbeiten, die außer der Reihe anfallen, Reparaturarbeiten an den Ställen zum Beispiel. „Irgendetwas ist immer zu machen, fertig ist man nie!“ Trotzdem kann sich die Tierliebhaberin kein anderes Leben vorstellen: „Ich möchte keinen einzigen Tag von hier weg sein“, sagt sie und erinnert sich an eine Chorreise nach Paris, in der sie sich ganz krank vor Heimweh gefühlt habe. „Den Auftritt habe ich gemeistert, aber von Paris habe ich nichts gesehen.“ Erst zu Hause angekommen ging es ihr wieder gut.

Die gebürtige Warburgerin ist mit Tieren aufgewachsen: „Schon als Kind wollte ich Tieren helfen und sie schützen!“ Die Idee eines Gnadenhofes trug sie schon lange mit sich herum, es brauchte viel Zeit, bis dieser Traum wahr wurde.

Kein „Auffangbecken“, aber Heimat

Pferde, Ponys, Hunde, Schafe, Kaninchen, Katzen – mittlerweile hat der Hof sein Limit erreicht. Die Familie hat einen Aufnahmestopp beschlossen, weil es für sie entscheidend ist, dass es den Tieren gut geht und sie optimal versorgt sind. „Der Hof soll kein bloßes Auffangbecken sein.“ Deshalb versuche sie im Moment, Tiere schon vorher zu vermitteln. „Dabei kommt mir das Netzwerk zugute, das ich im Laufe der Jahre aufgebaut habe.“

Ihre große Tierliebe helfe ihr auch dabei zu entscheiden, wann es Zeit sei, ein Lebewesen gehen zu lassen. „Ich bete dafür, dass die Tiere mir ein klares Zeichen geben, dass sie nicht mehr können.“ Bisher habe sie auch das Gefühl gehabt, immer richtig gehandelt zu haben, blickt sie zurück.

Dann geht sie hinüber zu „Jenny“. Das Shetland-­Pony steht seit einiger Zeit unter ihrer genauen Beobachtung. Schon als Jungtier von einem halben Jahr wurde es von seiner Herde getrennt und dann als Einzeltier gehalten. „Jenny“ litt an immer wiederkehrender Hufrehe, einer Entzündung der Huflederhaut, aus der sich eine Hufbein­rotation mit einer Auflösung der Knochenspitze entwickelte. Deshalb kann das Pony nicht mehr gut laufen. Auf dem Gnadenhof Friedland wird ihr ein schmerzfreies Dasein mit anderen Ponys ermöglicht – sehr wichtig für ein Herdentier.

Platz zum Spielen und Ausruhen

Lebensqualität – dieser Anspruch gilt für alle Tiere auf dem Hof. Das fängt beim Auslauf an; so finden die Hunde genügend Platz zum Spielen und Herumtollen. ­Gleichzeitig gibt es viele Rückzugsmöglichkeiten; etwa in der „Casa Wie Waldi“ oder im „Castello Bello“, die mit Hundebetten und alten Sofas ausstaffiert sind. Auch die Schafe müssen nicht bei Wind und Wetter draußen ausharren, wie viele ihrer Artgenossen. Sie können sich in ihren überdachten Stall zurückziehen.

Collie-Mischling „Balu“.
Foto / Quelle: Patrick Kleibold

Die Tiere hier auf dem Gnadenhof in Büren-­Barkhausen sind alt, eine ganze Reihe von ihnen auch noch krank. Woanders würde das für viele von ihnen das Todesurteil bedeuten. „Aber sie sind trotzdem Geschöpfe Gottes, die ein Recht auf Leben haben“, sind Melanie Howard-­Friedland und ihr Mann überzeugt. Und wer zuschaut, wie etwa die Hunde herumtollen – egal, ob blind oder taub – und die Schafe jeden einzelnen Bissen des ­saftigen Grases auf den Wiesen genießen, teilt schnell die Meinung der beiden. Die Betreiberin des Gnadenhofes fasst ihre Sicht so zusammen: „Ich kann zwar nicht die ganze Welt retten, aber für diese Tiere rette ich ihre ganze Welt.“

Christina Frampton und Andreas Wiedenhaus

Hintergrund

Der Hof wurde um das Jahr 1850 erbaut und war zuletzt im Besitz der Familie Schmücker. Vor zehn Jahren erwarb Melanie Howard-­Friedland das Anwesen mit seinen 23 000 m2 Land von der verwitweten Besitzerin und funktionierte es zu einem Gnadenhof um.

Unter www.gnadenhof-friedland-ev.de kann man mehr über die ­Geschichte des Hofes und über seine Tiere erfahren.

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