Foto / Quelle: Patrick Kleibold

Kicken und sich um die Nachbarn kümmern

Das Erzbistum Paderborn und die Dortmunder Borussia kooperieren mit der BVB-­Gründerkirche jetzt auch offiziell.

Dortmund/Erzbistum

Noch braucht man etwas Fantasie, um sich die „neue“ Dreifaltigkeitskirche vorzustellen. Nun ist sie offiziell die BVB-­Gründerkirche, die sie für die Fans der Dortmunder Borussia schon seit Jahrzehnten ist. „Vor den Eingang kommt ein Stahlrahmen mit Zelt und BVB-­Logos“, erklärt Karsten Haug, Gemeindereferent und Koordinator des Projektes vor Ort. Geht man in das Gotteshaus, wird im Eingangsbereich eine Erinnerungskapelle entstehen. „Dort kann man etwa der Verstorbenen gedenken.“ Auch einen Spielertunnel, auf dem die Namen aller Spieler bis heute verewigt werden – derzeit sind das 800 Namen – soll ab Herbst bis zum Oktober 2026 entstehen – vorausgesetzt, der Zeitplan lässt sich einhalten.

Innenraum flexibel nutzbar

Der Kirchenraum bleibt frei bestuhlbar und ist somit flexibel nutzbar. Die Seitenschiffe werden museal genutzt sowie für barrierefreie Toiletten. „Wir zeigen, was es damals für Werte gab und gespiegelt, welche Werte heute wichtig sind“, so Karsten Haug. Bei aller Fußballbegeisterung bleibt die Dreifaltigkeitskirche für die Gemeinde offen. Die Gläubigen bekommen einen separaten Eingang zu ihrem Gottesdienstraum, der 50 Plätze bietet.

Die Kirche selbst wird nachhaltig saniert. „Die alten Fenster bleiben, die Türen arbeiten wir auf“, erklärt die Architektin Claudia Bolle. Das spare zudem Kosten, deren genaue Höhe nicht bekannt gegeben wurde. Wegen der Nutzung des jetzigen Altarraumes durch die Gemeinde werde zudem Energie eingespart, weil nicht die gesamte Fläche gebraucht wird.

Als Abtrennung dient in Zukunft eine sogenannte Multi-­Glastrennwand. 9 Meter breit und 11,4 Meter hoch wird die Konstruktion, die den Altarraum abtrennt. „Auf sie wird eine Folie aufgetragen“, sagt Architektin Claudia Bolle. Dadurch können flexibel Bilder und Filme projiziert werden. Karsten Haug plant zum Beispiel Filme, die die historische Situation der Nordstadt um das Jahr 1909 verdeutlichen sollen. Simulationen deuteten während der offiziellen Pressekonferenz zur Kooperation mit dem BVB bereits an, wie es aussehen könnte. Doch noch wirkt das Gotteshaus eher wie ein Zweckbau. Wie gesagt, Fantasie ist nötig.

Unter den Teilnehmern der Eröffnungsfeier ist auch Hans-­Peter Rehbein. Der Kolpingbezirksvorsitzende bringt auf den Punkt, was sich sicherlich viele denken: „Zum Glück bleibt die Kirche erhalten.“ Im Dekanat Dortmund nimmt das Immobilienkonzept derzeit Fahrt auf, eine neue Nutzung sichert das Bestehen in einer Umgebung, die längst nicht mehr katholisch geprägt ist.

Zu Beginn des Ballspielvereins Borussia Dortmund war das noch anders. Und die Sticheleien von BVB-­Geschäftsführer Carsten Cramer während der Pressekonferenz in Richtung von Generalvikar Msgr. Dr. Michael Bredeck deuteten genau auf die Gründungsgeschichte. Dafür gab es von den anwesenden BVB-­Fans Applaus und einige Lacher. Immerhin versprach Bredeck, ein gebürtiger Dortmunder, nun wieder häufiger ins Stadion zu gehen.

Ein rohes Treiben

Tatsächlich machte die katholische Kirche in Person von Kaplan Hubert Dewald aus heutiger Sicht nicht die beste Figur, als der Fußballsport Anfang des 20. Jahrhunderts auf den Wiesen rund um den Borsigplatz immer beliebter wurde. Damals wurde übrigens auch die Gemeinde an sich gegründet. Das Ziel war es, den überwiegend katholischen Zuwanderern eine Heimat im überwiegend protestantischen Dortmund zu bieten. Der Bedarf an Arbeitskräften war groß – und sie kamen ins Ruhrgebiet. „Integration funktioniert über Essen und Sport“ – ein Satz, der schon damals gültig war.

In Dewalds Augen war das Pöhlen allerdings kein harmloses Freizeitvergnügen, sondern ein „rohes“ Treiben. Der Kaplan verbot den Sport, doch das interessierte die späteren BVB-­Gründerväter nicht. Schließlich fiel am vierten Adventssonntag 1909 in einer Gaststätte der Startschuss, was auch der Geistliche nicht mehr verhindern konnte – man ließ ihn schlicht nicht eintreten.

Für Dr. Bredeck steht heute außer Frage, dass die Verbindung Kirche und Fußball passt. Er beruft sich dabei auf das Zukunftsbild des Erzbistums: „Wir wollen dahin gehen, wo die Menschen sind, wo das Leben spielt.“ Und sie kommen. Bei den Gottesdiensten zum Saisonauftakt oder zum Geburtstag der Borussia sind die Bänke voll besetzt. Dabei wird es hoch emotional. Schals werden nach oben gehalten, dann zum Takt von „You’ll never walk alone“ hin- und herbewegt. Hier stehen Menschen, die das Leben gezeichnet hat, neben solchen, die keine wirtschaftliche Not zu leiden scheinen. Dazwischen immer wieder prominente Gastprediger und der Sänger Matthias „Kasche“ Kartner mit seiner Gitarre.

Für fairen Sport

Wichtig war es den Machern, von Anfang an zu betonen: Hier betet niemand um den Sieg oder um Gottes Eingreifen, wenn der Tabellenplatz nicht passt oder die Teilnahme an internationalen Wettbewerben in weiter Ferne scheint. „Wir beten für eine faire Saison, für fairen Sport“, betont Gemeindereferent Haug immer wieder.

Und ein bisschen Fußball-­Aberglaube ist doch erlaubt. So gab es vor dem Finale der Champions League in London mit Borussia Dortmund keinen Gottesdienst, „obwohl es viele Anfragen gab“. Die Kirche wäre also voll gewesen. Doch Karsten Haug schüttelt energisch den Kopf. Zu präsent ist noch die Deutsche Meisterschaft 2023, die die Dortmunder Borussia denkbar knapp am letzten Spieltag zugunsten der Bayern aus München verpasste. Damals gab es vor dem Spiel einen Gottesdienst, der Rest ist Geschichte.

BVB-­Manager Carsten Cramer (links) und Generalvikar Msgr. Dr. Michael Bredeck stellten die Kooperation von Borussia Dortmund mit dem Erzbistum Paderborn offiziell vor. Karsten Haug (Mitte) ist Ansprechpartner vor Ort. Nächster Schritt ist nun ein aufwendiger Umbau der BVB-­Gründerkirche, zu dem es bereits Animationen gibt (Foto in der Mitte). Beim Startschuss gedachten die Beteiligten auch dem kürzlich verstorbenen Olaf Suplicki, einer treibenden Kraft hinter dem Projekt (Foto rechts).
Foto / Quelle: Patrick Kleibold

Strahlkraft ins Viertel

Neben der sportlichen Begeisterung stehen auch andere Aspekte im Fokus der Kooperation. Das soziale Mitei­nander fördern, das fordert auch Carsten Cramer. Borussia Dortmund möchte etwas zurückgeben. Durch die eigenen internationalen Erfolge sei der Verein auch in der Lage dazu. Die BVB-­Gründerkirche soll deshalb „in das Viertel strahlen“. Hier, in der Nordstadt, bräuchten viele Unterstützung im Alltag. Deshalb umfasst das Angebot in Zukunft Sprachkurse, Bildungsmessen, ein Grünes Klassenzimmer, einen Seniorenmittagstisch, eine Spielausleihe und vieles mehr.

Gottesdienstliche Feiern sowie Rituale gehören ebenso zum Programm. Im Sommer soll es ein Zelt geben, in dem Angebote für Kinder stattfinden sollen. Das hätte BVB-­Gründer Franz Jacobi sicherlich gefallen. Von ihm stammt das Zitat: „Wir halten zusammen, was auch geschieht. Keiner schmort im eigenen Saft, sondern kümmert sich auch um seine Nachbarn.“

Karsten Haug ist nach dem Pressegespräch da, wo er am liebsten ist – unter den Menschen. Er schüttelt Hände, wird nicht müde, den anstehenden Umbau zu erklären – seine Begeisterung steckt an. „Hier soll so etwas aufkommen wie Stadionatmosphäre. Wir nehmen die Fans ernst, sie dürfen hier sein, wie sie sind.“ Dabei stehe nicht nur das Positive im Vordergrund – in der Bundesliga geht es ja schließlich auch nicht nur nach oben. Sie können auch mit ihren Sorgen und Nöten vorbeikommen. Niemand müsse sich für irgendetwas schämen. Seit der Gemeindereferent in der Nordstadt arbeitet, hat er mit zahlreichen Mitstreiterinnen und Mitstreitern, darunter der kürzlich verstorbene Olaf Suplicki, das Projekt vorangetrieben. „Ich bin mir sich, dass er hinter der Säule steht und sich freut“, so Karsten Haug.

Gerne wird nach einer gewonnenen Meisterschaft betont, wie wichtig die Borussia als „Kitt für die Stadtgesellschaft ist“. Denn schließlich stünden ja Arbeitslose und Bankdirektoren gemeinsam im Stadion. Das ist zwar eine romantisierte Vorstellung. Dennoch kann hier in der Nähe des Borsigplatzes ein solcher verbindender Ort tatsächlich entstehen. Zumindest ist die Gründerkirche eine gute Gelegenheit, einmal den Weg in die ach so berüchtigte Nordstadt, den Brennpunkt, zu wagen. Denn hier ist wirklich etwas los, auch wenn der BVB einmal nicht spielt.

Foto / Quelle: Patrick Kleibold

Text: Wolfgang Maas // Fotos: Patrick Kleibold

Hintergrund

Die Dreifaltigkeitskirche bleibt als Gotteshaus erhalten und wird erweitert. Auch Gemeindereferent Karsten Haug verbleibt in seiner koordinierenden Rolle vor Ort. Für das Erzbistum Paderborn repräsentiert das Projekt die Chance, die christliche Botschaft mit einer breiteren Gemeinschaft zu teilen. Der Ort wird außerdem zum Träger einer Vielzahl sozial-­diakonischer Projekte, für die bereits Partnerinnen und Partner in ganz Dortmund gewonnen werden konnten. Dazu gehören der Caritasverband, die Katholische Jugendhilfe, der Canisius ­Campus, das Seniorenbüro Innenstadt-Nord, die Oesterholz- und die Stadtteil-­Schule sowie die Machbarschaft Borsig11 und ­einige mehr.

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