Immer in Kontakt bleiben – ganz persönlich
Die Angebote sind da, doch wie bekommt man Menschen dazu, diese zu nutzen? Und wie motiviert man auf der anderen Seite dazu, sich ehrenamtlich zu engagieren?
Viel Grün, alte Bäume, dazwischen Hochbeete und ein Grillplatz – das ist kein klassischer Park, der sich hier ganz im Dortmunder Westen erstreckt. Benedikt Gillich steht mitten in diesem Idyll, das an der Stadtgrenze zwischen Dortmund und Bochum liegt. Von der nahen Bundesstraße ist nichts zu hören. „Wir hatten auch schon Hühner hier. Ich wusste gar nicht, dass man sich Hühner ausleihen kann“, sagt Gillich, der für das Quartiersmanagement der Caritas-Altenhilfe Dortmund GmbH zuständig ist.
Der Garten gehört zum Quartiershaus am Wohn- und Pflegezentrum St. Barbara an der Limbecker Straße im Stadtteil Lütgendortmund. Dieser Gebäudekomplex hat eine Geschichte. Früher war es ein Krankenhaus samt Schwesternwohnheim, das auch mit finanzieller Unterstützung des Erzbistums Paderborn umgebaut wurde. Ausgangspunkt war die Überlegung, dass man „hier mehr für Seniorinnen und Senioren tun muss“, fasst Benedikt Gillich zusammen.
Im ehemaligen Wohnheim ist eine Begegnungsebene entstanden und auch 80 barrierefreie Wohnungen gehören zum Komplex. Von Anfang an sollten sich hier Generationen nicht nur treffen, sondern auch voneinander lernen. Das ist seit 2019 geglückt – allerdings nicht immer so, wie es einmal geplant war.Beispiel Hausaufgabenbetreuung: In die benachbarte Holte-Grundschule gehen viele Jungen und Mädchen mit Migrationshintergrund oder aus sozial schwachen Familien, die Unterstützung brauchen. „Hier gibt es doch bestimmt Lehrerinnen und Lehrer im Ruhestand, die den Kindern bei den Hausaufgaben helfen können?“ Diese Idee stand am Anfang der Überlegungen und sie war gut – in der Theorie. In der Realität habe man solche Menschen leider nicht gefunden, weiß Gillich. Dennoch gibt es eine Zusammenarbeit mit der Schule, etwa über Kinderfilmangebote. Nicht so wie geplant, aber dennoch wichtig.
Gillich bleibt vor einer Herz-Jesu-Figur im Garten stehen. „Caritas-Pfarrer Ortwald hat sie gesegnet.“ Immer wieder verweilen Bewohnerinnen und Bewohner des Altenzentrums, aber auch Besucher aus der Nachbarschaft vor dem Ensemble. Sie finden Ruhe, auch wenn Religion oder Glaube in der alltäglichen Arbeit keine große Rolle spiele. „Die Angebote sind offen für alle“, betont Gillich. Das gelte auch für alle Aktivitäten mit den Kirchengemeinden, die wichtige Akteure vor Ort seien. „Den katholischen Glauben würde ich nicht so sehr in den Vordergrund rücken. Da liegt kein Fokus drauf. Wenn wir etwas zusammen mit der Kirche machen, geht es immer um Offenheit.“
Zurück im Büro. Das Telefon klingelt – schon wieder. Benedikt Gillich freut sich darüber. „Das sind Menschen, die Karten für unsere Filmvorführung reservieren wollen.“ Im großen Saal findet diese einmal im Monat statt, moderne Technik ist vorhanden. Zu Beginn war eine Reservierung noch nicht nötig. 25 Plätze von insgesamt 50 waren belegt – doch das blieb nicht so. „Die Nachfrage wurde immer größer und wir wollten niemanden wegschicken.“ Deshalb müsse man sich heute anmelden, was auch gut funktioniere.
Die monatliche Filmvorführung, die mithilfe von ehrenamtlich Engagierten organisiert wird, biete mehr als Unterhaltung. „Es ist ein niederschwelliges Angebot. Man muss nicht mitmachen, kann einfach still einen Film sehen.“ Gerade Personen, die nach langer Ehe den Partner oder die Partnerin verloren haben, nutzen dies. Hauptsache wieder unter Menschen kommen und nicht vereinsamen – ein zentrales Ziel der Quartiersarbeit. Tatsächlich erreicht das Team viele Interessierte ganz klassisch über Meldungen in der Tageszeitung oder Aushänge im Wohn- und Pflegeheim, aber auch im Supermarkt oder Zeitschriftenladen. Ganz offline funktioniert das – aber es funktioniert. Benedikt Gillich zieht deshalb regelmäßig los, um die Plakate zu verteilen. Positiver Nebeneffekt: Er und somit der Quartierstreff sind im Stadtteil zu sehen. Auch die Kirchengemeinden vor Ort seien wichtige Partner, „sie machen hier sehr viel“. Dennoch gebe es auch „die Unerreichbaren“. Das sind Nachbarinnen und Nachbarn, die trotz aller Angebote und der Aussicht auf Gemeinschaft lieber in ihren Wohnungen bleiben. Dann drohe Vereinsamung. Und es gebe ebenso Menschen, die eben lieber alleine sind, weiß Gillich. Das müsse man respektieren. Auch wenn das Quartiersmanagement diese unerreichbaren Personen gerne mitnehmen möchte – hier stößt es an seine Grenzen.
Immer wichtiger wird zudem die Gruppe der sogenannten „Babyboomer“, die in den kommenden Jahren in den Ruhestand gehen. In ihnen sehen Verantwortliche von Vereinen und Verbänden die Zukunft des Ehrenamtes. „Viele fühlen sich auf den Schlips getreten, wenn man von Senioren spricht und die Gruppe 50+ meint“, weiß Benedikt Gillich. Die passende Ansprache sei deshalb enorm wichtig. „Die Gruppe 50+ versuchen wir ins Boot zu holen über moderne Angebote, die über das Kaffeetrinken hinausgehen.“ Das habe bereits funktioniert. Ein Beispiel: Zwei Damen sind als Besucherinnen zur Kinovorführung gekommen. Gillich sprach sie an und beide konnten sich ein Ehrenamt vorstellen. Sie blieben dabei. Inzwischen habe sich ein festes Vorbereitungsteam gebildet, die Mitglieder treffen sich auch privat. Die Gruppe bleibe aber offen für alle.
Allerdings – und diese Erfahrung machen alle Vereine und Institutionen, die neue ehrenamtlich Engagierte suchen – gilt: Das Werben ist eine langfristige Aufgabe, die man behutsam angehen müsse. „Man braucht einen langen Atem.“ Vor 20 Menschen ein Projekt vorstellen und sofort machen alle mit – das funktioniere nicht. „Der direkte Austausch ist wichtig. Wir wollen zudem Ehrenamtsporträts in die Presse bringen, damit Leute von ihrem eigenen Ehrenamt erzählen.“ Was man gibt und was man bekommt, sind die Themen, die dann im Mittelpunkt stehen.
Grundsätzlich hat Gillich ein Problem mit dem Wort „Ehrenamt“ an sich. „Ein Amt hat eine gewisse Schwere. Wir wollen den Leuten zeigen, dass das nicht mehr so ist, wie sie es von früher her kennen. Ich muss nicht immer wieder bei einem Frühstückstreff helfen, nur weil ich das einmal gemacht habe.“ Weniger Verpflichtung, mehr Kontrolle über die eigenen Einsatzzeiten könnte ein Ansatz sein. Und wer einmal keine Zeit hat, kann unkompliziert absagen. Dabei müsse die Person auch kein schlechtes Gewissen haben.
Wichtig ist es dem Quartiersmanagement zudem, dass angestoßene Projekte nicht einfach einschlafen, nur weil etwa die Finanzierung auslaufe. Ein gutes Beispiel ist eine Kooperation mit der Technischen Universität Dortmund (TU). Gymnastik sollte dafür sorgen, dass Menschen möglichst lange mobil bleiben können und nicht wegen ihrer Gesundheit zu Hause bleiben müssen. Diesem theoretischen Ansatz folgte ein praktischer Teil vor Ort.Zunächst übernahmen beteiligte Studierende das Training, das regelmäßig von mehreren Frauen dankend angenommen wurde. Als das Projekt vonseiten der TU zu Ende war, bestand der Wunsch, dass es weitergehen solle. Schließlich fand sich durch das Netzwerk der Quartiersarbeit tatsächlich eine Frau, die das Angebot weiterführen will und die nötigen Kenntnisse hat. Jemand kannte jemanden – das funktionierte tatsächlich. Und davon profitieren alle Beteiligten.
Hintergrund
Die offene Seniorenarbeit hat in Dortmund eine längere Geschichte. Unter dem Titel „Begegnung vor Ort gemeinsam gestalten“ gibt es beispielsweise in jedem der zwölf Stadtbezirke feste Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner für ältere Menschen. Diese Aufgabe teilen sich – je nach Stadtbezirk – die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege, also die Arbeiterwohlfahrt (AWO), die Diakonie Dortmund und Lünen gGmbH, der Caritasverband Dortmund, der Paritätische Dortmund sowie das Deutsche Rote Kreuz (DRK). Die Stadt Dortmund fördert seit 2020 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die verbandsübergreifend vor Ort aktiv und ansprechbar bei allen Fragen sind. Weitere Informationen gibt es auf den Homepages der beteiligten Verbände.