Jeder darf mit seinen Sorgen zu Jesus hingehen
Mit viel Leidenschaft gestaltet der Franziskanerbruder Philipp Heine Weihnachtskrippen, die auch seine Spiritualität widerspiegeln.
Bruder Philipp Heine OFM schließt die Tür zu seinem Zimmer auf. Kaum tritt man ein, empfängt die Besucherinnen und Besucher ein angenehmer Duft nach Wald, nach Moos – nach Weihnachten. Der Dortmunder Franziskanerbruder öffnet diese Tür nicht oft. Dem Dom gewährt er jedoch Einblicke in sein privates Reich. Der erste Eindruck: Überwältigend! Helle Farben, viele Figuren, Gebäude – es wimmelt voller Leben. Dekoriert sind die vielen verschiedenen Szenen mit natürlichen Materialien. Holz und Moos sorgen für eine angenehme Atmosphäre.
„Mitte Oktober werde ich immer nervös. Dann muss ich das große Brett vom Dachboden holen und einen zusätzlichen Tisch ins Zimmer stellen“, sagt Bruder Philipp, der die für seine Ordensgemeinschaft ohnehin sehr wichtige Krippe liebevoll als „mein Steckenpferd“ bezeichnet. Dann beginnt der Aufbau, für den sich Bruder Philipp bewusst Zeit nimmt. Bloß keinen Stress in einer Zeit, die ohnehin sehr schnell sehr stressig werden kann. „Manchmal baue ich auch eine Woche lang überhaupt nicht.“ Es müsse Spaß machen, dann werde das Ergebnis umso schöner.
Einen festen Plan, wo welche Figur zu stehen hat, hat der Franziskaner dabei nicht. „Meine Krippe ist jedesmal anders.“ Das Ganze funktioniere nur so. Zentral ist natürlich die Geburt Jesu in ärmlichen Verhältnissen. Diese Szene fällt sofort ins Auge. Doch was sitzt da im Gebälk des Stalls? Eine weiße Eule schaut den Betrachter oder die Betrachterin direkt an. Philipp Heine lächelt. Ja, einen solchen Vogel erwartet man nicht. Doch stört er? Und warum? Für den Franziskaner ist das kein Problem. Die Natur komme zur Krippe, zu Gottes Sohn. Und das bedeute: Es ist Platz für die gesamte Schöpfung. So tummeln sich auf einem Stein auch mehrere Marienkäfer. „Die habe ich geschenkt bekommen und mir gedacht: Warum sollen sie nicht vorkommen?“
Auf diese Weise ist die Krippe immer mehr gewachsen. Einen Stamm aus einem Weinberg in der Wachau bekam der Seelsorger zum Beispiel von seiner Schwester geschenkt. Dadurch habe er eine ganz eigene Beziehung zu den Figuren und Dekorationen. Hinter jedem Teil stecke eine Geschichte.
Und auch die Krippe selbst erzählt Geschichten. Während im Stall der Sohn Gottes zur Welt kommt, hüten Schäfer ihre Tiere. In einer anderen Ecke bearbeitet ein Schmied Metall. Frauen stehen um einen Brunnen und schöpfen Wasser. Das Leben geht seinen gewohnten Gang, obwohl gerade etwas Unglaubliches geschieht, das die Menschen auch gut 2 000 Jahre später noch feiern.
Die Inspiration stammt aus Neapel. Die dort verbreiteten Volkskrippen faszinierten Philipp Heine. „Es gibt Geschäfte und Wirtshäuser.“ Der Alltag der Menschen spiele eine wichtige Rolle. So wollte er seine Krippe auch gestalten, mit vielen Figuren und Bewegung.
Das gilt auch für die anderen Krippen, die Bruder Philipp betreut. Im benachbarten Bruder-Jordan-Haus, wo er als Seelsorger arbeitet, gibt es eine in der Hauskapelle sowie im Speisesaal – ebenfalls liebevoll gestaltet, aber wesentlich statischer. „Die Figuren sind nicht beweglich.“ Wer dagegen Bewegungen und Veränderungen sehen will, der muss in die Franziskanerkirche in der östlichen Dortmunder Innenstadt gehen. Auch diese Krippe gehört zu den Aufgaben von Bruder Philipp – aber er ist dabei nicht allein. „Es ist mir sehr wichtig zu sagen, dass diese große Krippe nicht ohne ehrenamtlich Engagierte entsteht.“ Barbara Bors, Julia Lang und Ursula Stallmann gehören zum Team
Gemeinsam wird ab dem ersten Advent Woche für Woche jeweils eine neue Szene gestaltet. Unter den Kleidern der Figuren versteckt sich dabei eine aufwendige Konstruktion aus Holz und Schrauben. Die Köpfe sind austauschbar und werden einfach auf den Körper geschraubt. Dadurch sind verschiedene Kombinationen möglich sowie ein Zeigen und Gehen. Die Figuren wirken einfach menschlicher
Zwar ist der Rahmen durch die biblischen Texte vorgegeben, dennoch gibt es Jahr für Jahr Variationen. „Diesmal wird der erwachsene Jesus bei der Taufe zu sehen sein.“ Neu ist zudem die Szene mit Hanna und Simeon im Tempel. Da die Krippe mit ihren fast lebensgroßen Figuren diesmal bis zum 2. Februar zu bestaunen ist, gab es den Raum für neue Szenarien, die die Kirchgängerinnen und Kirchgänger so nicht erwarten. „Wir haben uns auf die Tradition berufen und lassen die Krippe bis Mariä Lichtmess stehen.
Der Franziskaner lässt den Blick durch den Altarraum schweifen. Markant sind Holzscheite, die die Stufen kaschieren. „Die stammen von Weihnachtsbäumen aus dem vergangenen Jahr.“ Materialien werden wiederverwendet – zum Erhalt der Schöpfung. Und es gibt zwei Konstanten, die immer vorkommen – eine Christrose und ein schwarzes Schaf. Das dürfen etwa Kindergartenkinder oder die Jungen und Mädchen aus der benachbarten katholischen Grundschule auch anfassen. Die Weihnachtsgeschichte soll mit allen Sinnen erfahrbar sein
Hinter aller Freude über die Figuren und das Aufbauen steckt bei Bruder Philipp mehr dahinter als etwa bei einem passionierten Modellbauer oder jemandem, der im Keller eine Eisenbahnanlage aufbaut. Ja, das Zusammenstellen entspanne und beruhige im Advent, wenn sich viele – natürlich auch erfreuliche – Termine häufen. Doch da ist mehr. „Durch meine Krippen gebe ich meinem Glauben, meiner Spiritualität ein Gesicht. So denke ich.“ Für den Franziskaner ist Jesus nahe. „Gott ist Mensch geworden im zerbrechlichsten Geschöpf der Welt – in einem Baby.“ Dies verdeutliche eine Krippe nicht nur, sie macht es erlebbar. Dass es bei Bruder Philipp bunt zugeht, auch dahinter steckt ein sehnlicher Wunsch: „Die Kirche muss ebenso bunt sein.“ Und der Maßstab spiele dabei keine Rolle. Das Schaf zu groß, der Hirte zu klein? Jede Figur darf so sein, wie sie ist. Denn niemand sei genormt
Es reicht Bruder Philipp zudem nicht, Jesus in der Wiege nur zu sehen. Man kann auch zu ihm hingehen, mit seinen Sorgen, Nöten und Sünden. Es gab bereits ein Bild, in dem Eva als gebückte, alte Frau zum Jesuskind ging. Dort legte sie den Apfel nieder – und ging aufrecht und erleichtert wieder zurück. Gott verzeiht die Sünden. „Wir können dem Kind im Stall etwas geben, was uns am Herzen liegt. Denn Gott wird Mensch für dich, wie du bist. Gott erwartet auch keine Gegenleistung, er ist nicht berechnend.“