6 Min.
25.12.2024
Ist das Leben nicht schön? (It's A Wonderful Life, USA 1946, Regie: Frank Capra) Szene mit Lionel Barrymore (sitzend), James Stewart (re.) / Büro, Schreibtisch imposant, Mann in Rollstuhl, mit Finger zeigen, deuten, Chef Vorgesetztem die Meinung sagen, Vorgesetzter, Raffgardine, geraffter Store, Gardine, Banker, Geizhals / RTG13
Foto / Quelle: Picture Alliance

„Ohne Happy End geht es nicht“

Weihnachten spielt auch im Film eine große Rolle. Filmexperte Dr. Markus Leniger von der Katholischen Akademie Schwerte sprach mit dem Dom über ein kaum zu überschauendes Genre.

Interview: Andreas Wiedenhaus

Was zeichnet einen Weihnachtsfilm aus?

Weihnachtsfilme sind ein kaum zu überschauendes Feld. Die einfachste Definition lautet: Im Film kommt Weihnachten vor; allerdings nicht im Sinne des christlichen Festes der Geburt Christi, sondern als Ereignis, als Brauch oder Ritus. Die weihnachtliche Zeit ist das Entscheidende, die dekorierten Bäume und Häuser, das gemeinsame Feiern mit Familie und Freunden. Wenn das ein starkes Motiv ist, kann man von einem Weihnachtsfilm sprechen. Filme, in denen es wirklich um die Geburt Christi geht, sind eher selten.

Aber es gibt auch Filme, die wir mit Weihnachten in Zusammenhang bringen, ohne dass das Fest darin eine Rolle spielt.

Das sind Filme, die für uns als Zuschauer mit Weihnachten verbunden sind, weil wir sie uns genau dann anschauen und sie Teil unseres Medienkonsums sind. Der bekannteste in Deutschland ist sicherlich „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“. Dazu hat ihn einerseits der Ausstrahlungstermin gemacht, wobei der durchaus ein Zufall sein kann: Er entstand 1973 als Koproduktion der ČSSR und der DDR. In der DDR war die Kinopremiere am 8. März 1974, in der Bundesrepublik am 19. Dezember 1974. Gut ein Jahr später, am 26. Dezember 1975, wurde er erstmals im westdeutschen Fernsehen gezeigt. Seitdem läuft er in den öffentlich-­rechtlichen Sendern regelmäßig in der Weihnachtszeit.

Bringt er noch mehr mit als nur diesen Termin?

Zum einen spielt die Handlung im Winter, der bei uns auch immer mit Weihnachten in Verbindung gebracht wird. Neben dem vielen Schnee kommt dazu, dass es sich um eine Märchenverfilmung handelt. Das hat zwar mit Weihnachten direkt nichts zu tun, aber Märchen entführen uns zurück in unsere Kindheit. Da ist dann der Weg zu Weihnachten als Familienfest nicht weit. Im Laufe der Jahre ist der Film eine Art kollektive Märchenerzählung geworden. Er wurde über 50 Jahre von vielen Generationen gesehen und löst bei Zuschauern vieler Altersgruppen generationenübergreifend etwas aus. Man sitzt gemeinsam vor dem Fernseher und erinnert sich an seine eigenen weihnachtlichen Kindheitserfahrungen. Denn Nostalgie spielt beim Weihnachtsfest eine große Rolle. Wir erinnern uns, wie Weihnachten – durchaus idealisiert – in der eigenen Kindheit war. Da ist dieser Film aufgrund der genannten Faktoren für viele zu einem unverzichtbaren Teil ihres persönlichen Weihnachtsfestes geworden. Es ist also neben der Konzeption auch die Rezeption, die einen Film zum Weihnachtsfilm macht. Sie haben es eben schon gesagt: Die Weihnachtsgeschichte im christlichen Sinn wird nicht direkt zum Thema gemacht.

Dr. Markus Leniger ist Studienleiter für Geschichte, Politik und Film an der Katholischen Akademie Schwerte.
Foto / Quelle: Katholische Akademie Schwerte

Kommt sie trotzdem vor?

Ich denke schon, denn die Weihnachtsbotschaft, wie wir sie im Evangelium hören, spielt auch in die Filme hinein, die mit dem christlichen Ursprung des Festes nichts zu tun haben. Wenn man sich anschaut, worum sich klassische Weihnachtsfilme drehen, wird man feststellen, dass die Grundidee des Weihnachtsfestes doch eine Rolle spielt: Es geht häufig darum – etwa in den klassischen Weihnachtsgeschichten wie „A Christmas Carol“ von Charles Dickens –, dass Menschen menschlich werden in der emotionalen Atmosphäre des Weihnachtsfestes. Menschen überwinden ihre Hartherzigkeit, sie verzichten auf Größe und beugen sich zu anderen hinab. Sie entdecken in sich die Nächstenliebe und helfen anderen – häufig sozial Schwächeren. Die Idee der Inkarnation, dass Gott Mensch wird und sich ganz klein, menschlich und anrührbar macht, findet sich im übertragenen Sinne wieder: Menschen lassen sich berühren. Wenn der Geizhals bei Dickens zur Umkehr bewogen wird, dann hat das auch mit christlicher Nächstenliebe zu tun.

Dickens Weihnachtsgeschichte ist als Verfilmung ein Klassiker, „Ist das Leben nicht schön?“ ein anderer. Was braucht es, damit Filme diesen Status bekommen?

„Ist das Leben nicht schön?“ von Frank Capra aus dem Jahr 1946 ist sicherlich der bedeutendste Film, in dem Weihnachten Thema ist und ein echter Klassiker. Das hat mehrere Gründe: zum einen ganz einfach, weil er immer wieder zu Weihnachten ausgestrahlt wird. Hinzu kommt, dass er in einer ganz besonderen Zeit entstanden ist: Damals war viel von der Gemeinschaft, die die USA während des Krieges ausgezeichnet hatte, wieder verloren gegangen. Oder zumindest hatte man das Gefühl, dass dieser Geist einem zunehmenden Egoismus gewichen war. In dieser Situation erzählte der Film die Geschichte eines Mannes, der sein ganzes Leben mit seiner Bausparkasse in den Dienst der Gemeinschaft gestellt hatte; der für andere auf alles verzichtet hatte – für seinen Vater, seinen Bruder, seine Familie, seine Mitmenschen. Dieser Mensch gerät in eine existenzielle Krise und stellt sich die Frage, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn er nie geboren worden wäre. Und ein Engel, der sich seine Flügel noch verdienen muss, bekommt die Aufgabe, ihm zu zeigen, wie das Leben verlaufen wäre, wenn es ihn nicht gegeben hätte. Diese Erfahrung wird für ihn zu einem wahren Horrortrip. Niemand kennt ihn in der Stadt, die sich komplett dem Kommerz untergeordnet hat und in der die Kräfte des Bösen triumphiert haben. Schließlich erkennt er, dass er sein altes Leben zurückhaben möchte. Das geht in Erfüllung, und am Weihnachtsabend kommt er mit den Menschen seiner Stadt unter dem Weihnachtsbaum in seinem Haus zusammen: Dort lösen sich seine finanziellen Probleme durch einen großen Akt der Solidarität. Alle spenden, um den Fehlbetrag in der Bilanz der Bausparkasse auszugleichen.

Was ergreift uns gerade zu Weihnachten daran so?

In diesem Film wird uns das Ideal einer weihnachtlichen Versöhnung präsentiert: Pro­bleme verschwinden durch Solidarität und zum Schluss wird ein Weihnachtslied gesungen. Alle Sorgen lösen sich in einer Vision von Gemeinschaft, die jegliche Not überwindet, auf. Am Ende steht die Erkenntnis, dass das Leben schön ist, weil es möglich ist, etwas Gutes zu tun. Hinzu kommt, dass der Gute nicht immer der Dumme ist, dass er in diesem Fall nicht verliert, sondern gewinnt. Der Film ist fast 80 Jahre alt und funktioniert immer noch, wie kommt das?Er bedient eine tiefe Sehnsucht, die wohl jeden Menschen anspricht: die Hoffnung, dass das Gute letztlich triumphiert – auch wenn wir die Erfahrung gemacht haben, dass oft das Gegenteil der Fall ist. Diese Botschaft hat damals in den USA funktioniert und sie ist angesichts der derzeitigen Weltlage immer noch aktuell. Das ist etwas, was auch das Weihnachtsfest – jenseits einer christlichen Bindung – immer noch so erfolgreich macht: der Glaube daran, dass das Kleine und Schwache am Ende nicht untergebuttert wird, sondern dass in ihm eine Kraft steckt, die jeden Einzelnen und die gesamte Gesellschaft besser machen kann.

Brauchen Weihnachtsfilme so ein Happy End, um zu funktionieren?

Mir fällt kein klassischer Weihnachtsfilm ein, in dem es kein Happy End gibt. In der Weihnachtszeit, in der sich alle genau danach sehnen, dass alles gut wird, würde ein anderes Ende nicht funktionieren. Das gilt selbst für Filme wie „Stirb langsam“: Er spielt im weihnachtlichen Umfeld, dreht sich aber eigentlich nur um Gewalt und Action. Am Ende stirbt der Held aber nicht. Er ist zwar verletzt und lädiert, hat aber über das Böse triumphiert.

Welcher Film gehört für Sie persönlich zu Weihnachten einfach dazu? Gibt es darüber hinaus so etwas wie einen „Geheimtipp“?

Auf jeden Fall „Ist das Leben nicht schön?“! Ein Film, in dem zu Weihnachten auch die Geburt Christi thematisiert wird, ist die wenig beachtete italienische Komödie „Once Upon A Time In Bethlehem“. Er ist eine Zeitreise, in der ein Priester und ein Dieb aus dem Italien der Jetztzeit durch einen Zufall in die Zeit der Geburt Christi versetzt werden. Der Priester war gerade dabei, das Krippenspiel vorzubereiten, als der Dieb die Christusfigur stahl. Beide kommen also in die Zeit der römischen Besatzung Judäas. Der Film ist eine schöne Verknüpfung der aktuellen Lage mit dem großen Thema Migration und der Situation im Heiligen Land vor gut 2 000 Jahren. Priester und Dieb erkennen die Bedeutung des Weihnachtsfestes durch diese Zeitreise und ihre Umstände ganz neu.

Das heißt, auch in diesem Genre, von dem man manchmal meint, alle Geschichten seien erzählt, gibt es immer noch etwas zu entdecken?

Auf jeden Fall, gerade für theologisch Inte­ressierte! Denn die grundsätzliche Thematik findet sich auch in Filmen außerhalb dieses Genres wieder; beispielsweise in dem Film „Von Menschen und Göttern“, der die Geschichte der ermordeten Mönche in einem algerischen Kloster im Jahr 1996 erzählt. Darin spielt auch die Vorbereitung auf das Weihnachtsfest eine Rolle und die Mönche stellen sich die Frage, was die Tatsache, dass Gott Mensch geworden ist, für uns bedeutet. Sie beantworten das für sich, indem sie trotz der Gefahr dort bleiben. So wird der Film auch zu einem Passionsfilm.

Zur Person

Dr. Markus Leniger ist Studienleiter für Geschichte, Politik und Film an der Katholischen Akademie Schwerte. Er ist außerdem Vorsitzender der Katholischen Filmkommission für Deutschland und Mitglied der Internationalen Forschungsgruppe „Film und Theologie“.ox Text

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