6 Min.
23.07.2024
Dompropst Monsignore Joachim Göbel.
Foto / Quelle: Cornelius Stiegemann / Erzbistum Paderborn

„So alt. So neu. So schön!“ – Das bedeutet das Libori-Motto 2024

Die Bistumsgründung vor 1225 Jahren und die Verbindung von Altem und Neuem: Dompropst Joachim Göbel erläutert im Interview, was hinter dem diesjährigen Libori-Motto steckt.

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Paderborn (pdp) In diesem Jahr prägt ein Jubiläum das Motto des Libori-Festes: „1225 Jahre – So alt. So neu. So schön!“ Denn im Jahr 799, also vor 1225 Jahren, gründeten Karl der Große und Papst Leo III. das Bistum Paderborn. Was war das für eine Zeit und was für ein Umfeld, in dem damals die Kirche von Paderborn aufgebaut wurde? Und was hat uns die Bistumsgründung heute noch zu sagen? Darüber spricht Dompropst Monsignore Joachim Göbel im Interview.

Herr Dompropst, was waren die Herausforderungen für die Menschen vor 1225 Jahren?

Dompropst Monsignore Joachim Göbel: Die Christianisierung unserer Region war ein komplexer Prozess, der auch seine Schattenseiten hatte. Uns ist heute jedoch kaum mehr bewusst, was sie für eine intellektuelle und kulturelle Leistung war. Ein Beispiel: Heute beten wir ganz selbstverständlich das Vaterunser. Damals waren zentrale Begriffe dieses Gebets den Menschen, die hier lebten, vollkommen fremd. Dass Gott ein liebender Vater ist und kein Krieger wie Wotan. Dass der Himmel ein Ort des Friedens ist und kein Ort des ständigen Kampfes wie die Walhalla. Es ging nicht nur darum, Gebete in eine fremde Sprache zu übersetzen. Die wirklich große Leistung der Missionarinnen und Missionare besteht darin, dass sie den Menschen den christlichen Gott überhaupt verständlich machten. Begriffe wie Barmherzigkeit oder Gnade gab es in der Sprache der Menschen damals nicht, die mussten sie erst einmal erfinden.

Die Leistung der Missionarinnen und Missionare ist also, dass sie neue Formen gefunden haben, die zu den Menschen passten – damit diese die christliche Botschaft verstehen konnten?

Die Kirche hat sich unter der Veränderung der Gesellschaft immer wieder neu erfunden – aber stets im Rückgriff auf das Evangelium. Das ist die große Konstante: Das Evangelium ins Heute bringen. Und auf dieser Grundlage den Bedürfnissen der Menschen und den Herausforderungen der Epoche begegnen.

Auch heute steht die Kirche vor einem großen Umbruch. Kann da ein Blick in die Geschichte hilfreich sein?

Ich finde Kirchengeschichte und Geschichte generell sehr wichtig. Der österreichisch-amerikanische Psychoanalytiker und Zeitgenosse Sigmund Freuds, Theodor Reik, hat einmal gesagt: „Geschichte wiederholt sich nicht, sie reimt sich nur“. Es ist also wie bei einem Reim; wir lesen ein anderes Wort, aber wir hören denselben Klang. Daraus leite ich eine Aufgabe für uns ab: Herauszufinden, was in längst vergangenen Zeiten trotzdem so klingt, dass es uns heute weiterhelfen könnte.

Was finden Sie persönlich hilfreich?

Schauen wir uns die Säkularisation im 19. Jahrhundert an. Da hat der Staat der Kirche einfach Dinge weggenommen, das Paderborner Domkapitel aufgelöst und die Aktivitäten der Kirche auf die Feier der Liturgie beschränkt. Ein Vertreter des preußischen Königs saß bei der Bischofswahl dabei und konnte sein Veto einlegen, wenn ihm ein gewählter Kandidat nicht gefiel. So etwas können wir uns heute zumindest in Europa kaum noch vorstellen. Uns geht es da viel besser als unseren Vorfahren. Wenn ich diese Situationen vergleiche, kann ich sagen: Ja sicher stehen wir gegenwärtig vor großen Herausforderungen, aber wir – also die Kirche – haben in der Vergangenheit auch mindestens ebenso große Schwierigkeiten gemeistert. Das stimmt mich zuversichtlich. Weil ich glaube, dass die Kirche alt und gleichzeitig doch immer neu und jung ist.

Was sehen Sie als die Herausforderung der Gegenwart an?

Für mich liegt der tiefste Grund unserer Glaubens- und Kirchenkrise in der völligen Säkularisierung unserer Gesellschaft. Darauf müssen wir reagieren, aber wir haben noch keine geeignete Antwort darauf gefunden.

Was wären Möglichkeiten, um wieder mehr Menschen mit der Frohen Botschaft zu erreichen?

Wenn wir sagen, Kirche soll missionarisch sein, dann brauchen wir Außenposten, wie sie alle Missionsorden kennen: Nämlich Schulen und Krankenstationen. Das sind die Punkte, an denen die Menschen das bekommen, was sie brauchen – Bildung, Gesundheitsversorgung. Manche meinen, schöne Liturgie wird uns retten – das halte ich für eine Illusion. Liturgie muss immer schön sein und sie muss die Menschen erreichen. Aber Liturgie ist für die, die schon Teil der Gemeinschaft sind. Sie ist nicht der Kern, um neue Menschen zu gewinnen. Die Menschen, die noch nicht Teil der Gemeinschaft sind, interessieren sich nicht dafür, wie schön der Bischof im Dom die Messe feiert. Sondern dafür, was Kirche – ihrem Auftrag gemäß – für die Menschen tut, für die sich sonst keiner zuständig fühlt. Wir haben einen guten Sozialstaat, dennoch fallen viele durchs Raster. Und für die sind wir in erster Linie da mit unseren Hospizen oder den Gasthäusern hier in Paderborn und an vielen anderen Orten im Erzbistum.

Als Antwort auf die Krise der Säkularisation im 19. Jahrhundert haben sich die sozial-karitativen Orden gegründet – etwa die Schwestern der Christlichen Liebe oder die Olper Franziskanerinnen. Was kann eine Antwort auf die Herausforderung der Säkularisierung in unserer Gegenwart sein?

Das war die richtige Reaktion auf die Nöte der damaligen Zeit. Was kommt jetzt? Das Zweite Vatikanische Konzil hat versucht, auf diese Frage zu reagieren. Interessanterweise sind kaum neue Orden entstanden, dafür aber die Neuen Geistlichen Bewegungen. Als Versuch, darauf eine Antwort zu geben. Vielleicht braucht es noch ganz andere Antworten, aber ich bin sicher, dass sich welche finden werden – oder theologisch gesprochen: dass sich der Geist Gottes irgendwann mit dem, was richtig ist, durchsetzen wird.

Foto / Quelle: Patrick Kleibold

Das Libori-Motto macht eine Gleichung auf: „alt + neu = schön!“ Wo kann man diese Verbindung von alt und neu erfahren? Wo ihre Schönheit?

Dass die Verbindung von alt und neu schön ist, das kann man tatsächlich zu Libori erleben. Ich bin da ganz bei den Alten Meistern. Diese Künstler aus früheren Jahrhunderten waren überzeugt: ‚Was wahr und was gut ist, ist auch schön‘. Und ich bin davon überzeugt, dass wir zu Libori in den verschiedenen geistlichen Formaten, den Gottesdiensten und Betstunden viel Gutes und Wahres und daher Schönes vermitteln.

Zum Beispiel?

Ich kenne keinen traditionelleren Gottesdienst als die Vesper am Libori-Samstag – komplett auf Latein, in der alten Form, die sonst nirgendwo mehr gesungen wird. Angefangen bei den Messgewändern, über die Texte und die Musik, bis hin zur Inszenierung der Erhebung der Reliquien und des Liborischreins. Das ist ein Gesamtkunstwerk. Und der Dom ist knallvoll. Jedes Jahr. Für „die“ Paderbornerin oder „den“ Paderborner gehört es dazu, zur Libori-Vesper zu gehen, auch wenn „die“ Paderbornerin oder „der“ Paderborner sonst keine lateinischen Gottesdienste mag oder überhaupt nicht mehr regelmäßig zum Gottesdienst gehen. Weil dieser Gottesdienst Gutes und Wahres beinhaltet und damit als schön empfunden wird.

Und wo kommt das Neue ins Spiel?

In diesem Jahr gibt es zum ersten Mal zu Libori einen Gottesdienst in einfacher Sprache und Deutscher Gebärdensprache. Auf dem Liedheft dafür ist die zeitgenössische Liboriusfigur von Stephan Balkenhol zu sehen, die in der Krypta des Domes steht. Anja Fecke, die Diözesanbeauftragte für Seelsorge für und mit Menschen mit Behinderung, die diesen Gottesdienst organisiert, hat mir gesagt: „Ich bin so froh, dass dieser Liborius modern dargestellt ist und nicht mit Bischofsmütze und Krummstab. Weil die Menschen, die ich erreichen möchte, die alte Darstellungsart als ‚Nikolaus‘ lesen.“ Der Balkenhol-Liborius erlaubt neue Perspektiven und spricht andere Menschen an – beileibe nicht nur die, die den Gottesdienst in einfacher Sprache besuchen.

Ganz wie die Missionarinnen und Missionare vor 1225 Jahren hat man mit dieser zeitgenössischen Liboriusfigur also wieder eine neue Form geschaffen, mit der man Menschen etwas von Gott erzählen kann?

Wenn wir die lateinische Vesper nicht nur als Gottesdienst, sondern auch als Gesamtkunstwerk betrachten und neben das Kunstwerk den Balkenhol-Liborius stellen, sehen wir: Es ist dieselbe Botschaft, gekleidet in eine andere Ästhetik. Es gibt Menschen, die vor dem Lateinischen flüchten und vor dem Liborius in der Krypta sagen: Das ist handfest, das ist kernig, da kann ich etwas mit anfangen. Und es gibt die, die mit dem Balkenhol-Liborius nichts anfangen können, aber von den Bildern, von der Musik und der Liturgie der lateinischen Vesper verzaubert werden. Zu Libori geht die Gleichung aus alt und neu auf. Und das Ergebnis ist schön.

Foto / Quelle: Patrick Kleibold

// Interview: Cornelius Stiegemann

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