Lobby für den ländlichen Raum
Stephan Kreye von der Landvolkshochschule Hardehausen über die Landvolkkundgebung am Dienstag der Libori-Woche und zur Frage, ob es wirklich einen Gegensatz zwischen Stadt und Land gibt.
Grundtext
Herr Kreye, Landvolk – dieser Begriff könnte im ersten Moment etwas antiquiert klingen: Um wen geht es bei dieser Veranstaltung?
Es geht um Menschen in ländlichen Räumen. Früher meinte das eigentlich nur Landwirte und Landfrauen. Heute sind alle angesprochen, denen die Entwicklung des ländlichen Raumes am Herzen liegt – unabhängig von Alter oder Beruf.
Seit wann gibt es diese Kundgebung zu Libori?
Meine Recherchen haben ergeben, dass es diesen Tag seit 1951 gibt. Seitdem ist dieser Dienstagnachmittag mit seiner Thematik ein fester Bestandteil des Programms der Festwoche. Anfangs fand die Kundgebung im Kolpinghaus statt, dann zog sie in die PaderHalle. Seit mehr als zehn Jahren ist nun der Schützenhof der Veranstaltungsort.
Seit wann ist die Landvolkshochschule eingebunden, und wie lange sind Sie bereits zuständig?
Von Anfang an. Clemens Brüggemann, der zweite Rektor der Landvolkshochschule, hat die Veranstaltung ins Leben gerufen. Sie hat also immer unter unserer Federführung stattgefunden. Ich bin seit 2007 verantwortlich.
Wie finden Sie die Themen?
Wir stellen uns die Frage, welche Themen für die Zielgruppe wichtig sind, was gerade für sie aktuell ist, was sie beschäftigt. Das kann Landwirtschaft sein oder Dorfentwicklung – genau- so wie übergeordnete Fragen. Europapolitik wird ebenso diskutiert wie kirchliche Fragen und Entwicklungen. Das war zum Beispiel der Fall, als der Pressesprecher der Deutschen Bischofskonferenz, Matthias Kopp, als Redner zu Gast war. Zentral bei Themen- und Rednerauswahl ist immer das aktuelle Interesse der Menschen auf dem Land.
Wobei Sie immer hochkarätige Referenten zu Gast haben. Wie bekommt man das hin?
Gute Beziehungen sind wichtig. Über Verbindungen in die Politik – über unsere Bundestags- oder Landtagsabgeordneten im Kreis Höxter oder in Paderborn – lassen sich Kontakte knüpfen. Das war so, als 2016 Ministerpräsidentin Hannelore Kraft die Festrede hielt. Sie war übrigens die erste Ministerpräsidentin bei unserer Kundgebung, und das als SPD-Politikerin. 2007 hatten wir den Abt der Dormitio-Abtei in Jerusalem, Benedikt M. Lindemann, zu Gast, den der damalige Rektor der LVH, Prof. Dr. Konrad Schmidt, persönlich kannte. Prominente Rednerinnen und Redner sorgen für Reputation, die natürlich hilfreich ist. Manchmal suchen wir aber trotzdem bis zum letztmöglichen Termin.
Die Kundgebung ist etabliert und prominent besetzt – wie bekommt man die Jugend mit ins Boot?
Das ist eine echte Herausforderung. Und deshalb werden wir das Format in diesem Jahr auch weiterentwickeln: Schon seit Längerem sind zwei junge Leute aus unserem sechswöchigen Grundkurs, die unserem Haus verbunden sind, häufig die Schlussredner der Veranstaltung. In diesem Jahr rücken sie weiter nach vorn. Mit wichtigen Partnern und ihnen wird es nach der Festrede eine Feedbackrunde geben. In dieser Runde sind z. B. Cornelia Langreck, Präsidentin des WLLV, Hubertus Beringmeier, Präsident des WLV, sowie Heinz-Georg Büker, Vorsitzender des Kuratoriums der Landvolkshochschule. Darauf folgt die Rede des Erzbischofs, und zum Abschluss gibt es bei freien Getränken und Snacks die Möglichkeit zu Austausch und Gespräch. Das Veranstaltungsformat ist jetzt nicht unbedingt das, was junge Menschen vom Hocker haut, aber wir sind zuversichtlich, dass wir es in Zukunft für diese Altersgruppe attraktiver gestalten können. Ohne zu viel verraten zu wollen, wird es in diesem Jahr ein paar neue, überraschende Elemente geben.
Wer wird in diesem Jahr die Festrede halten? Worum wird es genau gehen?
Der Präsident des Bayerischen Bauernverbandes und Vizepräsident des Deutschen Bauernverbandes, Günther Felßner, wird sich mit den Bauernprotesten und deren Folgen befassen. „Vielfältig, innovativ, kreativ – So geht es weiter nach den Bauernunruhen“ lautet der offizielle Titel. Er wird auch die Brücke schlagen in Richtung Europa-Politik und in diesem Zusammen- hang die Frage aufwerfen, wie es die Landwirte schaffen können, die Erwartungen der Verbraucher nach Umwelt- und Landschaftsschutz zu erfüllen und gleichzeitig am Weltmarkt zu bestehen. Unter anderem wird es um die Herausforderung gehen, wie man als Landwirt vom Getriebenen – etwa durch politische und bürokratische Vorgaben bei der Tierhaltung – zum Gestalter werden kann, also nicht mehr nur reagiert, sonst schon vorher aktiv wird.
Sie sehen die Landvolkshochschule auch als Institution, die Lobbyarbeit betreibt?
Ja, aber nicht etwa für eine bestimmte Art von Landwirtschaft, sondern eher als Lobbyistin für den gesamten ländlichen Raum. Eine Hauptaufgabe in diesem Zusammenhang besteht für uns darin, Menschen miteinander ins Gespräch zu bringen. Das können ganz konkret Bauern und Politiker sein; letztlich sollte es aber immer dar- um gehen, möglichst viele Akteure an einen Tisch zu bringen, die durchaus nicht einer Meinung sein müssen. Wir bieten einen Raum an, wo ganz unterschiedliche Menschen in einen geschützten Dialog kommen können.
Kontroversen – das ist ein gutes Stichwort: Aktuell ist häufig vom Gegensatz zwischen Stadt und Land die Rede und dass ländliche Regionen immer mehr abgehängt werden. Wie sehen Sie das?
Man könnte den Eindruck gewinnen, dass der ländliche Raum benachteiligt ist, etwa mit Blick auf schnelles Internet, öffentliche Verkehrsmittel oder allgemeine Daseinsvorsorge speziell für die ältere Generation. Hier muss mehr geschehen für den ländlichen Raum. Auf der anderen Seite hat das Land sehr viel zu bieten. In der Corona-Krise wurde das besonders deutlich: die Nähe zur Natur, die Nähe der Menschen zueinander, mehr Sicherheit und Überschaubarkeit und nicht zuletzt bezahlbarer Wohnraum. Es gibt durchaus viele junge Menschen, denen diese Punkte so wichtig sind, dass sie nach ihrem Studium oder ihrer Ausbildung zurückkehren. Das Land ist für sie eine gute, günstige und schöne Alternative.
Das kann aber auch dazu führen, dass gewachsene Strukturen verloren gehen, weil zum Beispiel Neuzugezogene andere Prioritäten setzen.
So eine Dorfgemeinschaft muss offen bleiben in der Art von Geben und Nehmen: Integration ist ein Prozess, an dem alle beteiligt sein müssen. In diesem Zusammenhang gibt es vonseiten der LVH Angebote wie Dorfwerkstätten, bei denen es darum geht, solche Prozesse zu gestalten und Dörfer zukunftsfähig zu machen.
Wo wohnen Sie selbst?
Ich lebe in Dahl, einem Vorort von Paderborn. Dahl hat heute knapp 3000 Einwohner und ist in den letzten Jahrzehnten um rund das Doppelte gewachsen. Viele sind dorthin gezogen, weil der Weg zur Uni kurz ist, der Wohnraum bezahlbar und Läden für den täglichen Bedarf und Ärzte vorhanden sind. Andere – und dazu zähle ich mich auch – sehen sich darüber hinaus als Teil der Dorfgemeinschaft und engagieren sich. Dieses Engagement hängt aber nicht davon ab, wie lange ich schon in Dahl wohne. Ob neu zugezogen oder alteingesessen, engagiert oder nicht: In unserem Dorf gibt es jede Kombination.
Das heißt mit Blick auf unsere Ausgangsfrage und die ländliche Bevölkerung?
Menschen in ländlichen Regionen haben die Chance, an ihrem Ort wirksam mitzuar- beiten. Lebendige Orte gibt es nur dort, wo es engagierte Menschen gibt. Und unser Haus unterstützt diese Menschen dabei, ihr Land mitzugestalten.
// Das Interview führte Andreas Wiedenhaus