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07.11.2024
Möglichst lange in den eigenen vier Wänden leben, dazu kann auch die Tagespflege für Seniorinnen und Senioren beitragen.
Foto / Quelle: Caritas in NRW

Lange in den eigenen vier Wänden leben

Die Caritas in NRW fördert fachlichen Austausch über die Tagespflege.

Essen

Viele Menschen, die pflegebedürftig sind, können noch gut in den eigenen vier Wänden leben. Ambulante Pflegedienste unterstützen sie dabei und auch die Tagespflege ist ein wichtiger Baustein bei der Versorgung der Menschen im Alltag. Wie die Tagespflege dazu beiträgt, dass alte und hilfsbedürftige Menschen möglichst lange körperlich und geistig gesund bleiben – darüber haben sich heute rund 100 Fachkräfte aus der Pflege bei einem Fachtag der NRW-Caritasverbände in Essen ausgetauscht.

„Unsere Tagespflegeeinrichtungen wirken rehabilitativ im eigentlichen Wortsinn“, hob Stefanie Siebelhoff, Direktorin des Caritasverbandes für das Bistum Essen, hervor. „Sie ermöglichen gesellschaftliche Teilhabe, indem sie die geistigen und körperlichen Kräfte der Seniorinnen und Senioren stärken und wiederherstellen, beispielsweise durch Sport- und Bewegungsangebote, durch kreative und künstlerische Betätigung, durch gemeinsames Singen und Spielen sowie durch gesundes Essen“, sagte Siebelhoff.

Dies zu leisten, gestalte sich zunehmend schwieriger, nicht nur aufgrund des Fachkräftemangels, sondern auch aufgrund steigender und komplexer werdender Ansprüche an Pflege und Betreuung. Siebelhoff verwies auf zunehmend älter werdende Seniorinnen und Senioren, die sowohl körperlich als auch psychisch und geistig oftmals stark beeinträchtigt seien. „Vor diesem Hintergrund gewinnt der rehabilitative Anspruch in der Tagespflege eine große Bedeutung“, so die Caritasdirektorin.

Gute Erfahrungen in der Praxis

Gute Erfahrungen hat die Tagespflege „Oase“ der Theresia-Albers-Stiftung in Essen-Überruhr gesammelt. „Im Sommer machen wir draußen Gymnastik oder Krafttraining. Wir spielen aber auch oft Gesellschaftsspiele und singen sehr viel“, beschreibt Pflegefachkraft Marc Fischer (35) die rehabilitativen Momente in der Tagespflege. Vor allem Musik sei ein gutes Mittel, um beispielsweise verschüttete Erinnerungen wachzurufen und geistige Beweglichkeit zu fördern, weiß Fischer: „Es gibt Leute, die nicht mehr in der Lage sind zu reden, aber wenn die Musik spielt, können sie die Liedtexte besser mitsingen als ich.“ Zwei Fachkräfte und eine Alltagsbegleiterin kümmern sich hier von montags bis freitags um 14 bis maximal 18 Seniorinnen und Senioren. Die Pflegekräfte achten auf einen Wechsel zwischen Aktivität, sozialer Interaktion und Ruhephasen. Gruppenzwang gibt es nicht.

Heute wird auf einer Tischkegelbahn gekegelt. Und während aus dem Lautsprecher Schlagerhits der 60er Jahre tönen, hat es sich eine Besucherin bereits auf einem der Schlafsessel bequem gemacht. Ein Nickerchen im Trubel – Hauptsache dabei sein. Die meisten jedoch wollen mitspielen, wie auch Elisabeth Domzaller (98). Die trotz hohen Alters rüstige Seniorin ist regelmäßig in der Tagespflege zu Gast und hat sich bereits aufs Kegeln gefreut. „Das ist eine schöne Abwechslung, da kommt man unter Leute“, sagt sie und fügt hinzu, „zu Hause antwortet ja keiner“. Beim Punkte anschreiben, werden die kognitiven Fähigkeiten aktiviert: Sofern möglich, soll jeder von Runde zu Runde seine Punkte selbst addieren.

Altenpfleger Fischer sieht in der Tagespflege auch einen entscheidenden Vorteil für die Angehörigen: „Wir entlasten die Angehörigen vom anstrengenden Pflegealltag und sorgen dafür, dass sie sich erholen können. Auch das trägt dazu bei, dass pflegebedürftige Menschen, die noch zu Hause leben können und wollen, nicht früher als unbedingt notwendig in ein Pflegeheim umziehen müssen.“

Heimunterbringung vermeiden – Eigenständigkeit unterstützen

Eine Heimunterbringung so lange wie möglich zu vermeiden und Menschen in ihrer Eigenständigkeit und Teilhabe am Alltag zu unterstützen – diesen Anspruch haben auch die Expertinnen und Experten des Caritas-Fachtages „Rehabilitative Tagespflege – ein Modell für die Zukunft?!“ deutlich formuliert. „Es rechnet sich, wenn wir den Menschen mit seinen Bedürfnissen wieder in den Mittelpunkt stellen“, forderte Oskar Dierbach, ehemaliger geschäftsführender Pflegedienstleiter bei der Evangelischen Altenhilfe Mülheim an der Ruhr einen Perspektivwechsel in der Pflege: „Finanziert wird der Versorgungsgrad eines Menschen“, kritisierte Dierbach. Das schaffe falsche Anreize. Stattdessen sollten die Fortschritte, die ein pflegebedürftiger Mensch bei guter Pflege erziele, im Vordergrund stehen. „Was müssen wir tun, damit es Dir morgen besser geht?“, müsse die Leitfrage sein. Auch die Zufriedenheit der Mitarbeitenden steige und der Krankenstand sinke, wenn Pflegekräfte, das, was sie in der Ausbildung gelernt haben, anwenden dürften. „Wenn ich sehe, dass es dem Menschen heute besser geht, weil ich gestern mit ihm gearbeitet habe“, so Dierbach, sei das die beste Motivation.

Christa Büker, Professorin für Pflegewissenschaft an der Hochschule Bielefeld, forderte, das rehabilitative Potenzial der Tagespflege öffentlich sichtbarer zu machen. „Die Tagespflege führt zu Unrecht ein Schattendasein und auch die Beschäftigten stellen ihr Licht unter den Scheffel.“ Es gebe von politischer Seite ein wachsendes Interesse an wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Tagespflege, aber noch zu wenige empirische Daten. Forschung könne dabei helfen, das Potenzial von rehabilitativer Tagespflege sichtbar werden zu lassen. Denn, so betonte Büker: „Wir wissen, dass alternde Menschen so lange wie möglich zu Hause bleiben wollen. Um das zu erreichen, ist die Tagespflege ein wichtiger Baustein.“

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