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22.03.2024

Malen gegen die Dunkelheit

In einer aktuellen Sonderausstellung im Diözesanmuseum reagiert die Künstlerin Ursula Jüngst in ihren Bildern auf die Krisen dieser Zeit.

Foto / Quelle: Patrick Kleibold
Helena Mälck

Paderborn. Von der Decke hängen zwei Engel – Figuren, Bilder und Säulen verteilen sich über den Rest des Raumes. Auf den ersten Blick wirkt alles wie gewohnt im Hauptraum des Diö­zesanmuseums: gedeckte Farben, alte christliche Kunst. Erst die Treppe auf die zweite Ebene und der dahinter folgende Durchgang schaffen eine Per­spektive auf ein Bild, das heraus­sticht: Prägnante Pinselstriche in leuchtenden Farben prägen das Ölgemälde am Ende des Ganges. Besonders auffallend sind die Gelbtöne, welche das Bild regelrecht erstrahlen lassen und auf den Namen des Werkes hinweisen: Sonnengesang. „Es ist mir ein Anliegen, Licht gegen diese Dunkelheit zu setzen“, sagt Ursula Jüngst. Sie hat das Bild gemalt, das am Anfang der Sonderausstellung „Malen gegen die Dunkelheit“ steht.

Jüngsts Gemälde sind ihr Kommentar zu den Krisen dieser Zeit: „Ich versuche gegen die düsteren Erfahrungen anzumalen; gegen Ohnmacht, Verfall und Aggression die hoffnungsvolle Kraft des Lichts und des erbauenden Staunens zu setzen.“ Sie antwortet durch ihre Kunst auf die Fragen, die in ihr sind. Wenn Ursula Jüngst über den Prozess des Malens redet, fügt sie immer neue Assoziationen und mögliche Deutungen hinzu.

Prägnante Pinselstriche und leuchtende Farbpalette

Das Markenzeichen von Ursula Jüngst sind der prägnante Pinselstrich sowie ihre leuchtende Farbpalette. In ihren Bildern zur Corona-­Pandemie fingen ihre Pinselstriche dazu an zu fließen, wie Spuren oder Tränen. Man spürt: Jeder Pinselstrich trägt ihre Erfahrungen, Gefühle und Stimmen. Jüngst war es wichtig, dass die Farbe frei ist, als könnten sich die Farben in diesem Raum bewegen. „Wie vibrierendes Licht, wenn man im Sommer auf Landschaften schaut.“

Einige Bilder der Ausstellung stehen zusammen mit Kunstwerken des Museums. „Das ist ein bewusster Dialog zwischen Alt und Neu“, erklärt Museumsdirektor Holger Kempkens. Gestaltet wurde die Sonderausstellung von Kuratorin Elisabeth Maas und der Künstlerin selbst. Sie haben bewusst Werke aus dem Museum zur Passion neben Bilder der Künstlerin platziert. Ein Gemälde vom letzten Abendmahl, Kelch und Patene, Jesus am Kreuz, Maria ihren toten Sohn haltend – diese Werke stehen im Dialog mit den Bildern „Lonesonne“, „Enigma“ und „Dornenkrone“. Es geht um ein Geheimnis, um Rätsel, um Gefühle wie Einsamkeit und Verlassenheit. Die „Dornenkrone“ besteht dabei eigentlich aus bunten, lebensfrohen Farben, die jedoch von kräftigen roten und schwarzen Pinselstrichen überdeckt werden. Aus jeder Pinselsetzung trieft die Farbe hinunter. Das Rot könnte Wunden darstellen, das Schwarz die Wucht des Schmerzes steigern. „Als wäre man entsetzlich ausgeliefert“, sagt Ursula Jüngst.

Im weiteren Verlauf der Ausstellung trifft man auf Werke, die anders aussehen als die bisherigen Bilder von Jüngst. An einer Wand hängen vier Bilder in einem so satten Blau, dass es erst auf den zweiten Blick etwas durchscheinen lässt. Es sieht aus, als würden Geister auf den Bildern umherschweben. Dann werden Frauen sichtbar.

Der markante Pinselstrich und die leuchtende Farbpalette sind das Markenzeichen von Ursula Jüngst. Mit Fließspuren steigert sie die Empfindungstiefe ihrer Malerei.
Foto / Quelle: Helena Mälck

Malen mit schwer kranken Kindern

Ursula Jüngst leitete von 2000 bis 2013 das Modellprojekt „Malen mit schwer kranken Kindern und Jugendlichen“ am Klinikum Nürnberg. Sie glaubt, dass Kunst und Farbe in schwierigen Situationen helfen können. „Besonders Menschen, die nicht mehr sprechen können, können sich so ausdrücken.“ Einige der Kinder und Jugendlichen, mit denen sie gearbeitet hat, sind gestorben. „Ist da vielleicht noch etwas da?“, fragte sie sich und beschreibt, wie klare Gesichter immer mehr in Vergessenheit geraten. Ihre Lasur auf Aluminium spielt mit dem „anwesend und abwesend“, den „verschwindenden Erinnerungen“. Auch hier begegnet dem Betrachter wieder das Geheimnis.

In ihrem Werk „­Noli me ­tangere VI“ teilt ein langer schwarzer Pinselstrich das farbige Bild in der Mitte. „Was passiert, wenn ein Schmerz so heftig in mich fährt, dass er mich zerreißt?“, fragt die Malerin: Wie geht eine Gesellschaft mit Narben um?

Auf der Suche nach dem Menschsein

Den Schmerz greift Jüngst auch in ihrer Bilderreihe Mariupol auf. „Was kann eine Gesellschaft tun, wenn so viel Schmerz da ist?“ Die Künstlerin deutet auf ein Bild voller roter triefender Pinselstriche, die wie Verletzungen wirken. „Manche Fließlinien laufen durch, andere werden durch eine zarte Berührung gestoppt.“ Sie zeigt auf rosafarbene Striche: „Bereits im künstlerischen Tun stoße ich auf gesellschaftliche Fragen, mache mir Konflikte sichtbar und versuche Lösungen mit meinen malerischen Möglichkeiten zu finden.“ Es ist zu spüren: Sie ist auf der Suche nach dem Menschsein.

Im folgenden Bild dominieren schwarze Pinselstriche, die triefend hinunterlaufen und es aschgrau erscheinen lassen – Assoziationen wie leblos oder verbrannt blitzen auf. Ab und zu ist ein schwaches Gelb im Hintergrund zu sehen. Doch so richtig gelb wird es erst im dritten Bild. Im Kontrast zu den vorherigen eher düsteren Bildern leuchtet das Gemälde in hellen gelben Pinselstrichen. Darunter mischen sich hellgrüne, hellblaue und rosafarbene Töne. Das Bild drückt Freude und Lebensenergie aus. „Meine Fließlinien sind Formen, um neue Begegnungen zu ergründen“, sagt Jüngst, „­Malen birgt in sich die Kraft der Erneuerung.“

Info

Die Sonderausstellung  „Malen gegen die Dunkelheit“ ist vom 9. März bis 2. Juni 2024 im Diözesanmuseum in Paderborn zu sehen. 

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