6 Min.
29.11.2024
Dr. Richard Böger geht in den Ruhestand.
Foto / Quelle: BKC

„Reichtum brauchen wir nicht mehr“

Der Vorstandsvorsitzende der Paderborner Bank für Kirche und Caritas (BKC), Richard Böger, geht Ende 2024 in den Ruhestand. „Der Dom“ sprach mit ihm über ethische und nachhaltige Geldanlagen, über die Verantwortung von Bankern und über seine Pläne für den Ruhestand.

Interview: Andreas Wiedenhaus, Claudia Auffenberg und Patrick Kleibold
Paderborn

Herr Dr. Böger, „Diese Wirtschaft tötet“ hat Franziskus zu Beginn seiner Amtszeit erklärt und er meinte eine Welt, in der der Erfrierungstod eines Obdachlosen niemanden erschreckt, Kursstürze an der Börse sehr wohl. Fühlten Sie sich damals gemeint?

Überhaupt nicht, ich fand es gut, dass er so deutlich Stellung bezogen hat zu einer Wirtschaft, wie wir sie in vielen Teilen der Welt real erleben. Unsere wohlgeordnete, soziale Marktwirtschaft, in der praktisch niemand wirklich durchs Netz fällt und politisch versucht wird, möglichst alle mitzunehmen, bildet nur einen Bruchteil der Weltwirtschaft. So läuft es nur in einigen westeuropäischen Ländern. In den USA, in Südamerika oder in Asien ist es eben nicht normal, dass der Staat sich um die Armen kümmert. Dort gibt es keine Unterstützung, auch wenn sich inzwischen vieles verbessert hat. Von daher hat Franziskus mit seiner Aussage „Diese Wirtschaft tötet“, den Nagel auf den Kopf getroffen.

Er hat damit auch in Deutschland für ziemliches Aufsehen gesorgt.

Das ist richtig, manche haben sich eben doch angegriffen gefühlt. Und in einigen Punkten hat er sicher Recht. Franziskus kritisiert in dem Schreiben massiv die absolute Autonomie der Märkte und der Finanzspekulation. Auch bei uns haben manche die Vorstellung, dass die Wirtschaft autonom ist und ihre eigene Rationalität hat. Dagegen wehrt sich Franziskus. Eine Autonomie der Ökonomie, die etwa Kürzungen von Sozialleistungen oder Entlassungen für erforderlich hält, wenn es dem Staat nicht gut geht, lehnt er ab. Er hält dagegen: Es kann nicht sein, dass Geld die menschliche Lebenssituation derart beeinflusst oder sogar Lebenschancen zerstört.

Aber schafft die Wirtschaft nicht einfach die Fakten?

Die Wirtschaft und die Finanzmärkte sind dominant, das ist ein Problem. Denn damit bestimmen die Reichen, wohin der Weg geht, während sich die Wirtschaftsansätze, die alle mitnehmen wollen, kaum durchsetzen können – selbst in einer Demokratie. Auch in einer Demokratie wie der unsrigen finden die Interessen der Reichen strukturell mehr Beachtung als die der Mehrheit.

Wie kommt das?

Zum einen gibt es eine klare Lobbyarbeit seitens der Unternehmen, zum anderen basiert unser Wirtschaftssystem auf dem Schutz des Eigentums und das gehört zu einem sehr großen Anteil den Reichen. Daher schützt ein Rechtsstaatssystem, wie wir es haben, automatisch die Reichen. Zwar steht im Grundgesetz so etwas wie „Eigentum verpflichtet“, aber de facto ist das kaum relevant. Wann haben wir die letzte Verstaatlichung von Produktionsmitteln erlebt? Das steht als wirtschaftspolitische Option im Grundgesetz. Wenn aus Umweltschutzgründen Regulierungen vorgenommen werden, wird oft gesagt, das Eigentumsrecht werde eingeschränkt und so gehe alles „den Bach runter“.

Oft wird gesagt, man dürfe das Kapital nicht allzu sehr verschrecken, weil es sonst abwandere.

Genau, das ist die Story, die erzählt wird. Aber Kapital, das sind ja auch Menschen, Gebäude, Fabriken. Ist also das Kapital wirklich so mobil? Ich habe meine Zweifel. Aber das will die Politik natürlich nicht ausprobieren. Das ist eine Frage der internationalen Zusammenarbeit, die nur unzureichend gelingt. Aber vielleicht noch mal zurück zu Ihrer Frage, warum sogar in einer Demokratie die Interessen der Reichen mehr gelten als die der Mehrheit: Das liegt auch an der politischen Kaste, die aus der oberen Einkommenskaste besetzt wird. Ich will kein Politikerbashing betreiben, die sind ganz gewiss anständiger und fleißiger, als gemeinhin kolportiert wird – aber persönlich sind sie in einer abgesicherten Einkommenssituation und daraus speist sich deren Erfahrung.

Aber Sie, die Bank für Kirche und Caritas, sind doch auch Teil dieses Systems.

Wir versuchen schon, dass wir nicht Teil des Finanzspekulationssystems sind. Da halten wir uns sehr zurück. Aber klar, letztlich sind wir Teil des marktwirtschaftlichen Systems und wir brauchen auch eine vernünftige Gewinn-und-Verlust-Rechnung, die am Ende stimmen muss.

Apropos vernünftig. Geht es um Vernunft oder eher um Gier?

Gier kann Entscheidungen nur dann beeinflussen, wenn der Markt es hergibt. In einem sehr harten Wettbewerb sind die Gewinnspannen sehr begrenzt. Den gibt es bei uns nur in wenigen Branchen. Aber wir erleben, dass die Ansprüche der Unternehmen an ihren Ertrag gestiegen sind – auch durch die Börsenmechanismen. Deswegen ist der Anteil des Gewinneinkommens am Sozialprodukt in den letzten 30 Jahren kontinuierlich gestiegen.

Würden Sie sagen, dass man mit Geld die Welt besser machen kann?

Natürlich kann man das! Aber nicht mit Sozialleistungen, sondern dadurch, dass man den einfachen Leuten ein sicheres Einkommen gibt für die Arbeitsleistungen, die sie erbringen können. Man muss versuchen, sie in den produktiven Prozess einzubinden. Dazu äußert sich Papst Franziskus ja auch und die Stelle gefällt mir noch besser als „Diese Wirtschaft tötet“. Er sagt: „Solange die Probleme der Armen nicht von der Wurzel her gelöst werden, indem man auf die absolute Autonomie der Märkte und der Finanzspekulation verzichtet und die strukturellen Ursachen der Ungleichverteilung der Einkünfte in Angriff nimmt, werden sich die Probleme der Welt nicht lösen. Die Ungleichverteilung der Einkünfte ist die Wurzel der sozialen Übel.“

Nun benennt der Papst die Probleme deutlich, finden Sie bei ihm auch brauchbare Lösungsansätze?

Die Diagnose ist relativ einfach zu stellen, aber die Therapie wird kompliziert. Denn die Bereitschaft der Reichen, etwas abzugeben, ist nicht besonders ausgeprägt. Sie suchen und finden nach wie vor Möglichkeiten, dem Staat Steuern zu entziehen. Zwar hat man sich jetzt in der ­OECD auf einen Mindeststeuersatz von 15 Prozent geeinigt, aber es ist eben wahnsinnig schwer, das durchzusetzen.

Ihre Bank versucht es, sie hat Nachhaltigkeitsfilter und Kriterien, nach denen Sie Investitionen in bestimmten Unternehmen ausschließen. All das können Sie allerdings den Kunden nur anbieten.

So ist es, die Entscheidung liegt beim Kunden. Wo wir selbst entscheiden, achten wir sehr darauf, dass wir keine CO2-­intensiven Unternehmen im Portfolio haben, Kohle- oder Atomenergie etwa sind ausgeschlossen. Im Rahmen unserer Möglichkeiten versuchen wir schon, etwas zu machen. In „Laudato si“ hat Franziskus sich den Klimaschutz auf die Fahnen geschrieben. Ohne dieses Schreiben und seinen persönlichen Einsatz, so sagen Fachleute, hätte es das Pariser Klimaschutzabkommen nicht gegeben.

Was begeistert Sie als Banker so an ihm?

Weil er das Geld relativiert. Er hat alles versucht, damit diese Eigenlogik des Geldes eben nicht in der Gesellschaft stattfindet. Das Thema so groß zu machen, ist wirklich eine historische Leistung von Franziskus.

Sagen Sie als Banker?

Ja, das sage ich als Banker. Wir sind eine Genossenschaftsbank und das bedeutet: Gewinnmaximierung ist nicht unser Ziel. Das ist mir persönlich wichtig, ich könnte mir nicht vorstellen, in einer anderen Rechtsform tätig zu sein. Da müsste ich Entscheidungen treffen, die mir zuwider sind und von denen ich nur hoffen könnte, dass die Kunden das so gerade noch hinnehmen. Aber hier kann ich Entscheidungen treffen, bei denen der Gewinn der Bank nicht an erster Stelle steht und die ich mit gutem Gewissen treffen kann.

Das Gründungsbekenntnis von Ludwig Erhard und damit der sozialen Marktwirtschaft lautet: „Wohlstand für alle“. Gilt das heute noch?

Das ist nach wie vor das Zielbild, auch die katholische Kirche wünscht sich das ja. Denn Wohlstand für alle heißt vernünftig verteilter Wohlstand, heißt Existenzsicherheit, Arbeitsmöglichkeiten, geregeltes Einkommen, Gesundheitsversorgung, vernünftige Wohnung. Allerdings heißt Wohlstand nicht Reichtum. Den brauchen wir nicht mehr.

Sie gehen bald in den Ruhestand. Wie fällt Ihre persönliche Bilanz aus und was wünschen Sie sich abseits der Berufswelt für ihren Ruhestand?

Ich war dann 27 Jahre Vorstandsmitglied der Bank für Kirche und Caritas, das ist eine lange Zeit. Insgesamt bin ich sehr zufrieden mit dem Ergebnis meiner Arbeit und danke dem Aufsichtsrat, dass ich meine Ideen einer sozial verantwortlichen nachhaltigen Bank umsetzen konnte. Privat wünsche ich mir für den Ruhestand, nicht mehr so wie bisher für ein Jahr hin durchgetaktet und terminlich verplant zu sein. Ich werde meinen zukünftig deutlich größeren Freiraum sicherlich genießen und entspannter durchs Leben gehen, als ich dies die letzten Jahrzehnte konnte.

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