5 Min.
17.08.2024
Beatrix Martell aus Olpe wirbt für einen ­offenen Umgang mit der ­Erkrankung: „Schweigen macht alles nur schlimmer!“
Foto / Quelle: Patrick Kleibold

„Niemand schafft diesen Weg allein!“

Beatrix Martell aus Olpe hat ihren an Alzheimer erkrankten Partner gepflegt. Im Interview spricht sie über eine Zeit, die sie oft überfordert hat, und darüber, wie sie lernte, mit der Diagnose umzugehen.

Olpe
Interview: Patrick Kleibold und Andreas Wiedenhaus

Frau Martell, was haben Sie gefühlt, als Ihnen zum ersten Mal der Gedanke kam, Ihr Partner könnte an Demenz leiden?

Ich habe diesen Gedanken verdrängt. Sofort, als er mir zum ersten Mal kam, habe ich ihn weggeschoben. Obwohl ich eigentlich wusste, was passierte, denn ich hatte vorher mit einer Gruppe von Menschen, die an Demenz erkrankt waren, gearbeitet. Ich war also über die Krankheit schon informiert. Die Erfahrung habe ich auch mit anderen Angehörigen gemacht: Man sucht nach anderen Erklärungen, um sich nicht eingestehen zu müssen, dass es zum Beispiel Alzheimer sein könnte. Bei mir war es genauso: Ich habe gesagt, mein Partner hat das nicht.

Wie lange hat das funktioniert?

Ich kann mich an ein Erlebnis erinnern, in dessen Folge mir dann doch Zweifel kamen: Es war nach einem Seminar beim gemeinsamen Abendessen. Ein guter Freund von uns war auch dabei. So gegen zehn Uhr meinte mein Partner dann, es sei Zeit schlafen zu gehen und er meinte, er ginge jetzt in sein Hotelzimmer. Dabei waren wir nur in einem Nachbarort und wollten wieder nach Hause fahren. Er hatte offensichtlich völlig die Orientierung verloren. Auch das wollte ich in diesem Moment aber nicht wahrhaben. Zu diesem Zeitpunkt hätten wir einen Neurologen aufsuchen sollen.

Wie ist die Krankheit schließlich festgestellt worden?

Viel später durch eine entsprechende Untersuchung. Ob eine frühere Diagnose etwas geändert hätte? Ich weiß es nicht! Fakt ist, dass schon seine Mutter an Alzheimer gelitten hat. Wie blicken Sie heute zurück, gab es trotzdem noch schöne Momente?Ich kann mich an einen Termin im Fe­bruar 2020 im Olper Kinderhospiz erinnern, bei dem er trotz seiner fortgeschrittenen Erkrankung regelrecht auflebte. Bei der dortigen Veranstaltung wurde er von vielen erkannt, die Menschen sprachen mit ihm, und er bekam das Gefühl, wieder jemand zu sein. Er hatte vorher viel für das Kinderhospiz getan, weil er einen Sohn früh verloren hatte. Überhaupt war er als Geschäftsmann in der ganzen Stadt bekannt und angesehen. Aber auf der anderen Seite gab es auch Erlebnisse, wo Menschen, die ihn vorher gut gekannt hatten und mit denen er viel Kontakt hatte, ihn komplett ignoriert haben, weil er krank war. Leute haben mich begrüßt und sind an ihm vorbeigegangen, obwohl er direkt neben mir stand. Das tat ihm in der Seele weh. „Ich bin nur ein Niemand“, hat er dann manchmal gesagt.

Wie sind Sie damit umgegangen?

Manchmal habe ich versucht, das zu klären; doch meistens ohne Erfolg. Dann habe ich es gelassen, denn ich renne nur ungern mit dem Kopf gegen die Wand. Heute denke ich, dass viele einfach total unsicher waren und nicht wussten, wie sie sich verhalten sollen. Man sollte als Angehöriger offen damit umgehen, Schweigen macht alles nur schlimmer!

Haben Sie mit ihm über seine Krankheit gesprochen?

Anfangs schon. Doch das wurde zunehmend schwierig. Er hatte eine depressive Phase gehabt, bevor wir uns kennenlernten: Seine Frau war verstorben, es hatte weitere Schicksalsschläge gegeben. Als wir uns kennenlernten, blühte er auf, war glücklich. Und dann kam die Krankheit …

Wie ist sie diagnostiziert worden?

Schließlich sind wir zu einem Neurologen gegangen, um eine entsprechende Untersuchung machen zu lassen. Am Tag zuvor war es ihm relativ gut gegangen, doch bei diesem Termin hatte er alles vergessen. Das Einzige, was noch klappte, war Geldzählen, weil er das als Geschäftsinhaber über Jahrzehnte gemacht hatte. Die Diagnose war dann wirklich ein Schlag vor den Kopf für mich, ich bin wie betäubt aus der Praxis gekommen.

Wo gab es Hilfe?

Eine frühere Kollegin gab mir den Tipp, mich an eine Alzheimer-­Beratungsstelle zu wenden. Dabei bin ich in Berlin gelandet. Es war zu Corona-­Zeiten, als ein persönlicher Kontakt sowieso nicht möglich war. Dort hat man mir sehr geholfen. Unter anderem konnte ich dort mit einem Psychologen, einem Sozialarbeiter und einer Krankenschwester sprechen. Es gab dramatische Situationen, zum Beispiel nach Stürzen, in denen man mir genau erklärt hat, was zu tun war. Ich war dann nicht mehr allein in diesen schwierigen Momenten. Und ich bekam Hinweise, wie ich zum Beispiel damit umgehen konnte, dass er mir 30-­mal hintereinander die gleiche Frage stellte, etwa, wenn er für die Tagespflege für Demenzkranke abgeholt wurde: „Wo gehe ich heute hin?“ Oder wenn er bei Arztbesuchen immer wieder betonte, dass er absolut gesund sei. Die Momente, in denen er aggressiv wurde, waren Gott sei Dank selten. Schwierig war es in der Phase, als er selbst noch merkte, dass etwas nicht stimmte. Da wurde er manchmal böse.

Kann man lernen, damit umzugehen?

Wenn ich merkte, dass es zum Beispiel in der Öffentlichkeit schwierig wurde, habe ich mir Hilfe geholt. Ich hatte eine kleine Karte, auf der stand, dass mein Partner Demenz hatte. Ich kann mich an eine Situation in einem Café erinnern, als es ihm plötzlich schlecht ging. Mit der Karte habe ich zwei Männer am Nebentisch um Hilfe gebeten. Ihm habe ich aber erklärt, dass mir nicht gut sei und wir nach Hause müssten. Auf die Art konnte ich solche Momente entschärfen.

Wie lange war Ihr Partner krank?

Von der Diagnose bis zu seinem Tod war es nur ein Dreivierteljahr. Aber krank war er ja bereits vorher. Wann er es selbst mitbekommen oder vielleicht auch nur geahnt hat, weiß ich nicht. Für mich war es wichtig, die Krankheit zu akzeptieren. Trotzdem habe ich mich rückblickend selbst völlig überfordert. Diese Krankheit entwickelt sich ja schleichend, es ist ein langsamer Prozess, bei dem man immer mehr Aufgaben übernimmt.

Hat sich das Wesen Ihres Partners sehr verändert?

Ja, ich war allerdings durch meinen Vater mit solchen Wesensveränderungen vertraut; er ist mit einer Hirnverletzung aus dem Krieg zurückgekehrt. Von daher wusste ich auch, welche Konsequenzen so etwas für die Angehörigen haben kann. Trotzdem war es ein extrem schmerzlicher Weg für mich, weil mein Partner irgendwann nicht mehr der Mann war, den ich kannte. Heute versuche ich, mich nur an die glücklichen Momente zu erinnern.

Wie sind die Verwandten und Freunde Ihres Partners mit der Krankheit umgegangen?

Ich fasse es so zusammen: Man wird einsam! Und in der Familie war man froh, dass ich die Aufgabe übernommen hatte, ihn zu pflegen. Ich war halt immer da.

Was hat Ihnen nach dem Tod geholfen?

Zum Beispiel eine professionelle Trauerbegleitung. Auch mein Glaube hat mir geholfen.

Gibt es rückblickend etwas, was Sie bereuen oder heute anders machen würden?

Entscheidend ist es, sich so früh wie möglich Hilfe zu holen – und zwar für den Erkrankten und sich selbst. Man will es nicht wahrhaben, aber je später man Fachleute zurate zieht, desto schwieriger und schmerzlicher wird es. Ehrlich sein – zu sich selbst und zu anderen – ist sehr wichtig. Der Weg kann lang und schmerzlich sein, und niemand, der jemand pflegt, der an Demenz erkrankt ist, ist so stark, dass er ihn allein schaffen kann.

Hier gibt es Hilfe

Auf der Internetseite der Deutschen Alzheimer Gesellschaft gibt es umfangreiche Informationen rund um das Thema Demenz und Hinweise, wo Betroffene Unterstützung bekommen (www.deutsche-­alzheimer.de/angebote-zur-­unterstuetzung/­entlastungsangebote). Ein telefonischer Kontakt ist unter der Nummer 0 30/2 59 37 95 14 möglich. Auch auf der Internetseite der Caritas (www.­caritas.de) gibt es umfangreiche Informationen. Beim Caritasverband für das Erzbistum Paderborn gibt es eine Fachstelle Demenz, an die man sich ebenfalls wenden kann (www.caritas-­pb.de/pflege-gesundheit-­beratung/beratung-­unterstuetzung/fachstelle-­demenz/).

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