Prof. Dr. Birgit Leyendecker mahnte eine faire Gewinnung von internationalen Fachkräften an, die sowohl die Interessen der Zuwanderer als auch die der Herkunftsländer berücksichtige.
Foto / Quelle: cpd/Markus Jonas

Kein Allheilmittel, aber ein Mosaikstein

Die Gewinnung und Bindung von internationalen Pflegefachkräften standen im Mittelpunkt des 16. Paderborner Caritas-Diskurs Ethik.

Paderborn

Mit ethischen Aspekten bei der Gewinnung und Bindung von internationalen Pflegefachkräften hat sich der 16. Paderborner Caritas-Diskurs Ethik auf Einladung des Diözesanen Ethikrates für das Erzbistum Paderborn auseinandergesetzt. Angesichts eines „immer spürbarer und drückender“ werdenden Fachkräftemangels im Gesundheits- und Pflegesystem sei man zunehmend auf internationale Pflegekräfte angewiesen, stellte Diözesan-Caritasdirektor Ralf Nolte bei der Tagung im Paderborner Liborianum vor rund 50 Teilnehmenden aus sozialen Einrichtungen, Diensten und Verbänden fest. Aktuell stammten bereits mehr als 15 Prozent der Erwerbstätigen in Gesundheits- und Pflegeberufen aus dem Ausland.

„Die aktuellen Standards unserer Pflege wären gar nicht aufrecht zu erhalten, wenn wir nicht auf Menschen mit Migrationshintergrund zurückgreifen könnten“, sagte Nolte. Doch: „Es reicht nicht, einfach nur Arbeitsverträge abzuschließen.“ Internationale Fachkräfte bräuchten Unterstützung bei der Integration. „Wir sind moralisch verpflichtet, sie beruflich und menschlich zu fördern und sie zu befähigen, sich in unseren Einrichtungen und in unserer Gesellschaft zurecht zu finden.“ Kathrin Waldhoff, Mitglied des Diözesanen Ethikrates, betonte, nicht alles, was möglich sei, sei auch zulässig. „Wir stehen vor der enormen Herausforderung, die Fachkräfte, die von weither zu uns kommen, gut zu integrieren“, so Waldhoff.

Diskutierten beim Caritas-Diskurs Ethik (v. l.): Prof. Dr. Peter Schallenberg, Prof. Dr. Birgit Leyendecker, Schwester Dr. Magdalena Mikus, (Ethikrat), Kathrin Waldhoff, Diözesan- Caritasdirektor Ralf Nolte, Johannes Kudera und Eva Maria Müller (Diözesan- Caritasverband).
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Prof. Dr. Birgit Leyendecker, Entwicklungspsychologin an der Ruhr-Universität Bochum und Mitglied im Sachverständigenrat für Integration und Migration der Bundesregierung, betonte, es brauche Zuwanderung in den Pflegebereich. Gleichzeitig würden dabei in Deutschland aber auch zu viele Potenziale verschenkt. Viel zu langwierig seien etwa die Anerkennungsverfahren für nicht in der EU ausgebildeten Ärztinnen und Ärzte. Diese dauerten zwischen 18 und 36 Monaten – damit werde Deutschland für Bewerber unattraktiv. „Wir müssen eine Balance finden zwischen der Sicherheit, dass keine Approbationen oder Ausbildungsbescheinigungen gefälscht werden, und einer schnelleren Anerkennung.“

Problematisch seien auch Vorurteile in der deutschen Bevölkerung und eine gewisse Polemik im Wahlkampf. „Wenn Migration nur als Bedrohung angesehen wird, dann gelingt es uns nicht, Fachkräfte hierherzuholen und sie auch hier zu behalten“, so Leyendecker. Vielmehr seien eine verbesserte Willkommenskultur und verstärkte Integrationsanstrengungen sowie attraktivere Arbeitsbedingungen notwendig. Eine faire Gewinnung von internationalen Fachkräften müsse zudem sowohl die Interessen der Zuwanderer berücksichtigen, als auch die der Herkunftsländer. Keinesfalls dürfe die medizinische Versorgung im Herkunftsland durch einen „Braindrain“ gefährdet werden.

Der Moraltheologe und Sozialwissenschaftler Prof. Dr. Peter Schallenberg wies darauf hin, dass Gesundheit und Pflege in einer Marktwirtschaft nie von selbst funktionierten. „Da gibt es ein ständiges Marktversagen.“ Der Staat müsse im Rahmen der Sozialen Marktwirtschaft regulierend in den Gesundheitsmarkt eingreifen. Die Gewinnung internationaler Fachkräfte leide in Deutschland aber darunter, dass es „eine unglückselige Mischung von Asylrecht und Wirtschaftsmigration“ gebe. Andere Staaten wie etwa Australien oder Kanada seien „zupackender“ in der Anwerbung von Fachleuten aus dem Ausland. Unbedingt zu beachten sei die Menschenwürde Arbeitsuchender aus dem Ausland, vor allem in Bezug auf faire Bezahlung und angemessene Arbeitsbedingungen, aber etwa auch im Bereich des Rechts auf Familiennachzug. Da dürfe es nicht zu Zuständen wie in der Fleischindustrie kommen, so Schallenberg.

Prof. Dr. Peter Schallenberg verwies auf das Recht auf Familiennachzug von internationalen Fachkräften.
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Christian Jostes, Geschäftsführer der Katholischen Hospitalvereinigung Weser-Egge (KHWE), betonte, die Integration ausländischer Pflegekräfte könne nur ein Mosaikstein sein in einem Strauß von Maßnahmen zur Lösung des Problems des Fachkräftemangels. „Die Rekrutierung ausländischer Pflegekräfte ist weder Allheilmittel noch eine nachhaltige Lösung für die strukturellen Probleme des Pflegesektors in Deutschland“, so Jostes, dessen Verbund aus Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen im Kreis Höxter rund 3000 Mitarbeiter beschäftigt. Er berichtete von einem gemeinsamen Projekt mehrerer Krankenhäuser in den Kreisen Paderborn und Höxter in Kooperation mit Bundesagentur für Arbeit und Kreis Paderborn zur Gewinnung ausländischer Pflegefachkräfte.

Im Kreis Höxter wurden dabei 14 Inderinnen etwa für die Geriatrie, die ambulante Pflege und ein Seniorenhaus gewonnen. Damit verbunden sei für die KHWE nicht nur die Suche nach Wohnungen, Hilfe bei deren Ausstattung und Organisation von Sprachkursen mit dem Abschluss B2 gewesen. Auch eine Einführung in den deutschen Alltag erhielten die Inderinnen: etwa zum Einkaufen, der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel und natürlich: zur richtigen Mülltrennung. Am wichtigsten sei aber die herzliche Aufnahme und die Integration in die Pflegeteams gewesen, berichtete Christian Jostes. Eine Herausforderung für die Zukunft sei es, für die Pflegekräfte aus einem ganz anderen Kulturkreis eine neue Heimat zu schaffen und auch den Nachzug der Familie zu regeln.

cpd

Hintergrund

Der Diözesane Ethikrat für das Erzbistum Paderborn setzt sich aus Expertinnen und Experten vornehmlich der Fachrichtungen Medizin, Pflege, Theologie, Sozial- und Rechtswissenschaften zusammen. Er erarbeitet Empfehlungen zu ethischen Fragestellungen, insbesondere der Medizin- und Bioethik, fördert die Qualität ethischer Beratungen und Entscheidungen und berät kirchliche Einrichtungen und Dienste im Erzbistum Paderborn. Angebunden ist der Diözesane Ethikrat an den Caritasverband für das Erzbistum Paderborn. Stellungnahmen des Ethikrates und mehr Infos: www.caritas-paderborn.de/fuer-experten/dioezesaner-ethikrat

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