„Und dann noch einen Schluck Wein ins Grab“
Im Hauptberuf ist Oliver Fleischer Schauspieler. Was bisher kaum jemand wusste: Seit zehn Jahren arbeitet er auch als Sargträger. Im Interview schildert er berührende, aber auch kuriose Geschichten.
Du beginnst Dein Buch mit einem Zitat von Joan Baez: „Du kannst Dir nicht aussuchen, wie Du stirbst oder wann. Du kannst nur entscheiden, wie Du lebst. Wie möchtest Du leben?
Ich möchte glücklich sein und ich möchte fair leben – meiner Liebsten, meiner Familie und meinen Freunden gegenüber. Und ich möchte am Ende meines Lebens sagen können, dass ich nichts bereue und mich bei denjenigen entschuldigt habe, bei denen ich mich entschuldigen wollte. Ich bin mir sicher, dass ich Fehler gemacht habe, davon ist niemand befreit. Dazu gehört aber auch, dass man sich entschuldigt. Ich möchte ein gutes Vorbild für meine Tochter sein und eines Tages auf ein glückliches Leben zurückschauen und dankbar sein.
Ist es manchmal nicht verdammt schwer, über den eigenen Schatten zu springen und sich zu entschuldigen?
Natürlich ist das schwer. Aber je älter man wird, umso mehr sollte man versuchen, reflektiert durchs Leben zu gehen. Ich hatte es nicht immer leicht, trotzdem versuche ich in erster Linie, meinen Mist nicht meiner Tochter aufzubürden. Ich versuche, dass der Rucksack, den ich trage, nicht zu schwer ist, denn den gibt man ansonsten an die nächste Generation weiter.
Bist Du ein Mensch, der Dinge leichtnimmt oder eher nicht?
Sowohl als auch, doch ich versuche eher, die Dinge leichtzunehmen. Mein Cousin sagt immer: „Hey Oliver, was willst Du denn? Du liegst doch nicht im Gipsbett.“ Er hat recht. Es geht vielen Menschen schlechter als mir. Also versuche ich so gut es geht, fröhlich durchs Leben zu gehen. Ich erinnere mich an eine Beerdigung, die war sehr beeindruckend für mich. Der Verstorbene war Mitte 50. Die beiden Töchter haben sehr nett über ihren Papa gesprochen. Da habe ich unglaublich viel Liebe gemerkt. Wenn man das zurücklassen kann und es nicht um Geld oder große Erbschaften geht, sondern um Menschlichkeit und dass man ein guter Mensch war, dann ist das gut.
Du hast viel in deinem Leben gemacht. Du warst in einer Metal-Band, hast Football in der 2. Bundesliga gespielt, als Landschaftsgärtner gearbeitet, und Du bist Schauspieler. Ein bürgerliches Leben sieht anders aus. Und Du bist auch noch Sargträger. Wie kommt man dazu?
Ich bin über eine Annonce dazu gekommen. Meine ehemalige Schwiegermutter hatte mich darauf aufmerksam gemacht, dass von der Kirche Sargträger gesucht werden und ob ich das nicht machen wollte. Ich habe dann mit einem Friedhofsgärtner gesprochen, und anschließend wurde ich zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen. Das Gespräch ging sehr schnell. Es wurde gefragt: „Hast Du einen schwarzen Anzug?“ Ja! „Weißes Hemd?“ Ja! „Schwarze Krawatte?“ Ja! „Schwarze Schuhe?“ Ja! „Hast Du morgen Zeit?“ Ja! „Ok, Du bist eingestellt.“
Was hat ein Sargträger für Aufgaben?
Am Ende des Tages geht es darum, den Sarg oder die Urne beizusetzen. Im Vorfeld einer Beerdigung ist man etwas eher da und spricht mit dem Bestatter, was gewünscht ist. Dann geht man den Weg zum Grab ab. Und vor Ort schaut man, ob die Balken, auf die man den Sarg stellt, da sind, ob die Seile zum Ablassen da sind, und man stellt die Streublumen am Grab bereit. Dann holt man den Sarg aus der Kapelle und bringt ihn zum Grab. Wenn es dann gewünscht ist, hilft man manchmal auch noch die Kränze aus der Kapelle zu räumen, da Bestattungen häufig eng getaktet sind und der nächste Bestatteter schon die folgende Beerdigung vorbereiten muss. Und oftmals geht es dann direkt weiter zur nächsten Beisetzung.
Folgen die Beerdigungen für Dich so schnell aufeinander?
In größeren Städten meist stündlich. Es kann dann auch schon mal hektisch werden, um pünktlich zum nächsten Ort zu kommen.
Hast Du schon mal Lampenfieber als Sargträger oder auch als Schauspieler gehabt?
Als Schauspieler wenig, als Sargträger ja. Als Schauspieler habe ich in der Regel lange geprobt, als Sargträger geht das nicht. Man kommt, führt ein Gespräch und dann geht es los. Man kann ja nicht zur Trauergesellschaft sagen, komm lass uns mal eben proben. Wenn man neu dabei ist, wird man daher als Sargträger erst mal in die Mitte genommen und an alles herangeführt, sodass man möglichst wenig falsch machen kann. Kopf- und Fußträger heben den Sarg an und die in der Mitte ziehen die Stützen weg, sodass der Sarg dann herabgelassen werden kann. Die in der Mitte stabilisieren eher den Sarg. Natürlich war ich bei der ersten Beerdigung nervös. Man will nichts falsch machen. Auf der Bühne kann ich reagieren, während einer Beerdigung nicht. Dort möchte ich meine Aufgabe möglichst pietätvoll machen. Aber trotzdem gibt es auch Beerdigungen, wo Fehler passieren.
Was ist Dir besonders in Erinnerung geblieben?
Meine erste Kinderbeerdigung ist mir in Erinnerung geblieben. Das war sehr einschneidend für mich. Das Mädchen, das beerdigt wurde, war so alt wie meine Tochter. Ich habe zusammen mit dem Vater und dem Großvater den Sarg getragen. Hinterher saß ich im Auto und habe bitterlich geweint. Ich habe mich auch aufgeregt, da ich nie ein Kind beerdigen wollte. Ich bin aber dahin gekommen und wurde von der Situation überrumpelt. Ich war also sauer über die Situation und über mich selbst. Und dann habe ich mit meiner Freundin telefoniert, die mir sagte. „Man kann die Eltern doch nicht alleinlassen in so einer Situation. Es ist doch gut, wenn jemand wie Du da ist und diese Aufgabe übernimmt.“ Ich bin ihr dankbar für diese Worte. Und ich habe auch die Dankbarkeit des Vaters und des Großvaters gespürt, dafür dass ich diesen Weg mitgegangen bin. Danach habe ich dann auch weitere Kinder beerdigt.
Du hast ein Buch über Deine Erlebnisse als Sargträger geschrieben. Es heißt: „Der Oma hätte das gefallen.“ Den Titel musst Du uns erklären.
Der Titel bezieht sich auf einen skurrilen Moment während einer Beerdigung. Es war im Bergischen Land. Die Beerdigung lief ganz normal. Wir waren mit dem Katafalk – also dem Wagen, auf dem der Sarg steht – in die Nähe des Grabes gekommen und hatten die Bremse angezogen und den Sarg angehoben. In dem Moment quietschte es und die Bremse löste sich. Wir hatten den Sarg in der Hand und sahen, wie der Katafalk erst langsam einen Berg hinabrollte und dann immer und immer schneller wurde. Es klapperte und dann schoss der Wagen gegen einen Kantenstein, hob ab und landete in einer Böschung und war nicht mehr zu sehen. Wir standen mit dem Sarg da und glotzen in diese Richtung und dann sagte jemand aus der Trauergesellschaft: „Das hätte der Oma gefallen.“
Wie sieht für Dich eine würdevolle Beerdigung aus?
Eine würdevolle Beerdigung hat nichts damit zu tun, dass alle in stiller Trauer dastehen. Es darf auch gelacht werden. Wichtig ist, dass der Tote im Mittelpunkt steht und dass der Respekt vor der Person dahintersteht. Als Sargträger bin ich ein stiller Beobachter, an den sich die wenigsten Trauergäste erinnern können. Einmal habe ich eine Beerdigung eines Karnevalisten miterlebt und dort lief das Lied „Wir ziehen los mit ganz großen Schritten“. Das war sehr skurril, aber es passte zum Toten und war dann auch pietätvoll.
Siehst Du es positiv, dass Beerdigungen heute individueller ablaufen?
Wenn es der Wunsch des Verstorbenen ist, dass ein bestimmtes Lied gespielt wird, dann ist das so. Das ist der letzte Wunsch, den ich erfüllen kann, das ist der letzte Respekt, den ich dem Verstorbenen erweisen kann. Jeder hat das Recht, so beerdigt zu werden, wie er möchte, und jeder das Recht, anständig beerdigt zu werden.
Wie wirkt sich diese ständige Nähe zum Tod auf Dein Leben aus?
Ich möchte Dinge nicht mehr auf die lange Bank schieben. Ich mag nicht im Streit auseinandergehen, sondern möchte die Dinge klären. Wir alle kommen hier nicht lebend raus. Das Leben ist endlich. Daher sollte man es sich bis dahin unendlich schön gestalten, funktioniert natürlich nicht immer und wäre zu sehr Rosamunde Pilcher. Aber man sollte versuchen, möglichst gerade durchs Leben zu gehen. Ich möchte das Jetzt, das Hier und den Moment für mich nutzen.
Weißt Du, wie Du selbst beerdigt werden möchtest?
Ja. Ich will das Tragen den Sargträgern nicht antun, also möchte ich verbrannt werden. Ist so. Ich in einem Sarg, am besten noch in einem Eichensarg, da kriegen die Träger es doch mit der Bandscheibe. Es gibt sehr schöne Baumgräber, das kann ich mir gut vorstellen. Dann kann ich mir noch zwei oder drei Lieder vorstellen und es darf gelacht, geweint und ein Glas Wein auf mich getrunken werden. Und dann noch einen Schluck Wein ins Grab und dann ist gut.
Festhalten oder loslassen: Beides gehört zu Deinem Job dazu. Was ist schwieriger?
Es kommt ganz auf den Zusammenhang im Leben an. Ich glaube, loslassen ist schwieriger. Man muss lernen loszulassen, um einen Menschen auch festhalten zu können. Als Eltern beispielsweise muss man seinen Kindern vertrauen und auch loslassen, um ihnen die Freiheit zu geben, dass sie ihre eigenen Fehler machen und ihren eigenen Weg gehen. Sie sollen wissen, da ist das Vertrauen, dass Papa mich loslässt. Und auch in der Liebe allgemein: Wenn ich meinem Partner nicht vertrauen kann und klammere und ihn festhalte, dann funktioniert es nicht. Wenn ich Vertrauen schenke und meine eigene Angst vor dem Loslassen überwinde, weil ich fürchte, verletzt zu werden – dadurch binde ich den Menschen viel mehr an mich.
Zur Person
Oliver Fleischer (49) ist ein deutscher Theater- und Filmschauspieler. Er spielte im „Tatort“, „Großstadtrevier“, „Mord mit Aussicht“, „Soko Wismar“ und „Notruf Hafenkante“. Für seine schauspielerische Leistung in der Fernsehserie „Danni Lowinski“ wurde er mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet. Nebenberuflich arbeitet er als Sargträger. In seinem neuen Buch „Der Oma hätte das gefallen“ – erschienen im Bonifatius-Verlag und erhältlich für 20 Euro – gibt er Einblicke in seine teils heiteren, teils nachdenklichen Erlebnisse als Sargträger.