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22.10.2024
Der Einband dieses Evangeliars wird getrennt vom Buchblock präsentiert. Die heute fragilen Zierseiten müssen in der Ausstellung regelmäßig umgeblättert werden, um nicht zu lange dem Licht ausgesetzt zu sein.
Foto / Quelle: Isabella Maria Struck / Erzbistum Paderborn

Prachtvolle Handschrift aus der Prager Burg in Paderborn eingetroffen

Jahrhundertelange Verbindungen zwischen Corvey und Prag: Ein kostbares und bedeutendes „Evangeliar des Prager Doms“ ist jetzt Teil der Sonderausstellung „Corvey und das Erbe der Antike“ im Diözesanmuseum Paderborn.

Paderborn

Die im September eröffnete Sonderausstellung „Corvey und das Erbe der Antike. Kaiser, Klöster und Kulturtransfer im Mittelalter“ im Diözesanmuseum Paderborn ist jetzt um eine wertvolle Leihgabe reicher. Vom Prager Veitsdom aus wurde die bis heute nur selten ausgeliehene Handschrift mit den vier Evangelien am vergangenen Freitag, 17.10.2024, auf den Weg nach Paderborn gegeben. Gemeinsam mit Pater Monsignore Vladimír Kelnar und Michala Vraná aus Prag konnten der Paderborner Dompropst Joachim Göbel und der Direktor des Diözesanmuseums, Dr. Holger Kempkens, die wertvolle Handschrift aus dem Prager Veitsdom heute in ihre Ausstellungsvitrine einlegen. Bis zum Ausstellungsende am 25. Januar 2025 komplettiert das Evangeliar nun die Abteilung zur historischen „Corveyer Bibilothek“.

Von Corvey nach Prag: Geschenke und ihre Folgen

Das Evangeliar war im 10. Jahrhundert Teil der Bibliothek des Kloster Corveys. Ob es dort auch entstand, ist bis heute unklar. Die kostbare Handschrift wurde in jedem Falle zum Vorbild für die in Corvey aufblühende Buchmalerei-Schule. Das Evangeliar kam dann wahrscheinlich bereits im Jahr 973 als Geschenk ins neu gegründete Bistum in Prag, als der aus dem westfälischen Gebiet der Saxones stammende Mönch Detmar dort Bischof wurde. Die Handschrift wurde Teil des Schatzes im Prager Dom. Im 14. Jahrhundert wurde sie von Karl IV. zum Krönungsevangeliar für die böhmischen Könige bestimmt.
Prag und Corvey sind nicht nur durch das Evangeliar verbunden: Der berühmte Prager Veitsdom erhielt sein Patrozinium zudem von einem Corveyer Heiligen, dem heiligen Vitus. Dessen Gebeine gelangten 836 von St. Denis, nahe Paris, nach Corvey. 1355 kam das Haupt des heiligen Vitus nach Prag und gab als bedeutendstes Reliquiar dem Dom auf der Prager Burg seinen Namen. Heute ist der Prager Dom als Teil des Historischen Zentrum Prags, wie das Westwerk in Corvey, UNESCO Welterbe.

Gemeinsam mit Pater Monsignore Vladimír Kelnar und Michala Vraná aus Prag machte sich Restauratorin Monika Voss-Raker zunächst ein Bild vom Einband des Evangeliars.
Foto / Quelle: Isabella Maria Struck / Erzbistum Paderborn

Das Prager Evangeliar – Zusammenarbeit mit europäischer Dimension

Schon allein der Einband dieses Evangeliars – der in der Ausstellung getrennt vom Buchblock präsentiert werden kann – ist außergewöhnlich: Ursprünglich bestand er aus zwei mit byzantinischer Seide bespannten Eichenbrettern. Die Elfenbeintafel, die den Deckel mittig schmückt, war einst Teil eines antiken Konsulardiptychons aus dem 5. Jahrhundert. Die Darstellung des Konsuls wurde im Mittelalter in eine des Apostels Petrus umgewandelt. Unklar ist weiterhin, ob das Elfenbein Teil des ursprünglichen Buchschmucks war oder in „Nach-Corveyer-Zeit“ dazukam. Die vergoldeten, mit Figuren von tschechischen (Schutz-)Heiligen gravierten Kupferplatten auf dem Vorderdeckel entstanden in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in Prag. Der Kodex selbst enthält die vier Evangelien. Über den Evangelientext hinaus ist der Kodex mit 15 Kanontafeln und prachtvollen doppelten Zierseiten geschmückt. Letztere zeigen jeweils einen schreibenden Evangelisten am Beginn „seines“ Evangeliums sowie die Berufung des jeweiligen Evangelisten durch Jesus. Die Buchmaler, die diese Zierseiten schufen, wurden in Reims ausgebildet, ein in der Karolingerzeit weit ausstrahlendes kulturelles Zentrum für Buchmalerei. Neben den figürlichen Darstellungen ist die Handschrift auch reich ornamentiert. Die entsprechenden Zierseiten lassen sich einer Gruppe von Handschriften zuordnen, die im Kloster St. Amand (heute an der französich-belgischen Grenze gelegen), das für seine franko-irische Buchmalerei berühmt war, entstanden. Woher stammt also diese Handschrift? Aus Corvey (die Schreiber), aus Reims (die Figurenmaler) oder aus St. Amand (die Zierseiten)? Die Zusammenarbeit für eine solche Arbeit hatte bereits in der Karolingerzeit europäische Dimensionen. Die heute fragilen Zierseiten müssen in der Ausstellung regelmäßig umgeblättert werden, um nicht zu lange dem Licht ausgesetzt zu sein.

Anschließend wurde dieser an seinen neuen Platz im Diözesanmuseum gehoben, wo er während der Laufzeit der Sonderausstellung „Corvey und das Erbe der Antike“ zu sehen sein wird.
Foto / Quelle: Isabella Maria Struck / Erzbistum Paderborn

Über die Sonderausstellung „Corvey und das Erbe der Antike“

Ausgangspunkt der Ausstellung im Diözesanmuseum Paderborn ist ein bedeutender Think-Tank des Mittelalters: das ehemalige, vor 1.200 Jahren gegründete Kloster Corvey – seit zehn Jahren UNESCO Welterbe. Die Äbte des Klosters Corvey besaßen weitreichende Verbindungen nach Rom und Byzanz und gehörten zu den Gelehrten des karolingischen Hofs. Sie machten die Abtei am Weserbogen zu einem Zentrum der Übermittlung antiker Schrift, Architektur und Wandmalerei. Die Ausstellung zeigt, wie von Klöstern, Bibliotheken und Skriptorien gerettetes antikes Wissen und Kultur – über das Mittelalter zur Zeit Karls des Großen und seiner Nachfolger – bis in die Gegenwart gelangten und noch immer unsere europäische Gesellschaft prägen. Mit einzigartigen Exponaten – Schatzkunst, Architektur- und Wandmalereifragmenten, wertvollen Handschriften und Elfenbeinkunst – macht die Ausstellung in Paderborn nun erlebbar, wie das Mittelalter diesen Kulturtransfer ermöglichte, und sich die Antike aneignete.

Über die Leihgabe aus Prag freuen sich v. l. n. r. Michala Vraná, Monika Voß-Raker, Pater Monsignore Vladimír Kelnar, Dompropst Dompropst Monsignore Joachim Göbel und Dr. Holger Kempkens.
Foto / Quelle: Isabella Maria Struck / Erzbistum Paderborn

Info

Mehr als 120 faszinierende Leihgaben aus über 50 europäischen und US-amerikanischen Museen, Bibliotheken und Archiven sind bis zum 25. Januar 2025 in Paderborn zu sehen, begleitet von Einblicken in die Arbeit der Restauratorinnen und Restauratoren sowie Forschenden, die heute das antike Erbe bewahren. Der Kalligraph und Künstler Brody Neuenschwander (*1958, Houston, Texas) widmet sich in poetischen Rauminterventionen zudem der erstaunlichsten in Corvey überlieferten Antike: den Erzählungen der Irrfahrten des griechischen Helden Odysseus.

Das umfangreiche Veranstaltungs- und Vermittlungsprogramm, eine Reihe von Videointerviews mit an der Ausstellung beteiligten Forschenden und weitere Informationen zu Tickets und Anfahrt finden Sie unter

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