Ganz nah dran an einem wertvollen Ausstellungsstück: Annika Pröbe (Standortleitung Welterbe Corvey), Restaurator Matthias Rüenauver (ars colendi), Manuel Sonntag (Bank für Kirche und Caritas, Projektförderer), Dr. Richard Böger (Vorstandsvorsitzender der Bank für Kirche und Caritas, Projektförderer), vorne: Holger Kempkens (Direktor des Diözesanmuseums Paderborn) und Restauratorin Karen Keller (Fachbauleitung Welterbe Corvey, v. l.).
Foto / Quelle: Kalle Noltenhans

Himmlische Wächter und kaiserliche Macht

Ein Restauratorenteam hat eine fast 1 200 Jahre alte Inschriftentafel aus Corvey für die kommende Sonderausstellung „Corvey und das Erbe der Antike“ im Paderborner Diözesanmuseum vorbereitet.

Paderborn

Schon von weit her war sie zu sehen, die golden glänzende Inschrift am Westwerk der mittelalter­lichen Abtei Corvey. In imposanter antiker Schrift war dort zu lesen: „Umhege, oh Herr, diese Stadt und lass Deine Engel die Wächter ihrer Mauern sein“. Man schrieb wohl das Jahr 885, als die mächtige Abtei und die Civitas, die das Kloster umgebende Ansiedlung, unter den Schutz der Engel gestellt wurden.

Ab dem 21. September wird das Original der wertvollen Inschriftenplatte in der Sonderausstellung „Corvey und das Erbe der Antike. Kaiser, Klöster und Kulturtransfer im Mittelalter“ im Diözesanmuseum Paderborn zu sehen sein. Jetzt wird die empfindliche Originalplatte transport- und ausstellungsfähig gemacht. An der Fassade des Corveyer Westwerkes ist aus konservatorischen Gründen eine Kopie angebracht. Die eingelegten, vergoldeten Buchstaben fehlen heute, auch in der Originaltafel, denn sie gingen bereits in den vergangenen Jahrhunderten verloren.

„Schon vor gut 20 Jahren hat diese Sandsteinplatte einen Edelstahlrahmen zur Stabilisierung bekom­men. Den haben wir jetzt sorgfältig auf Schwachstellen untersucht“, erklärt der auf Stein­restaurierung spezialisierte Diplom-­Restaurator Matthias Rüenauver von der Fachwerkstatt für Restaurierung und Konservierung, ars colendi. Diplom-­Restauratorin Karen Keller, die für das heutige UNESCO-­Welterbe Corvey die restauratorische Fachbauleitung innehat, ist aus Köln zur konser­vatorischen Überprüfung der Tafel angereist. Gemeinsam haben Rüenauver und Keller Vorder- und Rückseite genauestens unter die Lupe genommen. Jetzt werden letzte Sicherungsmaßnahmen durchgeführt, dann ist das Highlight aus Corvey reisefertig.

Ein deutliches Zeichenkaiserlicher Macht am Weserbogen

Beim Ortstermin in der Werkstatt des Diözesanmuseums ließen sich auch der Vorstandsvorsitzende der Bank für Kirche und Caritas (BKC), Dr. Richard Böger, und das designierte Vorstandsmitglied Dr. Manuel Sonntag von den Fachleuten die Details erklären. Die BKC fördert die Paderborner Sonderausstellung und hat die Patenschaft für das außergewöhnliche Objekt übernommen. „Wir engagieren uns gern für dieses großartige Aus­stellungsprojekt, weil wir uns auf diese Weise auch für den Erhalt bedeutender Kunstschätze aus unserer Region einsetzen können“, erklärte Böger.

Wie aber gelangte ein solch ungewöhnliches Stück, das deutlich an die Inschriften römischer Triumphbögen erinnert, an ein mittelalterliches Gebäude im tiefsten westfälischen Hinterland? Die Benediktinerabtei Corvey an der Weser, gegründet vor über 1 200 Jahren im Jahr 822 von Kaiser Ludwig dem Frommen, war eines der bedeutendsten kulturellen Zentren des karolingischen Reiches. Klosterbibliothek und Skriptorium waren Hort von Schriftkultur und Wissen und damit auch ein wichtiger Ort der Antikenüberlieferung. Forschende vermuten die Auftraggeber der Inschriftenplatte im Umfeld des karolingischen Kaiserhofes. Hier waren die antiken Originale bekannt, hier hatte man die finanziellen Möglichkeiten und die Kontakte, um erstklassige Handwerker an die Weserabtei zu holen.

Diese arbeiteten dort jedoch nicht mit Marmor, sondern verwendeten Sandstein aus dem nahen Solling. Die eingebrachte Inschrift in der antiken Schriftart „­capitalis ­quadrata“ war – ganz nach römischem Vorbild – mit vergoldeten Bronzebuchstaben ausgelegt. Schon von weit her war sie zu sehen und vermittelte jedem, ob des Lesens kundig oder nicht, den Eindruck römischer Autorität. Es war eine anschauliche Machtdemonstration der Karolinger, die so ihren Anspruch auf antikes Erbe und die Nachfolge der römischen Kaiser zur Schau stellten.

Mittelalterliche Schätzeund die Faszination der Antike

Die Ausstellung „Corvey und das Erbe der Antike. Kaiser, Klöster und Kulturtransfer im Mittelalter“ (21. September bis 26. Januar 2025 im Diözesanmuseum Paderborn) zeigt anhand von charismatischen Schätzen, wie antikes Wissen und Kultur über das Mittelalter bis in die Gegenwart gelangten und noch heute unsere europäische Gesellschaft prägen. Dazu führen die Ausstellungsmacher 120 wertvolle Leihgaben aus Museen und Bibliotheken in ganz Europa und den USA zusammen. Darunter sind so faszinierende Exponate wie das Bursenreliquiar aus dem Dionysius-­Schatz des ehemaligen Stifts Enger, eines der bedeutendsten Werke frühmittelalterlicher Goldschmiedekunst.

Flankiert werden die kostbaren Originale von virtuellen Interventionen, Einblicken in die Tätigkeit von Restauratoren, Forschern und Naturwissenschaftlern. Die Bedeutung und Vielfalt von Schrift und Schriftlichkeit machen aktuelle Arbeiten des Kalligrafen und Künstlers Brody Neuenschwander deutlich.

// Karl-Martin Flüter

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 Weitere Informationen unter: erbe-der-­antike.de

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