Salve Regina
Maria, die Himmelskönigin, stand im Zentrum eines Konzerts des Frauenkammerchores Dortmund-Süd in Dortmund-Wellinghofen.
Das Publikum durfte in die Welt der klösterlichen Marienverehrung eintauchen, in der die Schola Cantorum als reiner Männer- oder Frauenchor die liturgische Gestaltung übernahm. Mario Linnerz hatte ein außergewöhnliches Programm zusammengestellt, einen Bogen spannend von der Gregorianik bis zur Moderne. Einen Schwerpunkt bildete dabei französische und belgische Chormusik. Der Frauenkammerchor Dortmund-Süd präsentierte sich mit homogenem Klangbild, Durchsichtigkeit und klarer Aussprache, durch Mario Linnerz präzise vorbereitet bis ins Detail. Simon Daubhäußer übernahm den Part an der Orgel, gewohnt sicher und professionell. Der Klang der Frauenstimmen sorgte bei den aufmerksam, fast andächtig lauschenden Zuhörern für berührende Momente.
Durch die Musikgeschichte hindurch gibt es viele Vertonungen des Salve Regina. Hier wurde uns eine zeitgenössische Deutung von Kurt Bikkembergs, einem belgischen Komponisten, vorgestellt. Zarte, in Ganztonschritten aufsteigende Linien und schwebende Dissonanzen, durch den hellen Klang der Frauenstimmen sehr schön zur Geltung gebracht, prägen dieses Stück. Sopran und Alt fließen dahin, mal in Dissonanzen sich reibend, mal sich voneinander lösend, um sich schließlich wieder in einem gemeinsamen Ton zu finden. Mario Linnerz gelang eine wunderbar atmosphärische Interpretation, gezeichnet durch Transparenz und Klarheit.
Simon Daubhäußer bereicherte an der Orgel das Programm durch fünf kurze Stücke von Augustinus Franz Kropfreiter, einem Komponisten des zwanzigsten Jahrhunderts aus Österreich. Zugrunde liegt ihnen das Thema des Salve Regina, dessen Beginn, die Tonfolge c e g a g, auf das zwölfte Jahrhundert zurückgeht. Von manchen Kirchtürmen hört man es als „Salve Regina Geläut“. Simon Daubhäußer stellte den spielerischen Charakter der sich verfolgenden Stimmen sehr schön heraus. Eine von mehreren Entdeckungen bei diesem Konzert.
Das Salve Regina, als Abendruf nach Vesper oder Komplet fester Bestanteil des klösterlichen Tages, richtet sich an Maria, unsere Fürsprecherin. In der Vertonung Gabriel Faurés übernimmt die Musik die Rolle Mariens und antwortet auf unseren Ruf mit der sanften Stimme der Mutter. Vom Chor im Unisono, quasi mit einer Stimme vorgebracht, anfangs schlicht und wunderbar warm gesungen, einfühlsam begleitet von der Orgel, erklingt immer wieder die abfallende Terz, tröstend und beruhigend. Im Verlauf gelangen dem Chor, unterstützt von der Orgel, spannungsvolle Momente durch große Melodiebögen und dynamische Steigerungen, angetrieben vom fordernden Dirigat Mario Linnerz`.
Die Schlichtheit des einstimmigen gregorianischen Chorals berührt uns noch heute. Mit seinem archaisch anmutenden Klang – jenseits von Dur und Moll, an die wir uns so gewöhnt haben – lässt er Erhabenes und Größeres erahnen. Von Mario Linnerz sehr exakt geführt zelebrierte der Frauenkammerchor das gregorianische Ave Maria mit präziser Gestaltung der Verse und blitzsauberer Intonation. Man kann nachvollziehen, dass es lange Zeit Widerstand gab gegen die Einführung der Mehrstimmigkeit, wenn man die Reinheit des einstimmigen Klangs auf sich wirken lässt.
Mit Gaston Feremans kehren wir wieder nach Belgien zurück. Anspruchvoll zu singen ist die Musik dieses Komponisten, der in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts lebte, aber auch impressionistisch farbig. Souverän meisterte der Chor die teils unerwarteten Intervallsprünge, gar nicht so weit entfernt von der Gregorianik. Mario Linnerz dirigierte seinen Chor engagiert mit teils weit ausholender Gestik. Strahlend und prächtig geriet das Tantum ergo. Obwohl nur klein besetzt, gelangen dem Chor ausdrucksstarke Steigerungen mit großem Klangvolumen.
Simon Daubhäußer brachte nun mit dem Choral in h-moll eines der bekannteren Stücke von Cesar Franck, einem der bedeutendsten Komponisten Frankreichs und versierten Organisten, dar. Sehr schön herausgearbeitet erklang das Thema, mal im Bass, dann im Sopran. Orchestrale Passagen wechselten mit komplexen, fünfstimmigen Partien ab. Simon Daubhäußer behielt die Übersicht und präsentierte uns das Stück durchhörbar mit souveräner Stimmführung. Unerbittlich nach vorne schreitend, die Phrasen sauber herausstellend, gelang eine kluge Interpretation, eine beeindruckende Leistung. Durch den Einsatz des Schwellwerks klang die Orgel auf einmal sehr französisch.
Den Schluss dieses sowohl außergewöhnlichen wie gelungenen Konzertes bildete das triumphale Tu es Petrus von Jean Langlais. Ein französischer Komponist des zwanzigsten Jahrhunderts zwar, in seiner Tonsprache aber eher traditionell, stellt er Petrus wie einen Ritter dar. Standhaft und fest, mit dem Schwert gegürtet, marschiert er los. Die Zuhörer konnten die Spiel- und Singfreude der Akteure deutlich wahrnehmen. Mario Linnerz dirigierte zupackend und mitreißend, ein krönender Abschluss des Konzerts.
Die Darbietungen wurden mit viel Applaus honoriert. Als Zugabe erklang das berühmte „Hebe Deine Augen auf“ aus dem „Elias“ von Mendelssohn-Bartholdy. Mit so viel Hingabe gesungen, so klar und schön hört man es selten.