5 Min.
05.07.2024
Beobachten das Geschehen: Old Shatterhand (Martin Krah) und Winnetou (Jean-­Marc Birkholz).
Foto / Quelle: Patrick Kleibold

Märchen aus dem Wilden Westen

Bei den Karl-May-­Festspielen in Elspe wird in diesem Jahr „Winnetou und das Halbblut“ gespielt. Es gibt Intrigen, Kämpfe, Explosionen und viel Nostalgie. Auch auf Klischees wird prinzipiell geachtet, ebenso wie auf christliche Bezüge.

Text: Wolfgang Maas // Fotos: Patrick Kleibold
Lennestadt-Elspe

Gespannte Stille, die Bühne ist leer – war da nicht ein Geräusch? Ja, da war eines. Und wenige Sekunden später übernehmen die heimlichen Hauptdarsteller die Naturbühne bei den Karl-May-­Festspielen in Elspe. Kuba, Bablo, Cisco, Maya und ihre vierbeinigen Freunde galoppieren quer über die Bühne. Hinter sich lassen sie nur eine Staubwolke, dann kommen die Indianer. Pferde, ein Saloon, Zelte – willkommen im Wilden Westen.

Zu Beginn erscheint derjenige, auf den alle gewartet haben. Winnetou, der stolze Häuptling, betritt die Szene. Er beschreibt, was bisher alles geschehen ist, und warum die verschiedenen Stämme bereit sind, gegen die weißen Siedler zu kämpfen. Die Rollen sind klar verteilt: Die Indianer geben, die Weißen nehmen – und sie bekommen den Hals nicht voll. Das kann – ebenso wie in der literarischen Vorlage – nicht lange gut gehen.

Diplomatie statt Krieg

Einen offenen Kampf kann Winnetou zwar verhindern, bringt damit allerdings das Halbblut Ik Senanda in arge Schwierigkeiten. Denn der junge Mann fällt in Ungnade bei seinen Leuten, die sofort losschlagen wollen. Doch an der Seite von Winnetou, Old Shatterhand und anderen treuen Gefährten wie Sam Hawkens oder dem Arbeiter Clifton kann ja nichts schiefgehen. So viel zum Inhalt des Stückes, das laut Philipp Aßhoff, Geschäftsführer der Elspe Festival ­GmbH, zu den beliebtesten zählt. Folglich wurde es in den vergangenen Jahrzehnten des Öfteren gezeigt.

Klischees und stereotype Darstellungen sind dabei durchaus ein Thema bei den Karl-May-Festspielen. „Ich habe meinen Frieden damit gemacht“, sagt Tim Forss­man, der eine Diskussion um kulturelle Aneignung generell gut findet. Er spielt den Indianer Kita Homascha – und er nennt seine Rolle auch Indianer, denn „auch Indigene bezeichnen sich so“, so der Schauspieler. Zudem ist die Rede von „Bleichgesichtern“, „Rothäuten“ und eben dem „Halbblut“. Auch das Kriegsbeil wird ausgegraben. Einige Akteure sind sehr dunkel geschminkt, was die Kriegsbemalung darstellt und nicht in die Richtung von Blackface gehen soll. Dabei schminken sich weiße Menschen sehr dunkel, um etwa Schwarze zu parodieren.

Für Forssman ist das Stück nicht als historisches Szenario angelegt, bei dem jedes Detail stimmen müsse. „Ich sehe es als Märchen an.“ Das Ganze spiele in einer längst vergangenen Zeit, die es so wohl nie gegeben hat. Denn Mays Romane haben als Schauplatz eine Welt, die der Autor beim Schreiben noch nicht gesehen und sich schlicht ausgedacht hat. „Er schreibt vielmehr über Freundschaft“, findet Forssman. Und dieses Thema sei zeitlos.

Für Regisseur Marco Kühne ist es zudem wichtig, dass man keinen kompletten Roman auf die Bühne bringe. „Wir zeigen nicht die Bücher, das geht alleine wegen der zeitaufwendigen Landschaftsbeschreibungen nicht.“ Das Stück sei „frei nach Karl May“ und vom Autoren Jochen Bludau sprachlich angepasst worden. Insgesamt orientiere man sich an den legendären Verfilmungen aus den 1960er-­Jahren – inklusive Martin Böttchers Titelmusik. Nostalgische Gefühle sollen aufkommen und auf die nächste Generation überspringen. „Viele langjährige Besucher kommen heute mit ihren Enkeln“, weiß Kühne.

Angesichts der anhaltenden Debatte um Alltagsrassismus in Deutschland bekomme das Stück zudem einen aktuellen Bezug, findet der Regisseur. Wenn etwa General Bentler, ein unsympathischer Choleriker, von Indianern als „Gesindel“ spricht, rege das zum Nachdenken an. Dennoch dürften Sätze wie „Der beste Indianer ist ein toter Indianer“ manchen im Publikum sauer aufstoßen.

Foto / Quelle: Patrick Kleibold

Spielerisch? Von wegen!

Auf der Bühne kommt es derweil zum Kampf Ik Senanda, gespielt von Jonathan E. Weiske, gegen Kita Homascha. Das sieht spielerisch und leicht aus, Äxte und Stangen wirbeln nur so herum. Schnell wechseln die Darsteller ihre Positionen, stöhnen und schreien. Lange sieht es unentschieden aus, doch das Schicksal schlägt zu. Ik Senanda verliert. Ein Rückschlag, aber nicht das Ende. Auch das ist Karl May – es gibt immer einen Ausweg im Leben.

Für die Schauspieler ist das alles andere als leicht. „Man muss sich immer konzentrieren“, betont Tim ­Forss­man. Über der Bühne gibt es kein Dach. Regen kann für einen rutschigen Untergrund sorgen, vor allem an ­steilen Stellen. Bei Gewittern müsse die Vorstellung aus Sicherheitsgründen unterbrochen werden, sonst ziehe man das Programm durch. Auch die Arbeit mit den Pferden sei nicht immer einfach. Diese werden zwar von klein auf behutsam vorbereitet auf ihre Auftritte, dennoch sind Pferde Fluchttiere. Deshalb könne bei aller Vorsicht und Erfahrung immer etwas schiefgehen.

Plötzlich poltert es auf der Bühne. Die Tür vom Büro des Sheriffs springt auf. Heraus taumelt ein Mann, unbeholfen und schwerfällig. Er ist neu in Elspe, ein Typ, der sich schnell in die Herzen des Publikums spielen wird. Der Schauspieler und Buchautor Oliver Fleischer („Der Oma hätte das gefallen“) spielt Sheriff Barker – mit vollem Körpereinsatz. Denn der Ordnungshüter, der stets mit einer Whisky-­Flasche in der Hand unterwegs ist, stolpert, steht auf, fällt wieder. Und wenn es hart auf hart kommt, macht er auch schon mal ein Nickerchen.

Realistisch wirkende Actionszenen sind das Markenzeichen der Festspiele in Elspe (Foto links). Aufwendig sind auch die Szenen, in denen Pyrotechnik verwendet wird (Mitte), oder in denen Pferde auftreten.
Foto / Quelle: Patrick Kleibold

Winnetou macht sich rar

„Da ist kalter Kaffee drin“, sagt Fleischer grinsend und zeigt auf die halbleere Flasche. Man merkt ihm an, dass er sich in Elspe wohlfühlt. Der Schauspieler blickt zum Publikumsraum. Bis zu 4 000 Menschen haben hier Platz – ein beeindruckendes Bild, auch wenn die Stühle und Bänke bei der Probe noch leer sind. Fleischer und viele andere sind im ersten Teil deutlich häufiger zu sehen als die beiden Hauptfiguren. „Das steht in den Büchern aber auch so, dass Winnetou zunächst kaum auftaucht“, sagt der Schauspieler. Das ändere sich dann aber zum großen Finale hin.

Bis dahin explodiert so einiges, ein Zug fährt qualmend und zischend über die Bühne, eine Postkutsche brennt – langweilig wird es nie. Das will Elspe sein, ein großes Vergnügen für die ganze Familie in einer beeindruckenden natürlichen Kulisse.

Aus der Sicht des Christen

Auch das Christentum hat hier seinen Platz. Denn Karl May bezeichnete sich selbst als Christen und lässt seine Alter Egos Old Shatterhand, Kara Ben Nemsi oder schlicht Charly über Gott sprechen. Da ist etwa in einem Hörspiel zur Buchvorlage aus den 1970er-­Jahren die Rede von den „wahren Schätzen, die nur im Himmel zu finden sind“ oder dem „Glauben an Gott, der alle gleich macht“. Die Hautfarbe spielt dabei ausdrücklich keine Rolle. Solche Dialoge möchte Regisseur Marco Kühne nicht wegfallen lassen, wenn sie zum aktuellen Stück passen. „In Winnetou III gab es zum Beispiel eine Kapelle auf dem Hügel.“ Beim „Halbblut“ funktioniere das allerdings nicht.

Und auch die Maskenbildner zeigen, was sie können. Allerdings kann man diese Kriegsbemalung auch falsch verstehen.

Info

Die Karl-May-­Festspiele in Elspe, Zur Naturbühne 1 in Lennestadt-­Elspe, finden noch bis zum 7. September statt. Neben den Aufführungen gibt es ein Rahmenprogramm mit Musik- und Stuntshows sowie Gastronomie.Tickets gibt es ab 25,90 Euro (Erwachsene) und 20,90 Euro (Kinder). Alle Attraktionen sind barrierefrei zu erreichen.

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