Mit Geduld und Disziplin zum Ziel
Rund 6 500 Menschen warteten in Deutschland Anfang dieses Jahres auf eine Spenderniere. Karl-Heinz Ide weiß, was das bedeutet.
Vorsichtig nimmt Karl-Heinz Ide das Handy aus der Hülle: ein „Nokia“ mit richtigen Tasten und einem winzig kleinen Bildschirm, nach heutigen Maßstäben ein „uraltes“ Gerät. Doch für Ide war es eine Art Lebensversicherung: „Mit diesem Telefon war ich ständig erreichbar und musste mir keine Sorgen machen, dass ich kein Netz hatte!“ Immer und überall erreichbar zu sein hatte für den 68-Jährigen aus Schweckhausen, einem Ortsteil von Willebadessen, über Jahre oberste Priorität: um Gottes willen nicht den Anruf verpassen, von dem er hoffte, dass er ihm das Leben zurückbringen würde, wie er es bis 2011 geführt hatte.
„Wir waren im Urlaub in Konstanz, als mein Mann fürchterliche Schmerzen bekam“, erinnert sich Waltraud Ide an die Ereignisse vor 13 Jahren. Eine Notoperation am Darm brachte zwar Linderung, die folgende Diagnose war allerdings ernüchternd, wie Karl-Heinz Ide feststellt: „Meine Blutwerte waren im Keller, die Nieren arbeiteten so gut wir gar nicht mehr.“
Erste Symptome schon 1995
Ganz überraschend sei das nicht gekommen, erzählt er weiter: „Bei einer Untersuchung hatte man schon 1995 Wasserablagerungen im Körper festgestellt, und es hatte sich herausgestellt, dass meine Nieren geschädigt waren.“ Ein Schock, allerdings gab es auch eine gute Nachricht in diesem Zusammenhang: „Die Ärzte meinten, dass man das mit Medikamenten in den Griff bekäme.“ Es klappte. Der Kfz-Meister konnte weiter ganz normal arbeiten gehen.
Nun – 2011 – die Ernüchterung: „Ich musste zur Dialyse.“ Der Rhythmus der Blutwäsche bestimmte von nun an das Leben von Karl-Heinz Ide: Dreimal in der Woche übernahmen medizinische Geräte im Paderborner St.-Vincenz-Hospital die Aufgaben, die die Nieren nicht mehr leisten konnten: „In der ersten Zeit waren es jedesmal vier Stunden, zuletzt fünf.“
„Ich hatte keine Wahl!“ Karl-Heinz Ide ist Realist und kein Mensch, der sich selbst oder anderen etwas vormacht. „Es nützt ja nichts!“ Dieser Satz von ihm fällt beim Gespräch am Esstisch heute Vormittag öfter. Gleichzeitig war für Ide und seine Ehefrau schnell klar, dass die Dialyse nur eine Zwischenstation sein sollte: „Unser Wunsch war ein Spenderorgan.“ Dieses Ziel gingen beide geradezu strategisch an und ordneten ihm ihr ganzes Leben regelrecht unter. Geduld und Disziplin gepaart mit Vertrauen in die Mediziner sollten zum Erfolg führen. „Schließlich“, so Ide, „kommt man nicht so einfach auf die Transplantationsliste!“ Und dann fügt er hinzu: „Gut, dass ich nicht wusste, dass es elf Jahre dauern würde!“
Zuerst gab es eine Reihe von Untersuchungen, um die Erfolgsaussichten abzuklopfen. Die Ärzte in der Klinik in Hannoversch Münden gaben schließlich ihr Einverständnis, einer Transplantation stand aus medizinischer Sicht nichts entgegen. Damit begann eine Zeit, die das Ehepaar heute mit „Warten und Hoffen“ beschreibt. Um den Körper bei der Blutwäsche nicht zu sehr zu belasten, musste sich der Schweckhauser gerade bei der Flüssigkeitsaufnahme zurückhalten: „Mehr als ein Liter am Tag sollte es nicht sein!“ Was das konkret bedeutete, bringt Karl-Heinz Ide lachend auf diese kurze Formel: „Beim Eintopf zum Beispiel gab es für mich nur das Dicke!“
Seine Bereitschaft, von sich aus alles zu tun, um „fit“ für die Transplantation zu sein, war das eine. Der 68-Jährige musste aber auch lernen, mit Rückschlägen umzugehen: 2017 mussten beide Nieren entfernt werden. Der Eingriff verlief ohne Komplikationen, hatte allerdings eine gravierende Folge: „Für die zwei Jahre danach war ich aus medizinischen Gründen für eine Transplantation gesperrt.“
Wenn Karl-Heinz und Waltraud Ide erzählen, klingt vieles im Rückblick „halb so schlimm“. Doch in manchen Sätzen sind Angst und Sorgen deutlich zu spüren. Etwa wenn Waltraud Ide sagt: „Ich war immer froh, wenn ich von der Arbeit zurückkam und mein Mann war auch wieder zu Hause.“ Ide selbst erinnert sich an eine Situation, in der ein Mitpatient nach der Dialyse „einfach nicht mehr aufwachte“: Er war während der Blutwäsche verstorben. Denn – auch da ist der 68-Jährige ganz realistisch: „Das ist schon eine immense Belastung für den Körper.“
Warten auf die erlösende Nachricht
Der Schweckhauser berichtet von einer Mitpatientin, die während einer Reise die Nachricht bekam, dass eine Niere für sie da sei, weil man den Patienten auf Platz 1 der Warteliste nicht erreichen könne und sie nun nachrücke: „Sie ist sofort losgefahren und hat dann unterwegs die Nachricht bekommen, sie könne wieder umkehren, weil man den anderen Patienten doch habe benachrichtigen können.“ Die Enttäuschung sei natürlich riesig gewesen: „Gut, dass man nicht weiß, welchen Platz auf der Liste man hat!“
Die Wende kam schließlich vor fast genau zwei Jahren. Am 10. Dezember klingelte morgens um sieben Uhr das Telefon. „Wir haben eine Niere für Sie!“ Die Nachricht, auf die Karl-Heinz und Waltraud Ide so lange gewartet hatten, war endlich da! Das Organ sollte um 15 Uhr entnommen werden, die Transplantation stand für 18 Uhr auf dem Zeitplan. Auch in diesem Zusammenhang hat Ide nur lobende Worte für die Ärzte: „Man sagte mir, wenn ich mittags da sei, sei es früh genug. Schon am Telefon gab man mir das Gefühl, dass alles seinen geregelten Lauf nehmen werde.“
So war es auch: „Alles ist gut gelaufen“, fasst der Schweckhauser in gewohnter Weise kurz und knapp die folgenden Tage und Wochen zusammen. Waltraud Ide wird emotionaler, wenn sie erzählt, wie sie ihren Mann zum Krankenhaus nach Hannoversch Münden brachte: „Es war ja Corona, ich konnte also nicht mit hineingehen und musste mich quasi auf dem Parkplatz von meinem Mann verabschieden.“
Täglich zwei Liter Wasser trinken
„Das haben wir schon gut hingekriegt“, sind sich beide einig, wenn sie auf die vergangenen Jahre schauen und sehen, was sie gemeinsam gemeistert haben. Über 38 Jahre sind Waltraud und Karl-Heinz Ide verheiratet: „Wir sind ein gutes Team!“
Seit der Organspende kann der 68-Jährige wieder ein normales Leben führen. Jedenfalls wenn er sich an bestimmte Regeln hält. Beim Trinken muss Ide weiterhin aufpassen – allerdings andersherum als zu Dialyse-Zeiten: Während er damals nur wenig Flüssigkeit zu sich nehmen durfte, soll er heute täglich zwei Liter Wasser trinken. Auch das geht er ganz pragmatisch an: Die beiden Literflaschen markiert er mit einem Filzstift, die Ziffern 1 und 2 stehen auf dem Deckel. „Dann weiß ich immer sofort, wie ich dran bin!
Es piept, der Timer auf dem Tisch meldet sich: Karl-Heinz Ide steht auf und geht zur Anrichte. Dort liegen seine Medikamente. Es ist Zeit für die nächste Tablette. „Ohne geht es nicht!“ Regelmäßig finden Untersuchungen statt, um zu prüfen, ob alle Werte in Ordnung sind. „Bisher war alles top!“ Und abgesehen davon sei das „doch alles nichts“ verglichen mit dem Leben, das sie über elf Jahre geführt haben.
Mehr als ein Jahrzehnt, in dem sich beide mit der Krankheit arrangiert hatten und nach strengen Regeln lebten. Dazu gehörte auch der Verzicht auf das Reisen: „Wir wollten wirklich kein Risiko eingehen.“ So können jetzt auch wieder Urlaubspläne gemacht werden. Ein Ziel falle allerdings „auf jeden Fall raus“: „Vom Bodensee sind wir beide geheilt, da fahren wir nicht mehr hin!“ Ach ja: Das alte Nokia-Handy ist heute nur noch ein Erinnerungsstück. Denn ein Smartphone hat Karl-Heinz Ide jetzt auch.