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06.12.2024
Die jährlichen Messfeier der Elendenbruderschaft hat eine ganz eigene Atmosphäre.
Foto / Quelle: Patrick Kleibold

In brüderlicher Einheit und Andacht

Seit 675 Jahren gibt es die Elendenbruderschaft. Gegründet im 14. Jahrhundert, als Reaktion auf die Pest. Dechant Benedikt Fischer über Ursprung, Gegenwart und Zukunft der Bruderschaft.

Interview: Patrick Kleibold und Christina Frampton
Paderborn

Vielen ist die Elendenbruderschaft kein Begriff. Was ist ihr Ursprung?

Die Elendenbruderschaft wurde im Jahr 1349 gegründet. Zu der Zeit wütete in Deutschland die Pest, damals auch „Schwarzer Tod“ genannt. In Paderborn lebten etwa 3 000 Menschen, von denen über 2 000 Menschen innerhalb von fünf Monaten starben. Auf dem Kirchhof neben der Domkirche wurden Gruben angelegt, in denen 40 bis 60 Tote begraben wurden. Das Elend war so groß, dass die Lebenden aus Angst angesteckt zu werden, sich weigerten, die Leichen, insbesondere die der Reisenden und die der Pilger, zu bestatten. Durch die nicht begrabenen Leichen breitete sich die Seuche noch weiter aus. Um dem entgegenzuwirken, versammelten sich in christlichem Mitleid und von echter Menschenliebe getrieben die damaligen Geistlichen und einige ehrsame Bürger der Stadt: Sie versprachen, auch unter der Gefahr des eigenen Lebens, die Leichen zu Grabe zu tragen und dreimal im Jahr in brüderlicher Einheit und Andacht für sie zu beten. Die Bruderschaft wurde also gegründet, wie die Bestätigungs­urkunde sagt, „um den verstorbenen fremden Leuten zum Kirchhof zu verhelfen, nach der Weise des Vater Abraham, welcher einen Acker kaufte, um Pilger darauf zu begraben“.

Der Höhepunkt der jährlichen Messfeier der Elendenbruderschaft.
Foto / Quelle: Patrick Kleibold

Heute übernimmt der Staat die Aufgabe, Obdachlose zu beerdigen. Welche Aufgabe hat die Bruderschaft noch?

Einmal jährlich, am Mittwoch nach Allerseelen, kommt die Bruderschaft zur Mitgliederversammlung und zur Messfeier in der Gaukirche zusammen, um für die verstorbenen Obdachlosen und auch für die Verstorbenen der Bruderschaft zu beten. Die klassische Aufgabe – Verstorbene zu Grabe zu tragen – ist selten geworden. Doch hin und wieder bittet uns die Stadt auch heute noch, diese Aufgabe zu übernehmen. Das machen wir natürlich gerne. Die finanziellen Mittel, die wir nicht für die ursprüngliche Aufgabe verwenden, die spenden wir an soziale Projekte in Paderborn. Dabei handelt es sich um Einrichtungen, die im Obdachlosenbereich tätig sind, wie zum Beispiel der SKM oder die ­PaderMahlZeit, in der Obdachlose etwas zu essen bekommen. Es gibt auch viele pensionierte Ärzte, die sich ehrenamtlich um Obdachlose kümmern. Die werden wir beispielsweise in diesem Jahr unterstützen.

Sie sprachen von einer jährlichen Messfeier. Wie sieht die konkret aus?

Das geschieht stets in einer bestimmten ritualisierten Form. Gemeinsam mit der Domkantorei feiern wir das traditionelle lateinische Requiem, richtig klassisch mit Chorgesang. Der Gottesdienst endet mit der Aussetzung, einer Kerzenprozession aller Mitglieder durch die Kirche und dem anschließenden Schlusssegen mit der Monstranz. Alle Mitglieder tragen dazu gedeckte Farben, die meisten sogar einen schwarzen Anzug mit schwarzer Krawatte. Die Atmosphäre in der Gaukirche ist dann immer ganz besonders, vielleicht sogar ein bisschen mystisch, denn so eine intensive Form der Gedenkfeier gibt es in unserer Kirche nur noch selten. Unsere Bruderschaft besteht nur aus Männern. Ihnen allen bedeutet dieses traditionelle Requiem sehr viel. Und damit meine ich nicht nur die älteren Mitglieder, sondern insbesondere auch die jüngeren.

Dechant Benedikt Fischer.
Foto / Quelle: Patrick Kleibold

Wie viele Mitglieder hat die Bruderschaft und wie setzt sie sich zusammen?

Wir haben derzeit ca. 400 Mitglieder und das Interesse an unserer Bruderschaft nimmt jährlich sogar zu, sodass wir in diesem Jahr einen Aufnahmestopp verhängen mussten. Mitglied kann man nur auf Vorschlag eines Mitglieds werden. Durchschnittlich nehmen wir 10 bis 15 Männer, in diesem Jahr waren es mehr, jährlich auf, von denen die jüngsten Mitglieder zwischen 25 und 30 Jahre alt sind. Wer dann einmal Mitglied ist, der bleibt es oft bis zu seinem Tod. Sie alle haben, wie bereits eben erwähnt, etwas gemeinsam: Sie mögen diese spezielle Form der Männerspiritualität mit ihren spezifischen Ritualen. Das zeigt sich insbesondere während des traditionellen Essens im Anschluss an das Requiem. Die Tischgebete werden stets auf lateinisch gesprochen.

Beerdigungen kosten Geld und die Spenden für soziale Projekte müssen ja auch aufgebracht werden. Wie finanziert sich die Bruderschaft?

Die Bruderschaft finanziert sich ausschließlich durch Beiträge, Spenden und Kollekten der Mitglieder. Während des Requiems gibt es eine Kollekte und beim anschließenden Essen noch zwei weitere. Eine davon ist die Versäumniskollekte. Die Idee dahinter finde ich interessant. Am Abend vor dem Requiem treffen wir uns traditionell zu einer Vigilfeier. Wer daran nicht teilnimmt, der löst sich quasi mit einer Spende am Tag darauf aus. Für viele mag das ein bisschen eigenartig klingen, aber letztlich dient es der guten Sache.

Die Aufgaben und Formen des sozialen Engagements haben sich, wie Sie eben sagten, verändert. Gibt es neue Ziele, die sich die Bruderschaft setzt?

Nicht wir selbst setzen unsere Ziele, vielmehr werden sie uns von den Sozialverbänden gesetzt. Sie wissen am besten, wie sich die aktuelle Obdachlosensituation darstellt und was konkret gebraucht wird. Diese Verbände sind es, die die eigentliche soziale Arbeit an der Basis leisten. Mit unseren Mitteln wollen wir sie dabei unterstützen und Lücken füllen. Wir versuchen vermehrt dorthin zu schauen, wo kein Geld mehr vorhanden ist.

Die Einladung zum Requiem.
Foto / Quelle: Patrick Kleibold

Welche Motivation treibt Sie persönlich an, sich in der Bruderschaft zu engagieren?

Es ist schön zu sehen, dass die Elendenbruderschaft seit so vielen Jahrhunderten besteht und immer noch sozial engagiert ist. Das Geld kommt da an, wo es auch hin soll. Punktuell können wir durch unser Engagement sehr viel Gutes tun und gerade dieses gesellschaftliche Engagement stellt für mich einen hohen Wert dar. Ich unterscheide mich aber ein bisschen von den anderen Mitgliedern. Ich bin quasi qua Amt Mitglied in der Elendenbruderschaft, denn der Pfarrer der Liborius-­Pfarrei ist automatisch der Dechant der Bruderschaft. Zuvor war ich kein Mitglied und musste auch erst aufgenommen werden. Nachdem ich nun die Bruderschaft näher kennengelernt habe, bin ich froh, ihr Dechant sein zu dürfen. In Gesprächen mit den Sozialeinrichtungen der Stadt zeigt sich immer wieder die Dankbarkeit dafür, dass die Elendenbruderschaft die Basis der Obdachlosenarbeit unterstützt. Die Arbeit der Bruderschaft gehört für mich zu unserem christlichen Selbstbild dazu.

Was tun Sie, wenn Ihnen auf der Straße ein Obdachloser begegnet? Fühlen Sie sich dann verpflichtet, jedem von ihnen einen Euro in den Becher zu werfen?

Manchmal tue ich es, manchmal tue ich es aber auch nicht. Vielleicht freut sich der Obdachlose dann kurzfristig über das Geld, langfristig hilft es ihm aber nicht. Hinzu kommt, dass es immer mehr Menschen auf der Straße gibt, die von einer Organisation losgeschickt werden, um Geld zu sammeln. Ein solches Geschäftsmodell möchte ich nicht unterstützen, denn die Personen werden anschließend dazu gezwungen, ihr Geld abzugeben. Was ich oft versuche, ist mit den Menschen darüber ins Gespräch zu kommen, wo es vielfältige Unterstützungen in Paderborn gibt, denn gerade die staatlichen und kirchlichen Sozialverbände können langfristig am besten helfen.

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